Der Kleemeister: Ausgegrenzt und doch heimliche Anlaufstelle

Kleemeister übernahmen im Mittelalter die Aufgabe, Tierkadaver zu entsorgen, viele waren auch als Henker tätig, um über die Runden zu kommen. Dies führte zu starker gesellschaftlicher Isolierung. Wegen ihres medizinischen Wissens wandte man sich aber doch an sie.

Anna von Hohenlohe stellte den Kontakt zwischen Kurfürstin Anna von Sachsen und der Frau des Henkers in Schwäbisch Hall her. Das war in der Zeit der Hexenverfolgung überaus gefährlich. Die Aufnahme zeigt ihr Grabmal in der Kirche von Öhringen. Foto: Karin de la Roi-Frey

Anna von Hohenlohe stellte den Kontakt zwischen Kurfürstin Anna von Sachsen und der Frau des Henkers in Schwäbisch Hall her. Das war in der Zeit der Hexenverfolgung überaus gefährlich. Die Aufnahme zeigt ihr Grabmal in der Kirche von Öhringen. Foto: Karin de la Roi-Frey

Von Karin de la Roi-Frey

Murrhardt. Sichtbare Spuren hat er im heutigen Murrhardt nicht hinterlassen, aber in den Erzählungen der Menschen ist der Kleemeister oft noch verankert. So schreibt der im Januar verstorbene Eberhard Bohn aus Kirchenkirnberg in seinem Buch „Der Gänsejakob“ von seiner Frage nach einer Kleemeisterfamilie: „Send’ Se do vorsichtig, do dabbet’ se en a Wefzgenest nei.“

In Listen von alten Murrhardter Berufen ist ein Kleemeister nicht zu finden. „Ein in der sozialen Hierarchie weit unten angesiedelter, für das städtische Leben aber wichtiger Beruf war der des Kleemeisters, der primär für die Entsorgung von totem Vieh zuständig war, der aber allgemein für die Sauberkeit in der Stadt zu sorgen hatte“, schreibt Gerhard Fritz in „Murrhardter Sozialgeschichte von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges“. Die gesellschaftliche Ausgrenzung machte sich im täglichen Leben unentwegt bemerkbar durch zum Beispiel gesonderte Kirchenstühle, die Einnahme des Abendmahls erst nach der Gemeinde oder eine verwehrte Beerdigung „mitten unter ehrlichen Leuten“. Aus manchen Städten wird berichtet, dass eigene Teller, Trinkgefäße und Besteck mit in die Gastwirtschaft gebracht werden mussten, wo sie selbstverständlich an separaten Tischen saßen.

Einkäufe durften mancherorts nur in bestimmten Geschäften erledigt werden, geheiratet wurde fast nur untereinander. Auch nach der per Gesetz aufgehobenen, angeblichen Anrüchigkeit der Klee- oder Wasenmeister zur Mitte des 19. Jahrhunderts blieben sie absolute Außenseiter.

Kleemeister hatten ihre Abdeckereien meist außerhalb der Siedlung

Wie konnte das sein, obwohl diese Gemiedenen, Ausgegrenzten nicht selten gebildete, auch belesene und teilweise durchaus wohlsituierte Männer waren, zu denen immer wieder die Bauern kamen? Allerdings nicht freiwillig, denn sie waren verpflichtet, sämtliche Tierkadaver dem Abdecker zu übergeben, der oft auch herumliegende tote Katzen und Hunde zu entfernen hatte. Der Abdecker zerlegte die Kadaver und vergrub oder verbrannte, was nicht mehr verwertet werden konnte. Die Entsorgung der Reste erfolgte zumeist auf Wiesen (Wasen), woraus sich die Berufsbezeichnung des Klee- oder Wasenmeisters ableitet. Diese auch als Schinder (wörtlich: Hautabzieher) bezeichneten Männer übten oft auch das Handwerk des Henkers aus. Ob Mensch oder Tier, wer Aas anfasst, ist unehrlich – so dachte man im Mittelalter und noch lange danach.

Aufgrund der Geruchsbelästigung und Seuchengefahr mussten die Abdeckereien außerhalb der Dörfer angelegt werden. Dazu Gerhard Fritz: „Als ,cleemeisters hauß‘ ist es auf einer um 1680 entstandenen Karte ,unterhalb der als Murrhardter mühl‘ bezeichneten Bürgermühle offenbar direkt neben der Murr eingetragen“. – „Das Haus ist auch in der heutigen Stadt exakt zu lokalisieren. Es stand direkt bei der noch heute vorhandenen Brücke, die, nach Norden abbiegend, von der Karlstraße aus über die Murr führt.“

Auf einen interessanten Aspekt weist Eberhard Bohn hin, wenn er vom Wissen der Kleemeister in der Heilkunde schreibt. In Zeiten ohne Ärzte konnten sie wegen ihrer Kenntnisse über Tiere so manches Mal auch den Menschen helfen. Viele Kleemeister konnten nicht von einem Beruf allein leben und übernahmen zusätzliche Aufgaben wie das Leeren der Kloaken, aber auch die Arbeit des Scharfrichters oder Henkers. Die wichtigste Voraussetzung dieser Tätigkeit waren Kenntnisse in der Anatomie des Menschen, denn schließlich sollte die Enthauptung zielgenau sein. Diese Männer galten fast überall als hervorragende Krankenheiler, die ihre Rezepte für Medikamente an Söhne, aber auch an Töchter und Ehefrauen weitergaben.

Und so setzte sich Kurfürstin Anna von Sachsen (1532 bis 1585) im Jahr 1579/80 zwecks einer diskreten Kontaktherstellung zur Gräfin Anna von Hohenlohe (1522 bis1594) mit der Frau des Scharfrichters
von Schwäbisch Hall in Verbindung. Anna Marschalk, Frau des Jerg, genoss wegen ihrer Kenntnisse einen guten Ruf und man hoffte am sächsischen Hof auf Hilfe für Anna (1567 bis 1613), die jüngste Tochter der Kurfürstin. Ungefährlich war das – auch für eine Kurfürstin – nicht. Sie trat nicht nur mit der Unehrbarkeit in Kontakt, sie ließ sich so auch auf die teils magische Vorstellung von besonderen Fähigkeiten der Heilung, ja des Zaubers, ein. Und das in einer Zeit des Hexenwahns! So fanden zwischen 1595 und 1682 allein in Gaildorf 38 Inquisitionsprozesse statt, von denen 24 mit einem Todesurteil endeten.

Von Anna ist bekannt, dass sie trotz ihrer Rückgratverkrümmung einen Ehemann fand, der sie allerdings nicht lange nach der Eheschließung in Haft nahm, weil sie ihn betrogen hatte. Erst ihr Tod 20 Jahre später befreite sie.

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Erstellt:
1. Juli 2024, 06:00 Uhr

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