Ja zu Änderung der Schuldenbremse
Der Milliardendeal – und wie Merz sich damit dem Kanzlerstuhl nähert
Der Bundestag stimmt mehreren Änderungen an der Schuldenbremse mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu. Für Friedrich Merz rückt damit der Traum von der Kanzlerschaft näher. Aber er muss sich einiges anhören an diesem Tag im Parlament.

© AFP/Tobias Schwarz
Friedrich Merz erklärt sich im Bundestag.
Von Tobias Peter und Rebekka Wiese
Friedrich Merz kann auftrumpfen. Er kann zuspitzen. Er kann sich in seine eigenen Worte hineinsteigern. Doch er bemüht sich jetzt, das alles nicht zu tun. Der Mann, der Kanzler werden möchte, spricht mit angezogener Handbremse. „Wir wollen heute eine sehr weitreichende, von vielen Menschen in diesem Land auch mit erheblicher Sorge begleitete Entscheidung treffen“, sagt der CDU-Chef im Bundestag. Merz spricht langsam, holt zwischendrin ausgiebig Luft. Mit den Händen hält er sich erst am Pult fest. Dann legt er sie, ineinander verschränkt, vor sich. Er habe auch Verständnis für Kritik. Auch wenn diese nicht immer zutreffend sei.
Es ist ein wichtiger Tag in der Geschichte der Bundesrepublik – und auch ein wichtiger für Merz. Der CDU-Chef weiß: Läuft dieser Tag, wie gewünscht, kann ihn kaum noch etwas aufhalten auf seinem Weg zur Kanzlerschaft. Geht das, was der 69-Jährige an diesem Tag vorhat, schief, würde er vielleicht doch nicht Kanzler. Es könnte eine Staatskrise geben oder Neuwahlen. Oder beides.
Im Wahlkampf klang alles anders
Der Bundestag soll mehreren Grundgesetzänderungen zustimmen, die Änderungen an der Schuldenbremse vorsehen. Ausgaben für die Verteidigung sollen künftig nur noch bis zu einer bestimmten Grenze auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Und es soll ein Sondervermögen für Infrastruktur geben. 500 Milliarden Euro für Investitionen in Brücken, Schulen und den Klimaschutz. Es sind aber auch hohe zusätzliche Schulden.
Noch im Wahlkampf hat Merz gesagt, der Staat solle mit dem Geld, das ihm zur Verfügung stehe, auskommen. Dass eine Reform der Schuldenbremse bestenfalls am Ende von Sparbemühungen stehen könne. Jetzt soll sie kommen, noch bevor er Kanzler ist. Merz steht wie einer da, der jahrelang Wasser gepredigt hat. Und der nun – auch in den Augen vieler seiner Wählerinnen und Wähler – empfiehlt, mit einem gigantischen Kredit gleich einen ganzen Weinkeller zu kaufen.
Merz geht es zunächst darum, die Kritiker in der eigenen Partei und unter den eigenen Anhängern zu erreichen. Er plädiert wie ein Angeklagter, was seinen Meinungswandel angeht, auf besondere Umstände. „Für eine solche Verschuldung“, so formuliert es Merz, „lässt sich nur unter ganz bestimmten Umständen und unter ganz bestimmten Bedingungen eine Rechtfertigung finden“. Die Umstände würden vor allem vom Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen die Ukraine und damit gegen Europa bestimmt. Es gehe nicht nur um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands, sondern um den ersten großen Schritt hin zu einer neuen europäischen Verteidigungsgemeinschaft.
Merz betont zudem, die geplanten riesigen Schuldenpakete verringerten nicht den Konsolidierungsbedarf der öffentlichen Haushalte. „Das Gegenteil ist richtig“, sagt er – nicht laut, aber gedehnt. Eine steigende Verschuldung löse steigende Zinsen aus. Auch hier richtet Merz sich an Kritiker in den eigenen Reihen. Aber eben auch an die Sozialdemokraten, mit denen er in den kommenden Tagen weiter über eine Regierungskoalition verhandeln muss.
Auch SPD-Chef Lars Klingbeil sagt in seiner Rede, dass Geld allein nicht alle Probleme löse. Doch die SPD war, anders als Merz, schon vor der Wahl für neue Schuldenregeln. Klingbeil spricht von „einem Paket gegen die Spaltung und die Polarisierung“. Die SPD bekommt das, was sie schon lange fordert. Merz bekommt dafür als wahrscheinlicher nächster Kanzler mehr Geld, als Noch-Kanzler Olaf Scholz sich je hätte erträumen können.
Klingbeil und Merz werden in den Koalitionsverhandlungen noch über Bürgergeld, Migrationspolitik und Rente streiten. Doch Merz‘ Problem an diesem Tag heißt nicht Klingbeil. Es heißt Merz. Es geht um die Frage der Glaubwürdigkeit, die ihm gestellt wird. Weil in großer Eile noch der abgewählte Bundestag abstimmen soll – bevor sich in der kommenden Woche der neue konstituiert. Und weil er im Wahlkampf oft gegen neue Schulden argumentiert hat.
Da ist die AfD, die hart angreift. Parteichef Tino Chrupalla wirft Merz nicht nur vor, kein Rückgrat zu haben, sondern „komplett wirbellos“ zu sein. Da sind die Abgeordneten des Bündnisses Sahra Wagenknecht, sie ziehen Transparente hervor mit der Aufschrift: „1914 bis 2025: Nein zur Kriegstreiberei“. Dafür gibt es Ordnungsrufe. Da ist FDP-Fraktionschef Christian Dürr, der an Merz gewandt sagt: „Viel Geld, keine Reformen. Das wird Ihre Kanzlerschaft kennzeichnen.“
Den stärksten Auftritt als Merz‘-Kritikerin hat an diesem Tag Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. Sie hat sich mit Union und SPD zwar auf einen Kompromiss für die Grundgesetzänderung geeinigt. Den CDU-Chef schont sie trotzdem nicht. „Herr Merz, ich muss Ihnen widersprechen“, sagt Haßelmann und greift das Argument auf, mit dem Merz in den vergangenen Wochen seinen Sinneswandel gerechtfertigt hat: dass die Weltlage eine neue sei. „Die Bedingungen sind keine anderen, als sie es im Januar waren. Oder als sie es im Oktober im letzten Jahr waren“, ruft Haßelmann aus.
Der Vorwurf des Populismus
Es sei klar gewesen, dass das Land dringend Investitionen brauche, betont Haßelmann. „Wir haben Sie gebeten, uns auf diesem Weg zu begleiten“, sagt sie zu Merz. „Von Ihnen kam aber nicht nur ein Nein. Sondern Sie haben jede Idee zur Reform einer Schuldenbremse, zur Erweiterung der Sondervermögen kategorisch abgelehnt.“ Sie wirft Merz vor, andere für die Ideen diffamiert zu haben, denen er jetzt selbst zustimme. „Und meistens noch mit einer solchen Überheblichkeit und einem solchen Populismus, dass einem schlecht werden konnte.“
Gibt es zu viele Unionsabgeordnete, die wütend sind über den neuen Kurs? Bleiben ausscheidende SPD- und Grünen-Abgeordnete womöglich zu Hause? Die Reihen im Bundestag sind gut gefüllt. Die Berliner Grünen-Politikerin Hanna Steinmüller sitzt an diesem Tag mit Baby im Plenarsaal, wippt es auf ihrem Schoß auf und ab. Auch Kevin Kühnert, aus gesundheitlichen Gründen vom Amt des SPD-Generalsekretärs zurückgetreten, ist da. Am Ende stimmen 513 Abgeordnete für die Grundgesetzänderungen. Die Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag steht. Jetzt muss noch der Bundesrat zustimmen.
Der Stuhl, auf dem im Bundestag noch Olaf Scholz sitzt, ist nur wenige Meter vom Rednerpult entfernt. Es könnte bald der von Friedrich Merz sein.