Altersmediziner mit besonderem Ansatz

Der Professor und die heilende Kraft der Musik

Der Altersmediziner Andreas Kruse hat seine Leidenschaft für Musik lange nur privat ausgelebt. Doch inzwischen verbindet er sie mit seiner Profession. Bei seinen Vorträgen setzt er sich ans Klavier und spielt klassische Musik.

Der Altersmediziner Andreas Kruse setzt bei der Therapie auf Musik.

© Uli Fricker

Der Altersmediziner Andreas Kruse setzt bei der Therapie auf Musik.

Von Uli Fricker

Dass Redner reden, ist normal. Umso ungewöhnlicher sind die Vorträge von Andreas Kruse: Der Professor für Psychologie wechselt vom Rednerpult an den Flügel und zurück. Die Zuhörer sind hingerissen, zumal Kruse ohne Text und Noten auftritt. „Danach bin ich immer ziemlich erschöpft“, sagt der 69-Jährige.

Sein Einsatz am Klavier hat sich zufällig ergeben. Von Haus aus ist Kruse Fachmann für Altersforschung. An der Universitätsklinik in Heidelberg leitete er die Gerontologie. Als Schüler der Pionierin dieses Faches, Ursula Lehr, baute er die Disziplin mit auf. Dazu kommt eine zweite Begabung: Seine Eltern hatten ihn zu den Regensburger Domspatzen geschickt. An dem Musikinternat erhielt der Junge eine gediegene musikalische Ausbildung. Dort lernte er auch Georg Ratzinger kennen, den Bruder des späteren Papstes Benedikt XVI., der Chorleiter bei den Domspatzen war. Nach dem Abitur entschied sich Kruse aber für die Psychologie. Musik sollte Privatsache bleiben.

Bach funktioniert besonders gut

Die strikte Trennung zwischen Klinikalltag und Beethoven ging lange Zeit gut. Bis er bei einem Kongress in Wien aufgefordert wurde, seinen Vortrag mit passenden Klängen zu untermalen. Kruse brillierte an den Tasten. Zu seiner Methode sagt er: „Ich versuche, geistige und seelische Prozesse zu besser zu erläutern.“ Indem er redet und spielt und dann wieder ans Rednerpult tritt, verbindet er seine Arbeit als Altersforscher mit der Leidenschaft für die Musik.

Der Professor vertritt eine Theorie, die bereits in der Antike entwickelt und praktiziert wurde: dass Musik heilsam ist. Vor allem die Stücke von Johann Sebastian Bach seien hilfreich. „Bei dementen Menschen kann man mit seiner Musik Fortschritte erzielen“, berichtet Kruse. Wichtig sei die Auswahl der Stücke. Besonders geeignet für demente Menschen seien ruhig gleitende Kompositionen. „Man muss viel spielen und wenig sprechen“, erklärt er. „Mit Musik von Bach erzielen wir erstaunliche Erfolge“, sie sei besser geeignet als der Donner eines Beethoven oder die glitzernden Salonstücke der Romantik. Gute Erfahrungen machte er auch mit Fugen, diesen kompliziert gebauten Stücken, bei denen sich die Stimmen gegenseitig verfolgen. Auch darauf haben demente Menschen mit Lebensmut reagiert.

Er übt bis zu 45 Minuten am Tag

Andreas Kruse spielt ziemlich schwere Stücke, übt aber vergleichsweise wenig. „Eine dreiviertel Stunde am Tag, mehr geht nicht“, sagt er. Der Grund liegt im Unruhestand. In seinem Heim bei Überlingen am Bodensee trifft man ihn eher selten an. Als Senior Professor in Heidelberg mischt er weiterhin mit, wenn auch nicht mehr in verantwortlicher Position. Kruse forscht weiter über das Altwerden und das Altsein.

Neue Pläne hegt er auch. „Irgendwann werde ich in den Jazz einsteigen“. Diese Facette der Musik fehlt ihm noch – die Kombination von aufgeschriebener und improvisierter Musik. Und er ahnt: Auch mit Blues oder Ragtime können die müden Geister frisch belebt werden.

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Erstellt:
27. Oktober 2024, 11:30 Uhr

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