Höchster Kirchenturm der Welt
Der Rekord bleibt vorerst in Ulm
Seit 135 Jahren ist der Münsterturm der höchste Kirchenturm der Welt. Eigentlich sollte der Titel längst weg sein, doch die Konkurrenz tut sich beim Überflügeln schwer.
Von Eberhard Wein
Drei Jahre vor dem 650. Geburtstag des Ulmer Münsters im Jahr 2027 gibt es eine gute Nachricht für alle schwäbischen Lokalpatrioten. Auch zum Jubeltag wird das evangelische Gotteshaus über den höchsten Turm der Christenheit verfügen. Exakt 161 Meter und 53 Zentimeter ist der Turm hoch. Das ist weiterhin der unangefochtene Rekord in Deutschland, Europa und der Welt.
Wobei: eigentlich sollte der Titel längst weg sein. Schließlich sehen die Pläne des genialen katalanischen Architekten Antoni Gaudí für seine Sagrada Familia in Barcelona schon seit mehr als 100 Jahren einen Turm vor, der noch einmal knapp elf Meter höher sein soll als derjenige in Ulm. Gebaut wird übrigens seit 1882.
Turmbauten brauchen Zeit
Doch den Spaniern geht es wie den Planern von Stuttgart 21. Kurz nachdem ein Fertigstellungstermin bekannt gegeben wird, ist er auch schon wieder hinfällig. Zuletzt hieß es, das an eine Tröpfelburg erinnernde Bauwerk werde 2026 endlich fertig gestellt sein. Doch daraus wird nichts. Schuld ist Corona, das zu einem Einbruch bei den Spendengeldern geführt und die Bauarbeiten zwischenzeitlich gestoppt hat. Bisher sind nur acht der insgesamt 18 geplanten Türme fertig. Und vom entscheidenden Hauptturm, der einmal 172,50 Meter hoch sein soll, ist noch nichts zu sehen. Momentan rechnet man mit dem Abschluss der Bauarbeiten nicht vor dem Jahr 2033.
In Ulm dürfte man dafür Verständnis haben. Noch in vorreformatorischer Zeit, 1377, war mit dem Bau begonnen worden. 1530 stimmten die Ulmer dann mit großer Mehrheit dafür, dass in der Kirche nur noch evangelische Gottesdienste stattfinden sollten. Viele der unzähligen Altäre fielen dem Bildersturm zum Opfer. Die folgenden 300 Jahre ruhte die Münsterbaustelle, ehe man sich im 19. Jahrhundert doch noch einmal an den Turm wagte. Dabei kam es zu einem regelrechten Wettlauf mit der Dombauhütte in Köln. Die Rheinländer siegten. 1880 konnten sie den Doppelturm als damals höchstes Gebäude der Welt einweihen.
Köln hat an seinem Rekord nur zehn Jahre Freude
Doch daran erfreuten sich die katholischen Kölner nur zehn Jahre lang. 1890 wurden sie von den Ulmern überflügelt. Den Vorwurf aus Köln, es gehe ihnen ja nur um den Rekord, konterten die bescheidenen Schwaben mit dem Hinweis, die Höhe habe einzig und allein mit der Ästhetik zu tun.
Selbst wenn La Sagrada Familia das Münster tatsächlich irgendwann überragen sollte, wird es deshalb keine nachträgliche Vergrößerung geben. Das sei eine absurde Idee, das Ulmer Münster bleibe ja in jedem Fall ein „beeindruckendes sakrales Gebäude mit einer großen Strahlkraft“, sagt der Ulmer Münsterdekan Thorsten Krannich. Den Rekord, an dem man sich nun schon 134 Jahre lang erfreue, lasse man ziehen. Denn wie heißt es im Brief an die Philipper: „Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut.“