Bundestag

Der Tag des doppelten Kanzlers

Olaf Scholz gibt eine Regierungserklärung zum Ende der Ampel ab. Er tritt dabei in zwei Rollen auf. Auch die Union präsentiert sich mit unterschiedlichen Gesichtern.

Olaf Scholz hat im Bundestag seine Regierungserklärung zum Ampel-Aus abgegeben.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Olaf Scholz hat im Bundestag seine Regierungserklärung zum Ampel-Aus abgegeben.

Von Tobias Peter

Es gibt Olaf Scholz an diesem Tag gleich zwei Mal. In der Rolle des deutschen Bundeskanzlers, der als Staatsmann gesehen werden will. Und in der Rolle des Wahlkämpfers, der unter Druck steht, für die SPD eine Aufholjagd zu starten.

„Der Weg des Kompromisses bleibt der einzig richtige Weg“, sagt Scholz in der Rolle des Kanzlers. Es ist der nüchterne, der leise Olaf Scholz, der die vergangene Bundestagswahl gewonnen hat – als viele Menschen im Land sich nach einer Fortsetzung der Ära Angela Merkels sehnten. Der in den vergangenen Jahren aber auch oft vom Streit in seiner mittlerweile zerbrochenen Ampelkoalition übertönt wurde.

Der andere Olaf Scholz ist derjenige, der nun – drei Monate vor der nächsten Bundestagswahl – mit seiner Partei weit im Rückstand liegt. Er stellt noch einmal laut und deutlich dar, was aus seiner Sicht der Grund für das Ende der Ampelkoalition war: dass Finanzminister Christian Lindner von der FDP nicht den Weg habe freimachen wollen für eine Politik, bei der ausreichend viel Geld vorhanden gewesen wäre für die Unterstützung der Ukraine, die Stärkung von Arbeitsplätzen und Infrastruktur in Deutschland sowie für Soziales.

Scholz will die soziale Karte spielen

Es könne nicht sein, dass die Unterstützung der Ukraine zu Kürzungen bei Rente, Pflege und Gesundheit führe, donnert der Bundeskanzler ins Mikrofon. Er arbeitet bei diesem kämpferischen Teil seiner Rede mit auf- und absteigenden Fäusten. Scholz warnt zugleich, es habe Folgen für die Rentner, wenn das Rentenpaket nicht komme. „Wer das Rentenniveau nicht stabilisieren will, der kürzt am Ende Rente“, ruft er der FDP zu, die nun die in der Ampelkoalition vereinbarte Rentenreform nicht mehr mittragen will. Aber auch der Union, gegen die Scholz und die SPD einen Rentenwahlkampf führen wollen.

Auf der Regierungsbank sitzt währenddessen in zweiter Reihe Verteidigungsminister Boris Pistorius. Er blickt konzentriert auf den Redner Scholz – auch wenn er ihn von seinem Platz aus nur von hinten sehen kann. In der SPD gibt es, so hat es deren Fraktionschef Rolf Mützenich zugegeben, ein „Grummeln“. Ist Pistorius – laut Umfragen der beliebteste Politiker Deutschlands – womöglich der bessere Kandidat? Dass diese Frage im Raum steht, setzt Olaf Scholz zusätzlich unter Druck. Pistorius verhält sich derweil unauffällig.

Bei Scholz wird an diesem Tag die Wahlkampfstrategie der kommenden Wochen deutlich. Äußere, innere und soziale Sicherheit dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, sagt er. „Dieses Entweder-oder ist falsch und führt dieses Land in die Irre“, betont Scholz. Der Kanzler spricht von denen, die hart arbeiten und wenig Geld verdienen. Er will eindeutig die soziale Karte spielen.

So, wie Olaf Scholz im Bundestag gleich in zwei Rollen zu sehen ist, so ist dieser Tag auch einer, an dem – wenn man so will – gleich mehrere spannende Filme zu sehen sind. Es ist so, als würde die Filmindustrie die besten Politthriller des Jahres alle gleichzeitig veröffentlichen. Unionsfraktionschef Friedrich Merz gegen Olaf Scholz, FDP-Chef Christian Lindner ebenfalls – und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) für sich selbst: Das sind nur einige der Geschichten an diesem Tag.

Söder schüttelt viele Hände

Dass es ein besonderer Tag ist, lässt sich schon erkennen, bevor es losgeht. Während das Plenum sich füllt, steht Merz einträchtig mit Lindner zusammen. Kurz tritt Kanzler Scholz dazu. Er lächelt Lindner – den Mann, den er als Finanzminister entlassen hat – demonstrativ an. Jeder weiß, es wird heute jede Geste gesehen. Jeder will souverän aussehen. Auch Bayerns Regierungschef Söder an der Bundesratsbank wartet fröhlich darauf, dass es losgeht. Stehend, damit ihn alle sehen. Söder schüttelt viele Hände.

Denn so, wie Scholz an diesem Tag in zwei Rollen auftritt, gibt es die Union auch mit zwei verschiedenen Gesichtern. Es spricht selbstverständlich der Vorsitzende der Christdemokraten, Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Danach wird, ungewöhnlich genug, auch der bayerische Ministerpräsident im Bundestag auftreten – eine Premiere für den CSU-Chef.

Merz rechnet mit Scholz ab – keine Frage. Der Kanzlerkandidat der Union bezeichnet die Regierungserklärung des Bundeskanzlers als „Geisterstunde“. „Das, was sie hier vorgetragen haben, Herr Bundeskanzler, ist nicht von dieser Welt.“ Friedrich Merz wirft dem Kanzler vor, er habe das verfassungsmäßige Privileg, dass nur der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen kann, für den eigenen Vorteil instrumentalisieren wollen. Er kritisiert zudem, Scholz‘ Rede sei bereits vom Wahlkampfsound der SPD getrieben gewesen.

Was Friedrich Merz vermeidet

Der Unionskanzlerkandidat betont, es brauche einen grundlegenden Politikwechsel. „Wir müssen die Ärmel aufkrempeln“, ruft Merz seiner Fraktion zu. „Und wir müssen die Steuer- und Abgabenlast für die Unternehmen schnell senken.“ Der Mann, der gute Chancen hat, der nächste Kanzler zu sein, bleibt dabei allerdings unkonkret. Was hat er genau vor? Wie will er Steuersenkungen finanzieren? Friedrich Merz, der teils ohne Pause über den lauten Applaus seiner Fraktion darüber spricht, bleibt im Vagen. Seine Wahlkampfstrategie ist, den wahrscheinlichen Sieg nicht dadurch verlieren, dass er zu viel Kante zeigt.

Söder wird an Schärfe im Vergleich zu Merz drauflegen – das weiß jeder. Doch noch steht er nicht auf dem Programm. Erst muss Außenministerin Annalena Baerbock den grünen Vize-Kanzler Robert Habeck am Rednerpult vertreten, dessen Regierungsmaschine auf einer Reise eine Panne hatte und in Lissabon gestrandet ist. Er schafft es deshalb nicht in den Bundestag. Sie mahnt zur Ernsthaftigkeit in den kommenden Monaten – angesichts großer internationaler Herausforderungen.

In der Erwartung Söders wird selbst die Rede des entlassenen Finanzminister Christian Lindner nur zu einem Übergangsprogramm. Eine Entlassung sei manchmal auch eine Befreiung, sagt Lindner. Scholz habe von ihm „politische Unterwerfung“ verlangt, als der Kanzler auf die Ausnahme von der Schuldenbremse pochte. Der Bundeskanzler blättert währenddessen auf der Regierungsbank in seinen Unterlagen.

Eine Frage der Coolness

Dann ist es so weit. Markus Söder kämpft für Friedrich Merz – und nutzt dabei zugleich die Chance zu zeigen, dass er selbst rhetorisch ein besonders guter Kanzlerkandidat wäre. Er faltet AfD-Abgeordnete zusammen, die dazwischenrufen – was Merz zuvor allerdings auch schon getan hat. Und er spricht davon, dass der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck gedroht habe, er werde Menschen in ihrem Wohnzimmer besuchen.

„Sie werden in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als die schlechteste Bundesregierung aller Zeiten eingehen“, ruft Söder der Rest-Ampel zu. Zu Olaf Scholz, der kürzlich gesagt hat, er finde sich selbst „etwas cooler“ in Staatsangelegenheiten als seinen Gegenkandidaten Friedrich Merz, sagt Söder: Er kenne keinen in Deutschland, der uncooler sei als der Kanzler. Und am Ende seiner Rede wird Söder dann pathetisch: „Gott schütze unser Vaterland“, sagt der CSU-Chef staatstragend, „und die Demokratie und die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland.“

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Erstellt:
13. November 2024, 18:36 Uhr

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