Dominic Lobalu

Deshalb ist der Europameister ein Läufer ohne Land

Dominic Lobalu stammt aus dem Südsudan und holte im Juni in Rom EM-Gold für die Schweiz. Nun soll er in Paris für das Flüchtlings-Team des IOC eine Medaille gewinnen. Seine Geschichte ist verworren, traurig und hoffnungsvoll zugleich.

Anders als bei der EM darf Dominic Lobalu bei den Olympischen Spielen nicht für die Schweiz starten.

© Imago//Domenico Cippitelli/IPA Sport

Anders als bei der EM darf Dominic Lobalu bei den Olympischen Spielen nicht für die Schweiz starten.

Von Jochen Klingovsky

Thomas Bach war selbst mal ein erfolgreicher Athlet, mit den deutschen Florettfechtern holte er 1976 bei den Sommerspielen in Montreal Team-Gold. Ehrgeizig ist er auch danach geblieben. Vor elf Jahren wurde der Tauberbischofsheimer Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), zu seinen persönlichen Lieblingsprojekten gehört seither das Refugee-Team. Erstmals gab es eine Mannschaft für Athletinnen und Athleten, die als anerkannte Flüchtlinge nicht für ihre Heimatländer antreten können, 2016 in Rio. Es ist eine Initiative, die nicht nur Thomas Bach bei jeder Gelegenheit hervorhebt („Dieses Team sendet eine Botschaft der Hoffnung an die mehr als 100 Millionen vertriebenen Menschen in aller Welt“), es gibt an ihr tatsächlich wenig auszusetzen. Doch wie das oft so ist mit ehrgeizigen Funktionären: Gegen ein bisschen Mehr an Aufmerksamkeit hat niemand etwas einzuwenden.

Also wurden die Kriterien zur Aufnahme ins 37-köpfige Refugee-Team für Paris 2024 offenbar um einen inoffiziellen, aber nicht ganz unerheblichen Punkt erweitert: Es dürfen ruhig auch mal Athletinnen oder Athletinnen dabei sein, die eine Chance haben, eine Medaille zu gewinnen – denn das ist bisher noch keinem Olympia-Flüchtling gelungen. Was sich nun ändern wird.

Podestplatz für die Fahnenträgerin

An diesem Donnerstag (22.15 Uhr) bestreitet Cindy Ngamba in der Klasse bis 75 Kilogramm ihren Halbfinalkampf, Bronze hat die 25-jährige Boxerin damit bereits sicher. Ngamba lebt in England, bei der Eröffnungsfeier hatte sie die Fahne des Flüchtlingsteams getragen. „Bei den Olympischen Spielen zu sein, bedeutet die Welt für mich“, sagt die Athletin, sie wolle für die vielen Flüchtlinge, die „nicht an sich selbst glauben und denken, sie seien am Ende“, eine Inspiration sein: „Ich hoffe, ich gebe ihnen Motivation.“ Obwohl die Boxerin, die ihre Heimat Kamerun als Elfjährige mit ihrem Bruder verlassen hat, mittlerweile dreimalige englische Meisterin ist, darf sie aufgrund des fehlenden britischen Passes nicht für das Team Großbritannien starten. Sie teilt damit das Schicksal von Dominic Lobalu.

Auch der Leichtathlet galt im Vorfeld als ein möglicher Medaillenkandidat aus dem Refugee-Team, und das ist er immer noch. An diesem Mittwoch (11.10 Uhr) startet er im 5000-Meter-Vorlauf, es gibt sogar Experten, die ihm die Goldmedaille zutrauen – über die sich auch die Schweiz gefreut hätte. Aber von vorne.

„Dieser Mensch ist zernarbt“

Dominic Lobalu (25) wurde im von Bürgerkriegen gebeutelten Südsudan geboren, verlor als Neunjähriger seine Eltern, die ein paar Rinder besessen und Gemüse und Früchte angebaut hatten. Mit seinen vier Schwestern floh er ins benachbarte Kenia, landete in einem Flüchtlingslager. Der damals 15-jährige Teenager fand zum Glauben und dank eines kenianischen Trainers, der ihn beim Schulsport entdeckt hat, zum Laufen. Er kam in ein Team, wurde gefordert und gefördert, aber auch ausgenutzt und ausgebeutet. 2019 setzte er sich bei einem Wettkampf in Genf ab, beantragte Asyl in der Schweiz und fand beim LC Brühl in Markus Hagmann einen Coach und Freund, der ihn aufrichtete und zum Weltklasseläufer formte. „Dieser Mensch ist zernarbt, physisch wie auch seelisch“, sagt der Trainer, „doch sobald er beim Laufen ist, blüht er auf.“

In der Idylle der Ostschweiz fühlt sich Dominic Lobalu längst heimisch. „Mein Weg war nicht einfach“, sagt er, „ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal so gute Menschen finden könnte.“ Denen er nun auch etwas zurückgeben möchte.

Keine Medaille für die Schweiz

Bei der EM zuletzt in Rom holte Dominic Lobalu Gold über 10 000 Meter und Bronze über die halbe Distanz – im Trikot der Schweiz, deren Staatsbürger er allerdings frühestens 2031 werden kann. Bei internationalen Meisterschaften darf er trotzdem starten, die Statuten der Verbände lassen das zu. Die Hoffnung von Swiss Athletic, nun womöglich erstmals seit den Zeiten von Werner Günthör (Bronze im Kugelstoßen 1988 in Seoul) wieder eine Olympiamedaille holen zu können, platzte aber, als klar wurde, dass das IOC nach anderen Regeln spielt und sich dabei auch über die Empfehlung des jeweiligen Fachverbandes hinwegsetzt.

Somit blieb Dominic Lobalu, dem Läufer ohne Land, nur die Chance, die Einladung der Herren der Ringe ins Flüchtlings-Team anzunehmen. Das tat er dann auch, es war allerdings eine nicht ganz einfache Entscheidung. „Ich werde die Schweiz im Herzen tragen, ich wäre sehr gerne für meine neue Heimat gelaufen“, sagt Dominic Lobalu, „und trotzdem geht für mich ein Traum in Erfüllung.“ Zu dem gehört, als erster Flüchtling eine Olympia-Medaille zu gewinnen. Sollte dies klappen? Würde er die Plakette wohl seinen neuen Freunden in der Schweiz widmen. Oder womöglich den Flüchtlingen auf dieser Welt. Und wohl eher nicht Thomas Bach.

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Erstellt:
6. August 2024, 16:02 Uhr

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