Die Hand reichen für den nächsten Schritt
Das Begegnungscafé der Kirche vor Ort in Murrhardt ist Anlaufstelle für Menschen in schwierigen Lebenssituationen
Auf den Tischen im Begegnungscafé stehen kleine, selbst gemachte Speisekarten. Wienerle oder eine hausgemachte Suppe mit Toastbrot kosten je 1,80 Euro. Wer in der Fornsbacher Straße 3 vorbeischaut, muss aber nichts trinken oder essen. Einfach ankommen und in einem geschützten Raum auftanken ist das allererste Angebot der Initiative Kirche vor Ort. Daran anknüpfend hält das Begegnungscafé viele Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen in schwierigen Lebenslagen bereit.

© Jörg Fiedler
Volles Haus: Beim offenen Singkreis im Begegnungscafé ist einiges los. Edith Rummer (Dritte von links) und Evelin Kempter (Vierte von links) schauen, dass alle gut versorgt sind und haben ein offenes Ohr für ihre Gäste. Foto: J. Fiedler
Von Christine Schick
MURRHARDT. An diesem Donnerstagvormittag ist reger Betrieb im Café. Gruppen und Einzelne sitzen an den Tischen, halten ein Schwätzchen. Wer die Geschichte der Einrichtung nicht kennt, kommt nicht sofort auf die Idee, dass es sich um ein christlich-soziales Projekt handelt. In den Räumen in der Fornsbacher Straße 3 finden sich Murrhardter Stammgäste, Neugierige genauso wie Menschen ein, die Unterstützung suchen. Eine gute Durchmischung der Gäste ist gewollt und das Ergebnis kontinuierlicher Vertrauensarbeit.
Mittlerweile ist das Begegnungscafé volljährig, im Dezember 2000 haben es Initiatorin Ingrid Lüdecke und ihre Mitstreiter eröffnet. Evelin Kempter war von Anfang an dabei, heute ist sie gemeinsam mit Edith Rummer Hauptverantwortliche für den Cafébetrieb.
„Davor ist Ingrid Lüdecke noch mit Kaffee und Vesper im Korb durch die Innenstadt gegangen, um die kleine Mahlzeit an Bedürftige und Nichtsesshafte zu verteilen“, erzählt Evelin Kempter. „Sie hat die Vision vom Lädle gehabt, wie sie sagte, wo man Menschen in schwierigen Lebenslagen und am Rande der Gesellschaft niederschwellig Unterstützung bieten kann.“ Von deren Herzensprojekt erfuhr sie, als Ingrid Lüdecke auf der Suche nach Bettwäsche für jemanden war, dem sie eine Wohnung vermitteln konnte. „Es war klar, dass ich mitmachen würde, und dann hat es gar nicht mehr so lange gedauert, bis der Anruf kam.“ Es sei nicht so einfach gewesen, Mieträume zu finden, gewisse Ängste wegen der Zielgruppe – Menschen mit Alkohol-, Drogen- oder anderen Problemen aufgrund ihrer schwierigen Situation beziehungsweise umgekehrt – seien schon spürbar gewesen.
Die Grundidee formuliert Ingrid Lüdecke folgendermaßen: „Mir war wichtig, dass wir als Christen nicht nur in der Kirche präsent, sondern auch für die Menschen direkt vor Ort da sind, wo sie Hilfe brauchen.“ Als sie durch eine zufällige Begegnung in Kontakt mit Menschen kam, die mit Alkoholproblemen und früher auch mit Wohnungslosigkeit konfrontiert waren, begann sie sich zu engagieren – neben den Touren mit Kaffee und Vesper trommelte sie auch für die Unterstützung der Klientel mit einer Aktion auf dem Marktplatz. Und schließlich gelang es, einen Standort am Tor zur Innenstadt, in der Fornsbacher Straße 3, zu finden. Ingrid Lüdecke wirbelte weiter, und es fanden sich viele Privatleute und Firmen, die mit Spenden für die Einrichtung des Cafés und bei der Renovierung halfen. Die Mutter des Begegnungscafés konnte damit beginnen, mit dem Team nach und nach Angebote aufzubauen.
Evelin Kempter zeigt auf eine große aus Holz gearbeitete Kommode. „Das ist die Keimzelle der Fundgrube.“ Dort hielt das Team anfangs frische Kleidung für Bedürftige bereit, woraus sich später der Secondhandladen entwickelte, der heute ganz in der Nähe seinen Standort in der Hauptstraße 53 hat.
„Es kommt auch viel zurück und tut gut, jemandem helfen zu können“, sagt Edith Rummer
Wer sich im Café einfindet, soll Wertschätzung erfahren und bei Bedarf Hilfsangebote. Blumen, gedeckte Tische, im Hintergrund Entspannungsmusik, die die Gespräche am Nebentisch dezent überdeckt. Bei Erstkontakten, Beratungs- und Informationsangeboten der Erlacher Höhe, von Pfarrer Andreas Krause oder des Angehörigencafés rund um das Thema Demenz eine hilfreiche Sache, um eine gewisse Intimität zu gewährleisten. Wenn neue Gesichter auftauchen, tasten sich die Mitarbeiter vorsichtig vor. „Wir gehen auf Einzelne zu, fragen nach, was sie vielleicht brauchen könnten“, sagt Edith Rummer. Sie stieß bereits vor vielen Jahren zum Team, weil sie das Projekt beeindruckend findet. Je nach Thematik können die Gruppen wie Singkreis, Tauschring, Handarbeits- und Spieltreff oder auch die Selbsthilfegruppe zu Depressionen und Ängsten ein Angebot sein. „Aber die Leute können einfach auch hier sein, Zeitung lesen, sie müssen auch nichts verzehren“, sagt Evelin Kempter.
All dies erfordert im Hintergrund eine beachtliche Logistik. Das Team von Begegnungscafé und Fundgrube zählt rund 40 Mitarbeiter, zudem kommen private Helfer, etwa 45 Kuchenbäcker und 10 Suppenköche, die das Café um die selbst gemachten Speisen bereichern. Während Edith Rummer für die Einkaufslogistik, Mitarbeiter und Dienstpläne zuständig ist, kümmert sich Evelin Kempter um die Öffentlichkeitsarbeit, Angebotsplanung sowie Kontakte zu den Kooperationspartnern. „Wir versuchen, dass während der Öffnungszeiten ein Team von zwei Leuten im Café ist, sodass einer auch mal ein Gespräch führen kann“, sagt Evelin Kempter. Was ist ihre Motivation? „Ich glaube, ich möchte Menschen, denen es nicht so gut geht wie mir, etwas zurückgeben“, meint sie. Auch sei es klasse gewesen, beim Aufbau eines Projekts dabei gewesen zu sein, das es so in Murrhardt noch nicht gab. „Die Arbeit macht einfach einen Riesenspaß“, stellt Edith Rummer fest. „Es kommt auch viel zurück und tut gut, jemandem helfen zu können.“ Die beiden beschreiben ihr Tun als nicht mehr und nicht weniger als Menschen die Hand zu reichen für einen nächsten Schritt. Sie steuern Ideen bei, geben Anregungen und können Kontakt zu weiteren Beratungsangeboten knüpfen. Manchmal müssen sie aber auch damit klarkommen, nicht sofort einen Ansatzpunkt zu finden und so einfach helfen zu können.
Oft gehört zu den Problemen, dass Betroffene wenig Geld haben, und je nach Lage hat das Team auch die Möglichkeit, Einzelnen mal einen Gutschein für einen Einkauf im Tafelladen mitzugeben. Gleichzeitig möchte es auch Mut machende Akzente setzen, erzählen die beiden. So entstand die Idee, die Räume für kleine Ausstellungen von Murrhardter Künstlern und Kreativen zu nutzen. Aktuell stellt Edith Rummers Enkelin im Café ihre Fotografien aus.
Die beiden hauptverantwortlichen Frauen jedenfalls wollen dem Café und ihrer Arbeit treu bleiben. „Solange es geht, möchte ich auf jeden Fall noch weitermachen“, sagt Edith Rummer.
Das Projekt ist nicht nur in Murrhardt angekommen und leistet seinen Betrag an Hilfsangeboten, sondern hat auch schnell interessierte Beobachter überzeugt. 2001 erhielt es den Caritas-Gemeindepreis „Hilfe entdecken“, 2005 folgte dann der Bürgerpreis.
Das Begegnungscafé ist genauso wie die Fundgrube ein Projekt der Initiative Kirche vor Ort. Träger ist die katholische Kirchengemeinde, unterstützt werden beide zusätzlich von einem Förderverein.
Das Begegnungscafé, Fornsbacher Straße 3, in Murrhardt hat von 9 bis 12.30 und 14.30 bis 18 Uhr geöffnet, Mittwoch- und Samstagnachmittag ist geschlossen. Kontakt unter Telefon 07192/936575 oder E-Mail cafe@kircheoberesmurrtal.de.
Es lädt Menschen ein, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich zu begegnen – unabhängig von ihrer Herkunft, Weltanschauung, Konfession oder Religion. Es bestehen Kontakte zu anderen sozialen Einrichtungen, Organisationen oder auch Ämtern.
Die katholische Kirchengemeinde pflegt schon lange eine Partnerschaft mit einer Missionsstation in Ecuador; so werden Pflegeprodukte und Kunsthandwerk aus den Werkstätten um Manglaralto zum Verkauf im Café angeboten, um Familien dort zu unterstützen. Gleichzeitig werden zu bestimmten Anlässen handwerkliche Arbeiten sowie Produkte von Mitarbeitern und Gästen verkauft, um den Betrieb zu unterstützen.
Das Café bietet Firmlingen und Schülern an, ihr Sozialpraktikum dort zu machen und so Erfahrungen im Betrieb zu sammeln.
Die Termine zu den Gruppenangeboten und Treffen wie Spielenachmittag, Handarbeitstreff oder Singkreis finden sich im Serviceteil unserer Zeitung.