Die Kamera im Kopf läuft immer mit

Heiner Lucas feiert morgen seinen 75. Geburtstag – Murrhardter Kunstmaler wirft Schlaglichter auf sein Schaffen und Erleben

Als Künstler ist Heiner Lucas immer im Arbeitsmodus, auch mit seinen fast 75 Jahren. Manchmal fragt er sich, wie es wäre, wenn er einen ganz normalen Job beispielsweise als Gärtner gehabt hätte – mit festen Arbeitszeiten. Doch die existieren für ihn genauso wenig wie Ferien. „Die Kamera im Kopf ist immer eingeschaltet“, sagt er. Wahrnehmung und Beobachtung sind für ihn essenziell. Auch an seine Träume versucht er sich zu erinnern.

Heiner Lucas in seinem Atelier vor seinen Bildern – Farbexplosionen, Form- und Motivdialoge in Hülle und Fülle. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Heiner Lucas in seinem Atelier vor seinen Bildern – Farbexplosionen, Form- und Motivdialoge in Hülle und Fülle. Foto: J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT. Der Immer-in-Empfang-Modus ist eines der Dinge, mit denen Heiner Lucas als freischaffender Kreativer zurechtkommen muss. Das ist nicht immer leicht. „Es fließt so vieles vorbei“, sagt er. Bei dem, was, ähnlich wie in einem Sieb, hängen bleibt, gilt es zu überlegen, an welche Stelle es möglicherweise als Bildelement passen könnte. „Die Umsetzung dauert oft so lange, dass ich währenddessen schon etwas Neues anfangen möchte“, erzählt er. Diejenigen, die die Arbeit des Kunstmalers kennen, wissen, dass er oft genug versucht ist, Teile und Motive seiner Bilder immer wieder zu übermalen, neu zu fassen.

Das kann auch schon mal zu Unverständnis und verärgerten Reaktionen führen. Er erinnert sich, dass genau das bei einem Projekt der Fall war, das schon eine beachtliche Zeit zurückliegt und an das er nun aber möglicherweise anknüpfen wird: die Wandgestaltung einer Halle im baden-württembergischen Heubach, wo er aufgewachsen ist. 1968/69 schuf er dort ein großes Gemälde und wurde selbst zum Studienobjekt interessierter Gymnasiasten. „Sie haben mir zugeschaut, bei der Arbeit haben sich Gespräche und Kontakte ergeben.“ Einige währen bis heute, wie zu Kurt Enßle, Kantor in Schwäbisch Hall. Von manchen weiß er, dass sie in der Medizin gelandet sind, andere auch in kreativen Berufen wie Michael Gaedt von der ehemaligen Kleinkunstgruppe „die kleine Tierschau“.

Nun gibt es Gespräche mit der Stadt, vielleicht eine weitere Wand mit einem Gemälde zu gestalten, und Lucas hat sich mit einer möglichen Konzeption befasst. Ein Modell der Flächeneinteilung liegt auf dem Tisch in seinem Murrhardter Atelier. Die Idee ist, das Bild auf Einzelplatten zu bannen. Das hätte den Vorteil, zu Hause arbeiten zu können, aber auch die Schwierigkeit, nicht die ganze Dimension vor Augen zu haben – die Fläche misst 14 mal 3 Meter. „Das ist schon etwas anderes, als wenn man beispielsweise an einem überschaubaren Aquarell arbeitet.“

Heiner Lucas’ Anfänge an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart standen auch im Zeichen des Bauhauses, das dieses Jahr sein Jubiläum feiert, vor 100 Jahren gegründet wurde. Seinen Hochschullehrer Hannes Neuner, selbst Kandinsky-Schüler, erlebte er als Bauhaus-Verfechter. „Runde Formen wie hier wären für ihn tabu gewesen“, sagt Lucas, als er auf die Entwurfsskizze der Wandeinteilung tippt. Trotzdem kann er den Grundideen einiges abgewinnen. „Man hat versucht, Licht und Luft in die Gebäude zu bringen.“ Es gebe nicht nur die klobigen Anschauungsobjekte, sondern feingliedrig und durchdachte Entwürfe. Er erinnert sich an Neuners Ablehnung eines elitären, künstlerischen Gehabes, was er die Studenten spüren ließ. Ein blauer Overall diente als eine Art Gegensymbol, entlehnt aus dem Arbeitermilieu. Das Diskutieren und Argumentieren stand in seiner Zeit an der Hochschule hoch im Kurs. „Ich wollte nicht ewig rumüberlegen, was ich wie warum mache“, sagt Lucas, als er in einem dicken Bauhausband blättert, der in einem Kapitel die Farbzusammensetzung von Gesichtern analysiert. Er wollte auch einfach mal intuitiv ans Arbeiten herangehen. Aber er schätzt eben auch die Anregungen beispielsweise die Experimentierfreudigkeit, was Perspektive in der Fotografie anbelangt. Wie gesagt, die Kamera im Kopf läuft immer mit.

Musik und Lyrik sind bis heute seine Inspirationsquellen

Mit Blick auf seinen Geburtstag sagt Lucas auch: „Früher hat die Zeit keine Rolle gespielt, aber mittlerweile ist klar, dass ich nicht mehr unbegrenzt alles in Angriff nehmen kann, was ich möchte, muss sehen, was ich noch hinbekomme.“ Nach einem Sturz Ende 2017 standen für Heiner Lucas Behandlungstermine und Physiotherapie an, er merkte, dass es ein gewisser Luxus ist, den kompletten Tag Zeit zu haben, um ganz in die Arbeit einzutauchen – und er ist froh, nun wieder so gut wie hergestellt zu sein.

Inspiration holt er sich vor allem aus Gedichten und Musik – immer noch. Das Bedürfnis nach Reisen ist längst nicht mehr so groß wie früher. Im Rückblick hat er fast das Gefühl, dass so mancher Aufbruch in dieser Hinsicht fluchtartig war. Beim Blick aus dem Atelierfenster zeigt sich die noch unbemalte Landschaft am Anfang des Frühjahrs, im Innern das Gegenteil: Farbexplosionen, Form- und Motivdialoge in Hülle und Fülle in den Bildern, die Heiner Lucas in seinen Räumen stehen und hängen hat.

Bei der Einordnung seines Stils fiel schon mal das Stichwort poetischer Realismus, der Kunstmaler selbst spricht lieber von Collagetechnik, die Farben, Formen und Motive kombiniert. „Also auch nicht auf Teufel komm raus“, sagt er, „so, dass man der Sache und Idee gerecht wird.“ Dann fragt er sich selbst, woher das Interesse eigentlich kommen könnte und erinnert sich an ein Bild aus der Kindheit – der weite Ausblick an einer felsigen Kante am Rande der Schwäbischen Alb bei Heubach. Auch da lief die Kamera schon mit.

Info
Heiner Lucas beginnt sein Kunststudium heimlich

Heiner Lucas wird am 24. März 1944 in Aalen geboren, ist der älteste der insgesamt drei Geschwister und wuchs in Heubach (Ostalbkreis) auf. Sein Vater, der Berliner Maler und Akademieprofessor Carl Heinrich Lucas (1896 bis 1952), starb unerwartet, als er zwölf Jahre alt war.

Sein Onkel Karl Schäffler, der Bruder seiner Mutter, die als Hebamme arbeitete, stellte ihm drei Berufe zur Auswahl – Pfarrer, Lehrer oder allenfalls Architekt. Als er ein Baupraktikum machen sollte, fuhr er heimlich zur freien Kunstschule nach Stuttgart und begann 1963/64, dort zu studieren. Später wurde er an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart aufgenommen, an der er 1964 bis 1969 studierte.

In der Auseinandersetzung mit seinen Lehrern begann er, seinen eigenen Stil zu entwickeln, der auch bei ersten Ausstellungen Reibung und Widerstände erzeugte.

In den 1970er-Jahren zog es ihn immer mal wieder ins Ausland, er bereiste verschiedene europäische Länder, lebte zeitweise in Frankreich, Italien und Belgien. Unter anderem lernte er den Bildhauer Jacques Lipchitz und den Schriftsteller Dario Fo kennen, für den er auch einige Plakate entwarf.

1983 kam er nach Murrhardt, das er schon als Kind über Besuche bei seiner Tante Hedwig Schäffler kennenlernte. Nach der Heirat mit Edith Ledwinsky wurde sein Sohn Konrad geboren, auch er schlug später eine künstlerliche Laufbahn ein, studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Das Haus in Murrhardt wird Heim und Atelier, das Ausblicke gewährt, die teils in seinen Bildern auftauchen. Es folgen Ausstellungen, Wandmalereien und Porträtaufträge im In- und Ausland.

Weitere Infos im Netz auf der Homepage www.heinerlucas.de.

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Erstellt:
23. März 2019, 06:00 Uhr

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