Die Kandidaten haben null Punkte

Ob Union und SPD, Grüne oder AfD: Die Parteien wollen aus ihren Spitzen- auch Kanzlerkandidaten machen.

Robert Habeck (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU, v. li.) – am Ende werden die Bürger an der Wahlurne über das Personal entscheiden ,

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Robert Habeck (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU, v. li.) – am Ende werden die Bürger an der Wahlurne über das Personal entscheiden ,

Von Eidos Import

Sie kommt langsam ins Rollen, die Festlegung auf die Kanzlerkandidaten. Jenes farbenblinde Spiel um den oder die, mit denen eine Partei glaubt, zumindest im windigen Wahlkampf einen kraftmeiernden Anspruch auf die kommende Regierungsspitze plakatieren zu können. Wobei der Kanzlerkandidat nichts anderes ist und war, als ein ganz normaler Spitzenkandidat. Einer, der vom Volk gar nicht zum Kanzler gewählt wird, weil das Sache des Bundestags ist. Dort also, wo aus mickrigen Stimmanteilen schmalbrüstige Koalitionen gebildet werden müssen, in denen mittlerweile nicht einmal eine halbwegs verbindliche Vertragsunterschrift zu regierungsfähiger Berechenbarkeit führt.

Was also soll das Gewürge und Gespreize? Bis 2002 war der Spitzenkandidat von Union und SPD automatisch der, der später – je nach Bündnisfacon – vom Wahlausgang als Kanzler auf die politische Bühne trat. Oder ihr blieb. Irgendwie berechenbar. Seine Wahlaussicht fußte mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einem mathematischen Fundament. Wer an der Spitze stand, galt mal mehr, mal weniger als Zugpferd. Als echte Alternative gegen die Konkurrenz. Wer Spitzenkandidat war, hatte reelle Chancen, Kanzler zu werden. Punktum.

Candidus. Das ist Latein und heißt der Glänzende. Voltaire, der französische Philosoph, dagegen gibt in der satirischen Novelle „Candide oder die beste aller Welten“ – in der er den Optimismus ad absurdum führt – seinem tumben Helden diesen Namen.

Man darf es Guido Westerwelle zuschreiben, dass erstmals 2002 aus dem Kandidatenrennen eine flache Parodie wurde. Der damalige FDP-Vorsitzende war der erste Kanzlerkandidat einer Partei, die vorher schon wusste, dass sie nicht den Kanzler stellen würde. Trotz Guidomobil und Big Brother. Westerwelle wollte weismachen, die Liberalen könnten mit Schuhsohlenparolen 18 Prozent holen. Zum Kanzler hätten selbst die zwar nicht gereicht. Am Ende waren es ohnehin nur 7,4. Das war`s dann bis heute.

Aber das Eis war gebrochen. Seitdem verkünden viele Parteien Kanzlerkandidaten. Ab und zu mit Personen, von denen selbst Parteianhänger insgeheim hofften, der Kanzlerkelch möge an ihnen und der Republik gnädig vorübergehen.

Schlechte Kandidaten werden von den Bürgern gewählt, die nicht zur Wahl gehen. Hat Thomas Jefferson, der dritte Präsident der USA, gesagt. Das mag stimmen. Ein Grund, mit Kanzlerkandidaturen zu spielen, ist das nicht. Die Grünen mögen Annalena Bauerbock keine Träne hinterherweinen und demnächst Robert Habeck nominieren, was irgendwie den Eindruck schinden soll, die Partei habe dazu in einer Wie-auch-immer-Koalition das Potenzial. Es bleibt eine Parteienposse. In der AfD liebäugelt man mit Alice Weidel, obwohl die nicht mal im Ansatz eine Chance hat, in einem Bündnis von Demokraten die erste Geige zu spielen. Das wäre nicht viel mehr als eine PR-Perversion.

Und die SPD? Die wird immerhin aus einem Kanzler einen matten Kanzlerkandidaten machen dürfen. Auch wenn Olaf Scholz ähnlich magere Proviantprozente im Gepäck haben dürfte wie Grüne und AfD.

Bleibt Friedrich Merz. Der Höchstwahrscheinliche von CDU und CSU. Einer, den die stärkste und bisher in allen Umfragen weit vorn liegende Oppositionspartei mehr notgedrungen denn überzeugt als taffen Kanzlerkandidaten ausrufen muss, will die Union den Regierungswechsel an einem Kopf festmachen.

Am Ende werden die Bürger und Bürgerinnen an der Wahlurne über Programme und Personen entscheiden. Möglich, dass viele dann zum Kanzleramt schauen und rufen: Die Kandidaten haben null Punkte.

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Erstellt:
18. Juli 2024, 22:18 Uhr
Aktualisiert:
19. Juli 2024, 21:50 Uhr

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