Schwarz-rote Koalition
Die Pflegereform ist die größte Aufgabe des künftigen Gesundheitsministers
Der Koalitionsvertrag ist in seinem gesundheitspolitischen Teil nicht besonders ambitioniert. Konflikte werden ausgeklammert oder in Kommissionen verschoben.

© dpa/Rolf Vennenbernd
Karl Lauterbach (SPD) hatte das Gesundheitswesen unter Strom gesetzt. Nun soll es ruhiger werden.
Von Norbert Wallet
Karl Lauterbach (SPD) hatte in seiner turbulenten Amtszeit als Bundesgesundheitsminister das deutsche Gesundheitswesen dreieinhalb Jahre lang unter Strom gesetzt. Corona, Krankenhausreform, Digitalisierung, Cannabisgesetz, Kampf gegen Lieferengpässe – die Gesetze kamen im Stakkato, viele von ihnen, allen voran die Krankenhausreform, unter heftigsten Konflikten.
Es hat den Anschein, dass sich die künftigen Koalitionäre von Union und SPD vorgenommen haben, den Hitzeregler in der kommenden Legislaturperiode nach unten zu drehen. Es könnte insgesamt in der Gesundheitspolitik weniger konfliktträchtig werden.
Das liegt allerdings auch daran, dass in vielen Grundsatzfragen die Auffassungen so weit auseinanderliegen, dass streitige Themen ganz oder weitgehend ausgeklammert wurden. Das gilt etwa für Fragen der Annäherung von Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung oder für die Unionsforderung nach höheren Eigenbeteiligungen. Oder es wurde zum traditionellen Mittel politischer Konfliktbefriedung gegriffen: Wenn Du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis.
So steht der gesundheitspolitische Teil des Koalitionsvertrags diesmal nicht mehr im Zeichen großer Strukturumbrüche. Es geht eher darum, den Laden am Laufen zu halten. Was aber nur funktionieren kann, wenn die Kosten nicht völlig aus dem Ruder laufen. An drei Stellen wird diese Politik der gesundheitspolitischen Brandbekämpfung – und ihre Grenzen – besonders deutlich: bei der Finanzsituation der Kranken- und Pflegekassen und der angestrebten Verringerung überflüssiger Arztkontakte. Der Reihe nach:
Wie soll das Steigen der Krankenkassenbeiträge gebremst werden?
Die gesetzlichen Krankenkassen registrierten im vergangenen Jahr ein Defizit von 6,2 Milliarden Euro. Die Koalitionäre bleiben denkbar unklar, was dagegen unternommen werden soll: Eine Kommission soll „bis zum Frühjahr 2027“ konkrete Maßnahmen vorschlagen. Die Einnahmen sollen vor allem durch „ein höheres Beschäftigungsniveau“ steigen. Die Koalitionsverhandlungen hatten gezeigt, dass beide Partner im Prinzip bereit sind, die Kassen von den Ausgaben für Bürgergeld-Bezieher zu befreien und den Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds zu dynamisieren. Im Koalitionsvertrag findet sich dazu aber nichts mehr. Allerdings sollen die Kassen nicht mehr den Transformationsfonds für die Klinikreform mitfinanzieren. Das Geld soll nun aus dem Sondervermögen kommen. Zu einem von den Kassen geforderten Vorschaltgesetz, dass bis zu konkreten Maßnahmen ein Ausgabenmoratorium vorsehen könnte, steht auch nichts im Vertrag. Kosten sollen zudem „auf der Ausgabenseite“ reduziert werden. Dazu soll das Gesundheitssystem effizienter werden.
Was bringt das Primärarztsystem?
Die Koalition will den Hausarzt als Lotsen durch das Gesundheitssystem verpflichtend für alle Patienten etablieren. Die Idee: Der Primärarzt „stellt den medizinisch notwendigen Bedarf für einen Facharzttermin fest“. Dafür soll es eine Termingarantie geben. Ist die nicht einzuhalten, soll für die betroffenen Patienten der Facharztzugang im Krankenhaus ambulant ermöglicht werden. So soll die Zahl der unnötigen Facharztbesuche und Doppeluntersuchungen verringert werden. Das Problem: Das Modell führt nur dann zu Kostensenkungen, wenn die Fachärzte der Versuchung widerstehen, weniger Patientenbesuche durch mehr Behandlungen auszugleichen.
Wie sollen die Pflegekassen entlastet werden?
Angekündigt wird eine „große Pflegereform“. Auch hier wird eine Kommission gegründet. Die soll „noch 2025“ Ergebnisse vorlegen. Alles soll auf den Tisch, von den versicherungsfremden Leistungen bis zu den immer drückender werdenden Eigenanteile bei den Heimkosten. Die anzusprechenden Punkte werden säuberlich aufgelistet, Lösungswege aber noch nicht skizziert. Das Thema dürfte die gesundheitspolitische Debatte des Jahres bestimmen und für den kommenden Minister die größte Herausforderung seiner Amtszeit werden.
Was ist sonst noch wichtig?
Viel konkreter wird es nicht. Eine Enquete-Kommission soll die Corona-Zeit aufarbeiten, um besser für künftige Pandemien gerüstet zu sein. Das Cannabisgesetz wird nicht wieder abgewickelt. „Im Herbst 2025 führen wir eine ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes“ durch, heißt es im Vertrag. Die Krankenhausreform steht. Auf einige Bedenken der Länder soll Rücksicht genommen werden. Der Einstieg privater Investoren in medizinischer Versorgungszentren soll durch ein Gesetz geregelt werden, „das Transparenz über die Eigentümerstruktur sowie die systemgerechte Verwendung der Beitragsmittel sicherstellt“.