Die Schul-KI lädt zum Bewerbungsgespräch
Die Zehntklässler am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium Murrhardt haben im Rahmen ihrer Betriebs- und Berufsorientierung mit einem Chatbot trainiert, der einen schriftlichen Vorstellungsdialog simuliert. Das System ist nicht perfekt, als Hilfe zum Herantasten bewährt es sich aber.
Von Christine Schick
Murrhardt. Die Jugendlichen der 10. Klasse am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium lesen, tippen, lesen und überlegen. Im obersten Stockwerk des Murrhardter Schulgebäudes werden gerade über 30 Bewerbungsgespräche geführt. Parallel. Schriftlich. „Warum bewirbst du dich für die Stelle? Erzähl etwas über dich!“, fordert der auf spezielle Schulzwecke zugeschnittene, KI-basierte Chatbot die Schülerin auf, die als Bewerberin für eine Ausbildung zur Buchhändlerin angetreten ist. Bei einer anderen Zehntklässlerin, die in Richtung Architektur gehen will, stellt das digitale Gegenüber fest: „Es ist doch schön, zu hören, dass Sie schon während der Schulzeit so ein starkes Interesse für Architektur haben.“ Die Schülerin sagt: „Er mag mich“, und grinst.
Es gibt ganz verschiedene Berufsrichtungen und Stellen, für die die Jugendlichen ihre Bewerbungsunterlagen zusammengestellt haben, wie eine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personalmanagement, ein duales Studium im technischen Bereich zwischen Hard- und Software oder Landschaftsgärtner. Ein Zehntklässler ist mit der Frage konfrontiert: „Wie schätzen Sie Ihren Umgang mit Lieferanten ein?“ In einem anderen schriftlichen Vorstellungsgespräch will der Chatbot wissen, wie es mit der Erfahrung in technischer Implementierung aussieht. Gianluca Canella, der die Betriebs- und Berufsorientierung am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium als Lehrer begleitet, übersetzt, dass damit ein Einführen von technischen, neuen Lösungen im Unternehmen gemeint ist.
Canellas Tipp ist, Beispiele zu finden,
die Fähigkeiten oder Interessen zeigen
Insgesamt sind es zehn Fragen, die die Jugendlichen während ihres Bewerbungsgesprächs gestellt bekommen und zu beantworten versuchen. Das funktioniert mal besser, mal schlechter. „Er fragt immer das Gleiche“, sagt ein Schüler irritiert. „Vielleicht will er spezifischere Beispiele“, überlegt Gianluca Canella, der am Gymnasium Spanisch, Gemeinschaftskunde und Wirtschaft unterrichtet und auch in diesen Fächern mit KI-basierten Anwendungen arbeitet, teils zur Unterstützung, teils um die Technik selbst transparenter zu machen.
Die Abschlussantwort „Viel Erfolg bei der Bewerbung“ lässt bei einem Zehntklässler nicht das Gefühl aufkommen, dass es sich um ein völlig reales Szenario handelt, trotzdem hat er keinen schlechten Eindruck vom Frage-Antwort-Training.
„Manche Fragen sind schon ähnlich“, räumt Gianluca Canella ein. Im Vorfeld hat er den Chatbot entsprechend instruiert und mit zwei eigenen Bewerbungen getestet – als Junior Account Manager und Immunbiologe. Er hält das Training für ein gutes im Sinn eines Aufwärmens und Herantastens und hat viel Zeit in die Vorbereitung der Geräte gesteckt. Als Basis dient eine Schul-KI, um vom Datenschutz her abgesichert zu sein. Bisher meldet man sich bei entsprechenden Systemen und Anbietern jeweils mit personenbezogenen Daten an, was vermieden werden sollte. Trotzdem lässt der Pädagoge immer mal wieder fallen, sich lieber für einen Fantasienamen als den echten zu entscheiden.
Als auch die letzten Bewerbungsgespräche abgeschlossen sind, will Gianluca Canella wissen, was seine Schülerinnen und Schüler gut und weniger gut fanden und wo sie die Unterschiede zu einem Vieraugenbewerbungsgespräch sehen. Es wird zusammengetragen, dass das KI-basierte Programm teils in der Lage war, inhaltlich differenziert auf die Antworten einzugehen und Fragen zu verschiedenen Bereichen zu stellen. Umgekehrt war denen aber manchmal auch anzumerken, dass sie von völlig anderen Voraussetzungen ausgingen. Nicht selten schwang bei der Formulierung mit, dass die KI jahrzehntelange Berufserfahrung vorauszusetzen schien.
Canella erläutert, dass die Zehntklässlerinnen und Zehntklässler versuchen sollten, diese Erfahrung an anderen Stellen zu suchen, zu identifizieren und schließlich als Beispiel für die geforderten Fähigkeiten zu offerieren. „Wenn es um Teamfähigkeit geht, könntet ihr beispielsweise erwähnen, dass ihr im Fußballverein spielt oder euch bei der SMV engagiert.“ Die Unterschiede zum realen Gespräch? Beim schriftlichen Beantworten der Fragen war vergleichsweise viel Zeit, in einem Dialog kann oder muss das um einiges spontaner ablaufen, so ein Zehntklässler. Das macht sich möglicherweise auch in der Art der Sprache bemerkbar. Außerdem kommt in einem persönlichen Gespräch noch der Augenkontakt hinzu und die Nervosität dürfte eine größere Rolle spielen.
Aber auch diese Situationen können die Schülerinnen und Schüler trainieren. Auch das Livevorstellungsgespräch ist Teil der Betriebs- und Berufsorientierung am Gymnasium. Rund sechs Vertreterinnen und Vertreter der Partnerbetriebe des Unternehmerforums Oberes Murrtal nehmen sich Zeit, um mit den Jugendlichen Bewerbungsgespräche zu führen.
Preiswürdiges Projekt Die Betriebs- und Berufsorientierung (BBO) des Heinrich-von-Zügel-Gymnasiums Murrhardt ist fester Bestandteil des Unterrichts in der 10. Klasse. Getragen wird das BBO neben der Schule und dem pädagogischen Team vom Unternehmerforum Oberes Murrtal, der IHK Rems-Murr, der Arbeitsagentur Rems-Murr, der Kreissparkasse, der Volksbank und der Stadt Murrhardt. Das BBO hat 2012 den zweiten Platz des Förderpreises in der Kategorie „Schulkooperation mit externen Partnern“ des „Forums Region Stuttgart“ erhalten. Dieses Qualitätsniveau gilt es zu erhalten und angesichts von Veränderungen in der Schul- und Firmenwelt weiterzuentwickeln und zukunftsfähig zu machen, erklärt das Gymnasium. Das BBO hat fünf Module: Entscheidungstraining, Jobmesse, Bewerbungstraining, Unternehmenserkundung und Praktikum.
Weiterentwicklung Neu ist der Einsatz eines KI-basierten, schriftlich geführten Bewerbungsdialogs. Unterstützt hat das Thema Bewerbungstraining zudem Kathrin Duarte Pires von der Berufsberatung der Agentur für Arbeit. Sie hat im Vorfeld skizziert, wozu ein Vorstellungsgespräch beiden Seiten dient, und die Phasen beschrieben (Einstieg, Kennenlernen des Gegenübers, Selbstpräsentation, Fragen und Abschluss). Gemeinsam mit den Zehntklässlerinnen und -klässlern sowie dem Lehrer Gianluca Canella hat sie erarbeitet, was generell zu beachten und typisch ist und wie man sich gut vorbereitet. Die Aspekte reichten von Umgangsformen bis hin zu möglichen eigenen und Fragen des Arbeitgebers.