Die Wahrnehmung legt die Basis
Entwicklung im Blick: Heilpraktikerin Petra Munz beschäftigt sich mit Lernproblemen bei Kindern
Heilpraktikerin Petra Munz aus Sulzbach an der Murr ist davon überzeugt, dass etliche Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern auf Defiziten der Wahrnehmungsfähigkeiten basieren, die wiederum auf unvollständig ablaufende Entwicklungsstufen zurückzuführen sind. In ihrem Vortrag „Schon auffällig oder einfach nur ungewöhnlich?“ schlüsselte sie das Themenfeld genauer auf.
Von Elisabeth Klaper
MURRHARDT. Auf Einladung des Krankenpflegevereins Murrhardt zeigte Petra Munz vor zahlreichen Müttern im Heinrich-von-Zügel-Saal mit diversen Beispielen die Zusammenhänge zwischen Entwicklung, Wahrnehmung und Koordination bei Kindern auf. Dazu erklärte sie die menschlichen Grundwahrnehmungssysteme, sprich die Sinne wie Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken, aber auch Gleichgewichts- und Bewegungssinn (Motorik) sowie deren Koordination, Kooperation und Verarbeitung im Gehirn. „Etwa 80 Prozent unserer Eindrücke bekommen wir über das Sehen“, hob die Referentin hervor. Dabei gelte es, einige komplexe Funktionen möglichst schnell zu koordinieren, wie Nah- und Fernsicht einzustellen, bestimmte Objekte zu fixieren, aber auch rasche Blickwechsel. Zudem hängen die Augenfunktionen und das Gleichgewicht eng zusammen. Beim Hören gehe es um die Frequenzbreite, also wie tief und wie hoch jemand hören und wie gut er oder sie Tonhöhen und -längen unterscheiden kann. Entscheidend sei das Richtungshören, also zu erkennen, woher ein Geräusch kommt, und wichtige Informationen aus einem erhöhten Lärmpegel herauszufiltern, beispielsweise die Stimme des Lehrers aus den diversen Geräuschen in einer Schulklasse.
Die Wahrnehmungssysteme und die dazugehörenden Prozesse müssten in den ersten Lebensjahren erlernt, aufgebaut und verfeinert werden. Die Entwicklung eines Kindes verlaufe in verschiedenen aufeinanderfolgenden Stufen: Werden einzelne oder mehrere davon nicht ausreichend durchlaufen, führe das zu Problemen. „Funktioniert ein Wahrnehmungssystem nicht so gut, müssen die anderen Systeme viel mehr arbeiten, um dieses Defizit auszugleichen. Dadurch verändert sich auch das Verhalten, die Lernleistung ist geringer, und das zur Verfügung stehende Potenzial kann nicht abgerufen werden“, erläuterte die Heilpraktikerin.
Wenn es an einer Stelle Defizite gibt, müssen diese durch Mehrarbeit an anderer Stelle ausgeglichen werden
Ursachen für viele Lern-, Verhaltens-, Bewegungs- und Wahrnehmungsprobleme bei Kindern, wie Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten mit Vertauschen von Buchstaben, ständiger Bewegungsdrang und unzureichende Konzentrationsfähigkeit sind laut Petra Munz Störungen bei der Entwicklung des Nervensystems, zudem spielten dabei auch die frühkindlichen Reflexe eine Rolle. Diese werden wie alle Reflexe und lebenswichtigen Funktionen wie Atmung und Herzschlag vom Hirnstamm gesteuert.
Die frühkindlichen Reflexe entstehen meist bereits während der Entwicklung des Embryos in der Gebärmutter und tragen maßgeblich zur Entwicklung eines Kindes bei. Sie seien in den ersten Lebenswochen und -monaten eines Kindes zu beobachten und werden dann normalerweise im Rahmen der Entwicklung des Großhirns unterdrückt. Mithilfe dieser Bewegungsabläufe bilden Kinder eine Basis für Fähigkeiten aus, die sie später bei komplexeren Handlungen wie Lernen benötigen. Indes komme es immer wieder vor, dass diese Reflexe in Form von Restreaktionen auch später noch auftreten, hat Petra Munz beobachtet. Sie ist auch Enwako-Trainerin, die Bezeichnung setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben der Begriffe Entwicklung, Wahrnehmung und Koordination. Das von Niels Ewald entwickelte, seit 2010 praktizierte Enwako-Training ist eine ganzheitliche, individuell auf die Persönlichkeit und deren Probleme abgestimmte Behandlungsmethode, die teils auf bekannten Therapien basiert und verschiedene Bausteine umfasst. Im Zentrum steht das Wahrnehmungstraining zur neurologischen Entwicklungsförderung für Kinder, aber auch Erwachsene. Dabei werden Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Koordinationsstörungen frühkindlichen Bewegungsmustern zugeordnet, Letztere werden entwickelt und gefördert.
Anschließend beantwortete Petra Munz etliche Fragen der Mütter zu verschiedenen Themen. Dabei ging sie konkreter auf das Enwako-Training ein. Es umfasse eine gründliche Untersuchung und Diagnose durch ein umfangreiches Testprogramm. „Dabei werden die visuelle und auditive Wahrnehmung, frühkindliche Reflexe und Gleichgewicht mithilfe verschiedener Messmethoden überprüft.“ Die Auswertung zeige den Entwicklungsstand und die Wahrnehmungsdefizite auf. Dementsprechend erfolge das individuell abgestimmte Training durch verschiedene Übungen. „Leider übernehmen die gesetzlichen und privaten Krankenkassen die Kosten für das Enwako-Training nicht“, bedauerte die Heilpraktikerin.
Weiter sagte sie, sie habe den Eindruck, dass heute die natürliche, gesunde Wahrnehmungsentwicklung der Kinder ungünstig beeinflusst werde, teils durch überfürsorgliche Eltern, teils durch zu frühe Beschäftigung mit modernen Medien. So bekämen manche Kleinkinder schon Smartphones, dürften aber aus hygienischen Gründen nicht auf dem Boden krabbeln. Dabei sei das Krabbeln für die Entwicklung der Bewegungskoordination sehr wichtig, betonte Petra Munz.