Unruhe in Oberschwaben

Drittes Biosphärengebiet auf der Kippe?

In Oberschwaben soll Baden-Württembergs neueste große Förderlandschaft entstehen. Kriegsangst und Wirtschaftssorgen allerdings schwächen die anfängliche Euphorie. Ein Landrat, ein Regierungspräsident und eine Ministerin appellieren an den Optimismus in den Rathäusern.

Das Wurzacher Ried ist das größte intakte Hochmoor Mitteleuropas. Es soll im Zentrum des neuen Biosphärengebiets liegen.

© dpa/Felix Kästle

Das Wurzacher Ried ist das größte intakte Hochmoor Mitteleuropas. Es soll im Zentrum des neuen Biosphärengebiets liegen.

Von Rüdiger Bäßler

Kippt die Stimmung gegen ein geplantes Biosphärengebiet Allgäu-Oberschwaben? Zumindest auf die Notwendigkeit, deutlich mehr Werbung fürs Großprojekt zu machen, deutet ein Besuch der grünen Umweltministerin Thekla Walker am Donnerstag in Bad Waldsee hin. Dort tagte wieder einmal die kommunale Arbeitsgemeinschaft Biosphärengebiet, die herausfinden will, was Dörfern und Gemeinden am wichtigsten ist. Sie sei verschiedentlich gefragt worden, sagte Walker am Rand der Veranstaltung, ob ein Biosphärengebiet die Vermehrung von Naturschutzgebieten bedeute. „Die Antwort ist klar nein“, so die Ministerin.

Bis Ende 2026, so die Pläne, sollen die Gemeinden im Raum Oberschwaben und württembergisches Allgäu Entscheidungen treffen, ob sie einem solchen Biosphärengebiet beitreten wollen. Ganz nach den Beispielen der Biosphärengebiete Schwarzwald und Schwäbische Alb. 30 000 Hektar Förderfläche seien das Minimum für eine solche Ausweisung, sagt Timo Egger, Sprecher der kommunalen Arbeitsgemeinschaft und Bürgermeister von Fleischwangen (Kreis Ravensburg). Doch man wolle viel mehr, das Suchgebiet umfasse 184 000 Hektar Fläche, und im Zentrum das Federseemoor, das Wurzacher Ried und das Pfrunger-Burgweiler Ried. Wie viele und welche Gemeinden umworben werden, sagt Egger nicht.

Halbzeit in der Sondierungsphase

Der aktuelle Prüfauftrag steht im geltenden Koalitionsvertrag vom Mai 2021, ausgehandelt zwischen CDU und Bündnis 90/Die Grünen. Doch mittlerweile ist die Welt eine andere, eine bedrohlichere – wegen Kriegen, allgemeiner Wirtschaftsschwäche, der Trump-Wiederwahl oder dem Zerfall der Berliner Ampel-Koalition. Die Ministerin Walker bestätigt: „Die Realitäten haben sich völlig geändert.“

Um so wichtiger sei es aber, „diesen Prozess zu Ende zu führen“. Biosphärengebiete schafften nicht zuletzt Einnahmen für Regionen, etwa durch den Zugang zu lukrativen Förderprogrammen für Tourismus oder Land- und Forstwirtschaft. Der Tübinger Regierungspräsident Klaus Tappeser (CDU) ergänzt, es gehe schließlich auch um die Sondierung der Kultur- und Zukunftsfrage, wie die Menschen in Oberschwaben künftig miteinander zu leben gedächten.

Oberschwaben – ein disparates Gebilde

Ein Biosphärengebiet kann abgehängten ländlichen Räumen eine Strukturhilfe sein, doch so einfach ist es in Oberschwaben nicht. In kleineren Gemeinden wohnen häufig Menschen, die tagsüber bei internationalen Konzernen wie dem Ravensburger Pharmaunternehmen Vetter, dem Maschinenbauer Voith oder dem Caravanhersteller Hymer arbeiten. Der Ravensburger Landrat Harald Sievers (CDU) betont denn auch: „Uns muss nicht geholfen werden.“ Er verstehe die Biosphäre mehr als umfassendes „Regionalentwicklungsinstrument.“

Nicht nur Zeichen allgemeiner Sorgen und Ängste nehmen die Projektbefürworter in Oberschwaben derzeit wahr. Auch die konkrete Gegnerschaft ist gut organisiert. Sie besteht, vereint unter dem Dach einer „Allianz für Allgäu-Oberschwaben“, aus Vertretern des örtlichen Bauernverbandes, der Forstkammer Baden-Württemberg, den Familienbetrieben Land und Forst Baden-Württemberg, dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, dem Verband der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer sowie land- und forstwirtschaftlichen Betrieben. Deren Credo: Das Vorhaben sei politisch motiviert, habe unvorhersehbare Auswirkungen auf das Eigentum und sei „de facto irreversibel“, so eine Stellungnahme.

Hilft eine Ausstiegsklausel?

Ministerin Walker tritt dem entgegen. Allen Gemeinden, die sich für einen Beitritt zum Biosphärengebiet entschlössen, stehe eine „Ausstiegsklausel“ offen. „Wer freiwillig einsteigt, kann auch freiwillig wieder aussteigen.“ Das gelte etwa für den Fall, dass EU-Vorgaben aus Brüssel sich änderten. Sollte alle Überzeugungsarbeit nicht fruchten und das dritte Biosphärengebiet im Südwesten Wunsch bleiben, hat Regierungspräsident Tappeser vorsorglichen Trost parat. Schon jetzt habe es viele erfreuliche, verbindende Gespräche gegeben. „Der Weg ist das Ziel.“

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Erstellt:
14. November 2024, 16:42 Uhr
Aktualisiert:
14. November 2024, 17:52 Uhr

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