Rekordzahl bei Infektionen
Bei Scharlach braucht es nicht gleich Antibiotika
Scharlach-Infektionen haben bei Kindern in Baden-Württemberg stark zugenommen. Doch inzwischen zeigen Erfahrungswerte von Kinderärzten: Nicht jeder Patient braucht sofort eine medikamentöse Behandlung oder muss wochenlang zuhause bleiben.
Von Regine Warth
Es sind vor allem Mädchen im Alter von zehn bis vierzehn Jahren, die eine besondere Anfälligkeit für Scharlach gezeigt haben: Bei der großen Scharlachwelle im vergangenen Jahr haben sich die Infektionen mehr als verfünffacht, heißt es in der aktuellen Sonderanalyse im Rahmen des baden-württembergischen DAK-Kinder- und Jugendreports. Demnach wurden 2023 viermal mehr Kinder mit Scharlach in Arztpraxen behandelt als noch 2022. Insgesamt waren hochgerechnet rund 54 100 Kinder im Alter von einem bis 14 Jahren betroffen – der höchste Stand der vergangenen fünf Jahre. „Entscheidend ist dabei, Eltern über Infektionskrankheiten wie Scharlach zu informieren und auf die Einhaltung grundlegender Hygieneregeln hinzuweisen“, sagt Siegfried Euerle, Landeschef der DAK-Gesundheit in Baden-Württemberg. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu der Infektionskrankheit.
Wie steckt man sich mit Scharlach an?
In Kindergärten und Schulen können sich die Scharlachbakterien – es handelt sich um Streptokokken – schnell verbreiten. Zur Ansteckung kommt es durch erregerhaltige Tröpfchen, die durch Husten, Niesen oder verunreinigte Hände verteilt werden. Spätestens am dritten Tag nach der Ansteckung zeigen sich Beschwerden: Halsschmerzen, Fieber, ein nicht juckender Hautausschlag mit vielen roten Flecken am Körper und eine rote Zunge. Teils kann es auch zu Bauchschmerzen und Erbrechen kommen. Im Gegensatz zu vielen anderen Kinderkrankheiten kann man mehrmals an Scharlach erkranken. Anlaufstelle für Patienten mit Verdacht auf Scharlach ist der Kinder- oder der Hausarzt.
Ist wieder eine Scharlachwelle zu erwarten?
„Der starke Anstieg von Scharlach-Fällen bei Kindern im Jahr 2023 ist auf Nachholeffekte nach der Pandemie zurückzuführen“, sagt Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Auch in diesem Herbst kommen Scharlach-Infektionen wieder vor – „aber nicht mehr in ungewöhnlich hoher Zahl“, sagt der Kinder- und Jugendarzt Özgür Dogan, Obmann der Stuttgarter Kinderärzte. Das liegt unter anderem daran, dass Kinderärzte bei Patienten mit typischen Symptomen nicht mehr zwingend einen Streptokokken-Abstrich machen oder frühzeitig mit Antibiotika behandeln, wenn das Kind nicht stärker beeinträchtigt ist. Das sei vor einigen Jahren noch anders gewesen, sagt Dogan. Damals wollte man die Krankheit schnell erkennen und medikamentös behandeln. „Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass eine frühe Antibiotikabehandlung die Krankheitsdauer nur geringfügig verkürzt“, sagt Dogan. Zudem sei die Wahrscheinlichkeit, dass sich aus einer unbehandelten Scharlachinfektion Komplikationen entwickeln, in Deutschland eher gering. Demgegenüber stehe das Risiko von Nebenwirkungen und Resistenzentwicklungen. Deshalb seien die Kinderärzte im Umgang mit Scharlachinfektionen abwartender geworden.
Ab wann darf ein Kind mit Scharlach wieder in den Kindergarten oder in die Schule?
Noch im Jahr 2023 hieß es seitens des Robert-Koch-Instituts, dass Kinder mit Scharlach 24 Stunden nach Antibiotikagabe zurück in die Schule oder in den Kindergarten dürfen. Bei unbehandelter Erkrankung sollte dies erst nach drei Wochen der Fall sein. „Inzwischen hat man diese Regelung geändert“, sagt Dogan. Nun gilt, dass Patienten mit Scharlach-Verdacht 24 Stunden nach Abklingen der Symptome wieder am Schul- oder Kindergartenalltag teilnehmen dürfen.
Wann wird Scharlach mit Medikamenten behandelt?
Scharlach kann mit Antibiotika behandelt werden, in der Regel mit Penicillin. Alternative Präparate wie Cephalosporine oder Makrolide sollten wegen der zunehmenden Resistenzproblematik nur in begründeten Ausnahmen verordnet werden. Grundsätzlich werden Medikamente nur dann verordnet, wenn die Kinderärzte den Eindruck haben, dass ein Kind schwerer erkrankt ist und der Verdacht durch einen Streptokokkenabstrich bestätigt wird.
Derzeit sind bei den genannten Medikamenten auch keine Lieferengpässe bekannt, heißt es seitens der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. „Die Apotheken haben aufgrund der Erfahrungen in den vergangenen Jahren Vorkehrungen getroffen, um die Patientenversorgung zu gewährleisten“, sagt die Sprecherin Mirjam Taufenbach. Dies geschieht durch vorausschauende Bestellungen, alternative Bezugswege und in Einzelfällen Selbstherstellung im Labor der Apotheke.