Orban in Straßburg
Ein eisiger Wind weht durchs Europaparlament
Die Abgeordneten liefern sich einen harten Schlagabtausch mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban – der keilt kräftig zurück.
Von Knut Krohn
Im Straßburger Europaparlament wurden am Mittwoch die Viktor-Orban-Festspiele gegeben. Wäre die Aufmerksamkeit für einen Politiker das Maß für Ansehen und Einfluss, stünde der ungarischer Premier in einer Reihe mit den großen Persönlichkeiten dieser Welt. Im Fall von Orban ist eher das Gegenteil der Fall. Kein anderer Politiker provoziert so viel Widerspruch, wie der Autokrat aus Budapest.
Dabei sei er in friedlicher Absicht gekommen, versicherte der rechtsnationale Regierungschef geradezu treuherzig. Er wolle lediglich das Programm der ungarischen Ratspräsidentschaft skizzieren, mit dem er nur ein Ziel habe: „Lassen Sie uns Europa wieder groß machen.“ Der Satz ist eine Abwandlung des Slogans „Make America Great Again“ von US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump. Schon in einer Pressekonferenz am Tag zuvor hatte der Premier eine Fortsetzung seines umstrittenen Kurses angekündigt. Er verteidigte seine selbst erklärte „Friedensmission“, die ihn Anfang Juli zu Kreml-Chef Wladimir Putin und zum republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump geführt hatte. „Wir werden mehrere Flaschen Champagner öffnen, wenn Trump gewählt wird“, provozierte der Rechtsnationalist seine Kritiker.
Viktor Orban geht auf Konfrontationskurs
Im selben Tonfall formulierte Orban seine Rede vor den Parlamentariern. Er präsentierte Ungarn als eine Erfolgsgeschichte. Gleichzeitig attestierte er der EU ein vernichtendes Zeugnis und stellte in seiner Rede zentrale EU-Beschlüsse der vergangenen Jahre in Frage. „Das europäische Asylsystem funktioniert einfach nicht“, erklärte er. Die Abkopplung der EU von russischem Öl und Gas bedrohe das Wachstum in Europa, kritisierte Orban, dessen Land seine Gasbezüge aus Russland noch ausgebaut hat. Der Green Deal ist in seinen Augen ein Programm, um die Europas Wirtschaft zu zerstören.
Scharfe Attacken gegen Ungarns Premier
Schon während der Rede schwenkten sozialdemokratische Abgeordnete Schilder mit der Aufschrift „Demokraten gegen Autokraten“. Das linke Lager stimmte nach seiner Ansprache die antifaschistische Hymne „Bella Ciao“ an. Das Rechtsaußen-Lager applaudierte dem Ungarn dagegen im Stehen. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola reagierte eher gelassen und bat darum, die Würde des Hauses zu respektieren, man sei nicht beim „Eurovision Song Contest“.
Die Stimmung im Saal wurde noch schärfer, als die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ans Mikrofon trat. Denn die Politikerin, die in angespannten Situationen immer wieder moderierende Worte findet, feuerte eine politische Breitseite in Richtung des ungarischen Regierungschefs. Sie rügte Orban dafür, dass in Ungarn Unternehmen aus anderen EU-Staaten durch höhere Steuern oder willkürliche Inspektionen diskriminiert würden. Zudem warf sie ihm Nepotismus vor, denn es profitierten nur eine kleine Gruppe von öffentlichen Aufträgen. Ursula von der Leyen hielt ihm vor, dass die ungarische Regierung Russen ohne Sicherheitschecks ins Land lasse und es der chinesischen Polizei erlaube, in Ungarn zu arbeiten. „Das ist keine Verteidigung der Souveränität Europas. Das ist eine Hintertür für ausländische Einmischung“, wetterte sie. Zudem warf sie Ungarn vor, sich nicht an europäische Absprachen zu halten. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine habe die EU beschlossen, sich unabhängiger von russischer Energie zu machen, Budapest tue aber genau das Gegenteil.
Orban witterte eine Brüsseler Verschwörung
Doch nicht nur Ursula von der Leyen hat die Geduld mit Viktor Orban verloren. Manfred Weber, Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, kritisierte vor allem dessen Kungeleien mit dem Kreml. Angesichts Orbans Besuches in Moskau sagte der CSU-Politiker: „Ihre Reise war keine Friedensmission, sondern eine Propagandareise für Diktatoren.“ Der Premier habe sein Land aus dem Herzen Europas in die politische Isolation geführt.
Viktor Orban saß in der ersten Reihe des Parlaments und nahm die Angriffe scheinbar stoisch entgegen. Manchmal schüttelte der Ungar den Kopf oder schnaufte tief durch, bis er schließlich noch einmal zur Erwiderung ans Mikrofon treten konnte. Wieder gab er das Unschuldslamm, denn er habe nicht über Differenzen sprechen wollen, nun sei er aber gezwungen, sich zu wehren. Schnell wurde deutlich, dass Orban eine Art Brüsseler Verschwörung gegen sich wittert. In der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sieht er eine politische Waffe, eingesetzt gegen Europas Patrioten.
Persönliche Angriffe auf Manfred Weber
In die untere Schublade griff der Premier bei einem persönlichen Angriff auf Manfred Weber. „Sie wollen dort sitzen, wo Ursula von der Leyen jetzt sitzt“, schleuderte er dem Deutschen entgegen. Damit bezog Orban sich auf die Niederlage Webers im Jahr 2019, der als EVP-Spitzenkandidat eigentlich EU-Kommissionschef werden sollte, im Rat aber nicht die notwendigen Stimmen bekam. Auch Budapest unterstützte ihn damals nicht. „Es tut mir leid, dass sie deshalb ein Ungarn-Hasser geworden sind“, bohrte Orban weiter. Applaus für seine Rundumschläge bekam der Regierungschef von der neuen Rechtsaußen-Fraktion „Patrioten für Europa“. Deren Vertreter sprachen von einem „frischen Wind“ im Europaparlament. Der wehte an diesem Tag allerdings sehr eisig durch die Reihen der Abgeordneten.