Neu im Kino: „„Speak no Evil“

Ein gefährlich undurchsichtiges Großmaul

In James Watkins’ finsterer Horrorsatire „Speak no Evil“ trifft bürgerliche Idealfamilie auf rücksichtslosen Freigeist. Wer diesen Kampf wohl überlebt?

James McAvoy brilliert mit sinistrem Vergnügen und dicken Muckis  als  Paddy.

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James McAvoy brilliert mit sinistrem Vergnügen und dicken Muckis als Paddy.

Von Kathrin Horster

Manieren erleichtern das Miteinander, Spaß machen sie nicht immer. Weil Louise (Mackenzie Davis) und Ben (Scoot McNairy) sich vor lauter Höflichkeit nicht trauen, den nervigen, ständig von Rezepten plappernden Dänen in ihrer Ferienanlage abzuservieren, erbarmt sich der Brite Paddy (James McAvoy) für die beiden. Weil der ebenfalls mit Frau und Kind in der Anlage eingecheckt hat, kommt man ins Gespräch. Wenige Wochen später flattert eine Einladung bei Ben und Louise in den Postkasten, ob sie nicht Lust hätten, mit ihrer Tochter auf ein verlängertes Wochenende vorbei zu kommen. Ciaras (Aisling Franciosi) und Paddys Sohn Ant (Dan Hough) freue sich schon sehr, seine neue Freundin wieder zu treffen.

Das Wiedersehen entpuppt sich allerdings nicht gerade als entspannte Landpartie. Auf dem abgelegenen Hof ihrer Gastgeber angekommen, werden Louise und Ben mit deren unkonventionellem Lebensstil konfrontiert: Das Bett ist schmutzig, der sprachbehinderte Sohn Ant rätselhaft verschreckt, dessen Eltern können Hände und Zungen selbst im Restaurant nicht voneinander lassen und der Babysitter erscheint auch nicht ganz koscher.

Der Plot von James Watkins’ Thriller „Speak no Evil“ ist nicht neu. Vor exakt einem Jahr startete unterm selben Titel die international beachtete Vorlage des Dänen Christian Tafdrup im Kino. Dessen Version war eine ungemütliche, intelligent wendungsreiche Horror-Satire über soziale Konventionen und die erdrückende Dogmatik des bürgerlichen Familienideals. Der Brite James Watkins ändert nichts an den Voraussetzungen der Erzählung, im Gegensatz zu Tafdrups angsteinflößender Version ist die von Watkins jedoch oft unglaublich lustig.

James McAvoy brilliert mit sinistrem Vergnügen und dicken Muckis als gefährlich undurchsichtiges Großmaul, angeblich als Arzt im Dienst einer angesehenen NGO, und damit trotz seiner Hemdsärmeligkeit ein standesgemäßer Kontakt für Louise und Ben. Obwohl man Paddys raubeinigen Erziehungsstil, dessen grobe Witze und Launen nicht gutheißen kann, schließt man ihn eher ins Herz als die verklemmten Helikopter-Eltern Louise und Ben, die ihre angstgestörte Tochter Agnes (Alix West Lefler) mit Regeln und Erwartungen gängeln.

Die enorme Stärke des Drehbuchs liegt darin, das Publikum als Paddys Komplizen gegen die braven Spießer einzunehmen. Wer will schon selbst in den Verdacht geraten, spießig zu sein? Nur um wenige Minuten später Mitgefühl für die von Paddy völlig verunsicherten Gäste zu erwecken. Dieses permanente Unbehagen, dieser heiß-kalte Perspektivwechsel von Paddys wohliger Schadenfreude zur ängstlichen Verwirrung von Ben und Louise und zurück macht „Speak no Evil“ so intensiv. Erst im letzten Drittel löst sich Watkins von Tafdrups subtilerer Vorlage und besinnt sich auf die Konventionen klassischer Horror-Hackfeste. Der Showdown zwischen Libertin und Bürgertum ist wild und blutig, die Frage bleibt, wer ihn überlebt.

Speak no Evil. USA 2024. Regie: James Watkins. Mit James McAvoy, Mackenzie Davis, Scoot McNairy, Aisling Franciosi. 110 Minuten. Ab 16 Jahren

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Erstellt:
19. September 2024, 15:48 Uhr

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