Ein Jahrhundert Neuapostolische Kirche

Die Gemeinde in Murrhardt blickt auf ein 100-jähriges Bestehen. Nach Anfängen im privaten Umfeld entsteht ein eigenes Gotteshaus, das in den 1980er-Jahren neu aufgebaut wird. Heute wirkt die Gemeinde auch bei der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Walterichstadt mit.

Eine Aufnahme aus den Anfängen: 1924 zählte die Neuapostolische Kirchengemeinde Murrhardt 25 Mitglieder.

Eine Aufnahme aus den Anfängen: 1924 zählte die Neuapostolische Kirchengemeinde Murrhardt 25 Mitglieder.

Von Christine Schick

Murrhardt. Die Anfänge in der Walterichstadt gehen auf Karl Munz zurück, der als Priester aus Bad Cannstatt nach Murrhardt kam und 1921 dort eine Gemeinde ins Leben rief. Es ist die Zeit, in der Amtsträger der Neuapostolischen Kirche vielerorten in Deutschland in diesem Auftrag unterwegs waren, Menschen ansprachen und missionierten, berichtet Gemeindevorsteher Dieter Schneider. Erste Gottesdienste wurden bei Tobias Wieland in der Gartenstraße gefeiert, später fand sich eine weitere Möglichkeit – ebenfalls privat – in der Gartenstraße. Die monatliche Miete bezahlten die Gläubigen in Naturalien und zwar in Form von zwei Pfund Butter. Am 22. Oktober 1922 erhielten die ersten 13 Personen das Sakrament der sogenannten Versiegelung und wurden so Mitglied der Kirche.

Die Gemeinde wuchs, Karl Wörner baute sein Haus in der Blumstraße um, sodass ein Saal geschaffen wurde, in dem sich Gottesdienste feiern ließen. Es entstanden ein Streich- und Bläserorchester sowie ein Chor und 1934/35 erfolgte schließlich der Bau einer eigenen Kirche in der Römerstraße. Neun Amtsträger – Priester und Diakone – betreuten mittlerweile 195 Gemeindemitglieder. Die Machtergreifung Hitlers war schon vollzogen, mit dem von Deutschland ausgehenden Zweiten Weltkrieg wurden auch viele Männer der Gemeinde eingezogen, einige von ihnen kehrten nicht mehr zurück. Noch während des Kriegs und danach stellte die Gemeinde ihren kleinen Kirchensaal zur Verfügung, wo Lebensmittelkarten ausgegeben wurden und auch unterrichtet werden konnte.

In den 1980ern wächst die Gemeindeauf knapp 350 Mitglieder an

Jahrzehnte später, 1982/83, konnte sich die Stadt revanchieren. Sie ermöglichte es der Gemeinde, ihre Gottesdienste im Reinhold-Nägele-Saal zu feiern, als diese sich entschlossen hatte, die Kirche aufgrund von schlechter Bausubstanz komplett neu aufzubauen. Das Einweihungsjahr 1983 war auch von den Mitgliederzahlen eine Hochzeit – die Gemeinde zählte 348 Personen, unter ihnen 37 Kinder, sowie 32 ehrenamtliche Seelsorger. Ab der Jahrtausendwende machte sich der demografische Wandel bemerkbar, eine Reihe von Gemeinden in der Umgebung wurde in die Murrhardter Glaubensgemeinschaft integriert: Althütte-Fautspach (2001), Murrhardt-Steinberg (2002), Großerlach-Grab (2008) und Murrhardt-Fornsbach (2015). Dieter Schneider, der die Neuapostolische Kirchengemeinde Murrhardt bis vor Kurzem ehrenamtlich begleitet hat, stellt fest, welch große Spanne die 100 Jahre bedeuten und wie viel sich gesellschaftlich in dieser Zeit verändert hat. Er selbst, aufgewachsen in einem tiefgläubigen Elternhaus, begann in den 1980er-Jahren sich in der Neuapostolischen Gemeinde in Unterbrüden zu engagieren, nach Diakon- und Priesteramt übernahm er 1992 dort die Leitung, die er bis 2013 innehatte. Im selben Jahr fragten Kirchenverantwortliche an, ob er sich dies auch für Murrhardt vorstellen könne, und er wechselte in die Walterichstadt. „Das war eine schöne Zeit, Murrhardt ist eine sehr gläubige Gemeinde“, sagt Dieter Schneider, der sich nun in den Ruhestand verabschiedet und den Stab an seinen Nachfolger Bernd Faißt weitergegeben hat. Im Zentrum stehe vor allem die gemeinsame Feier der Gottesdienste, auch musikalisch sei die Gemeinde sehr rührig. Als wertvoll hat er ebenso die verschiedenen Aktionen für die Stadt sowie weitere Organisationen und Gruppen in Murrhardt wahrgenommen. Beispiele sind die Teilnahme bei der Markungsputzete, Programmgestaltung beim Sonntagscafé des Krankenpflegevereins und der Erich-Schumm-Stiftung, Spenden für den Tafelladen oder ein Kochtreffen mit Frauen aus Syrien.

Die Neuapostolische Kirche

vollzieht einen Veränderungsprozess

Die Neuapostolische Kirche hat sich zudem auch von ihrem Selbstverständnis her geöffnet beziehungsweise gewandelt. Wie Dieter Schneider berichtet, begann dieser Prozess 2010, über den die Überprüfung der ursprünglichen Ausrichtung und später die Neuausrichtung vollzogen wurde. Dies hat auch eine Öffnung vor Ort ermöglicht – die Zusammenarbeit in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) Murrhardt, bei der die Neuapostolische Kirchengemeinde als Gast mitwirkt. Im vergangenen Herbst beispielsweise war die Gemeinde bei der gemeinsamen Aktion „Offene Kirchen – Lebendige Orte“ und aktuell ist sie bei den Planungen für den „Ostergarten“ im kommenden Frühjahr mit von der Partie. Wie für die meisten und viele andere Organisationen, Vereine und Gruppen war die Pandemie für die Kirchengemeinde ein drastischer Einschnitt. Gottesdienste wurden per Livestream oder Telefon abgehalten, Chöre und das gemeinsame Musizieren mussten pausieren, ebenso Aktivitäten rund um die Seniorenarbeit.

Zudem ist die Kirchengemeinde auch kleiner geworden – zurzeit zählt sie rund 240 Mitglieder –, die Hintergründe sieht die Kirche vor allem auf gesellschaftlicher Ebene: „Demografisch hat sich in den letzten Jahren einiges verändert, ein großer Teil der jungen Geschwister ist weggezogen – Studium und fehlende Arbeitsplätze am Ort waren unter anderem ein Grund dafür.“ Für Dieter Schneider ist das Gemeindeleben aber in seiner Qualität spürbar, zu dem auch das individuelle Angebot in der Seelsorge eines jeden Einzelnen gehört. Nach seiner Abgabe der Leitung hat er nun im Ruhestand, den er beruflich schon vor einigen Jahren bei Tesat – er war in der Produktionsplanung für Satellitengeräte tätig – vollzogen hat, mehr Zeit für die Familie und Reisen. Trotzdem wird er sich in seiner Heimatkirchengemeinde Unterbrüden einbringen und ist sich sicher, zwischendurch immer mal wieder in der Gemeinde Murrhardt zu Gast zu sein.

Die Neuapostolische Kirche im Jubiläumsjahr.

Die Neuapostolische Kirche im Jubiläumsjahr.

1982/83 hat die Gemeinde die Kirche komplett neu aufgebaut.

1982/83 hat die Gemeinde die Kirche komplett neu aufgebaut.

Scheidender Gemeindevorsteher Dieter Schneider (rechts) und sein Nachfolger Bernd Faißt, der nun übernimmt.

Scheidender Gemeindevorsteher Dieter Schneider (rechts) und sein Nachfolger Bernd Faißt, der nun übernimmt.

Die Pandemie bedeutet einen Einschnitt im Gemeindeleben, das praktisch auf null heruntergefahren werden muss. Erst nach und nach kann von Gottesdiensten übers Internet oder Telefon wieder auf Präsenz umgestellt werden. Fotos: Neuapostolische Kirchengemeinde Murrhardt

Die Pandemie bedeutet einen Einschnitt im Gemeindeleben, das praktisch auf null heruntergefahren werden muss. Erst nach und nach kann von Gottesdiensten übers Internet oder Telefon wieder auf Präsenz umgestellt werden. Fotos: Neuapostolische Kirchengemeinde Murrhardt

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Erstellt:
20. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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