Eine Operation ist stets die letzte Option
Chefarzt Jürgen Nothwang vom Wirbelsäulenzentrum im Rems-Murr-Klinikum Schorndorf informiert in seinem medizinischen Fachvortrag beim Krankenpflegeverein Murrhardt über verschiedene Therapien für Rückenschmerzen.

Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Großes Interesse fand der medizinische Fachvortrag über Rückenschmerzen von Jürgen Nothwang auf Einladung des Krankenpflegevereins im Heinrich-von-Zügel-Saal. Nothwang ist Chefarzt für Wirbelsäulenchirurgie und -orthopädie im Wirbelsäulenzentrum des Rems-Murr-Klinikums in Schorndorf. „Die Wirbelsäule ermöglicht uns den aufrechten Gang“ dank eines „dynamisch und diagonal vorgespannten Konstrukts“ aus ineinandergreifenden Muskelketten von Kopf bis Fuß, erläuterte der Spezialist.
Diese Balance sei aber durch die moderne Lebensweise gestört: „Wir sitzen zu viel.“ Dieser Bewegungsmangel löse Rückenschmerzen und diverse weitere Beschwerden aus. Bereits in der zweiten Lebensdekade beginne der Verschleiß der Bandscheiben, in die Gefäße einwachsen. Dies widerspreche aber der Biomechanik dieses Puffersystems, wodurch es seine Elastizität verliert, was zu schwerwiegenden Problemen wie Bandscheibenvorfällen führen kann. Werden sie nicht rasch behandelt, bestehe die Gefahr von Schäden oder gar des Absterbens von Nerven, wodurch Verbindungen zu unteren Körperbereichen unterbrochen werden, warnte Jürgen Nothwang.
Bei Rückenschmerzen gelte es, „den gesamten Menschen im Blick“ zu haben, um die Ursachen herauszufinden, betonte der Chefarzt. Dazu befrage man die Patienten genau und erhebe den Befund mithilfe moderner Diagnoseverfahren. Die Medizin unterscheidet zwischen unspezifischen und spezifischen Rückenschmerzen. Im ersten Fall ist die Wirbelsäule selbst in Ordnung, doch wirken sich Fehlstellungen der Wirbelsäule, der Füße und des Beckens sowie unterschiedliche Beinlängen ungünstig aus. Ebenso können psychische Probleme wie Stress oder posttraumatische Belastungsstörungen eine Rolle spielen.
Ursachen für spezifische Rückenschmerzen sind klar feststellbare körperbedingte Ursachen wie bösartige Tumore im Wirbelsäulenbereich, Bandscheibenvorfälle, Gelenkverschleiß, aber auch Störungen wie Kieferfehlstellungen.
Die Diagnose erfolgt mit verschiedenen Bildgebungsverfahren wie klassischem Röntgen, Kernspinresonanz-Spektroskopie (NMR), um Entzündungen festzustellen, und Computertomografie zur Beurteilung der Knochensituation. Hinzu kommt die Myelografie, bei der ein Kontrastmittel in den Nervenwassersack des Rückenmarkskanals gespritzt wird, um krankhafte Veränderungen des Wirbelkanals und des darin befindlichen Rückenmarks festzustellen. Ähnlich läuft die sogenannte Bandscheibendiskografie ab, bei der ein Kontrastmittel in den Bandscheibenraum gespritzt wird. Diese beiden Untersuchungen erfolgen unter örtlicher Betäubung und mit Kontrolle durch bildgebende Verfahren.
Zu den konservativen Behandlungsmethoden zählt beispielsweise die Neurostimulation, bei der ein implantierter „Schmerzschrittmacher“ mit sanften elektrischen Impulsen die Schmerzsignale der Nerven im Rückenbereich ans Gehirn vermindert. Sind alle konservativen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft, ist eine Operation erforderlich, so bei starkem Leidensdruck mit Verlust der Lebensqualität, Nervenwurzelausfällen, drohenden oder bestehenden Querschnittslähmungen, instabiler Wirbelsäule durch Brüche, Entzündungen oder bösartige Tumore sowie nicht korrigierbaren Störungen der Statik der Wirbelsäule.
Im Wirbelsäulenzentrum operiere man so schonend, sicher und kurz wie möglich mit modernster minimalinvasiver Technik und höchster Präzision mit dem Ultraschallknochenschneider, betonte Jürgen Nothwang. Der Vorteil dieses „genialen Geräts“ ist dessen hohe Schneidefrequenz, mit der Weichteilgewebe – etwa Nerven – gerade nicht verletzt oder durchtrennt werden kann. Zur Sicherheit der Patienten werden Operationen im Rückenmarksbereich durch Neuromonitoring mithilfe von angelegten Elektroden per Bildschirm kontrolliert. Lokale Schmerztherapie erhöht den Komfort.
Wegen der aktuell unzureichenden anschließenden Betreuung der Patienten kündigte der Mediziner an, ein Netzwerk für deren Unterstützung aufzubauen. Entscheidend für den Erfolg der Therapie seien indes die Eigeninitiative und aktive Mitarbeit jedes Patienten. Die Patienten sollten sich täglich bewegen und geeignete Übungen unter physiotherapeutischer Anleitung absolvieren, um die Muskulatur zu trainieren und Muskelschwund zu vermeiden. Positiv wirken können auch Kälte- oder Wärme-Anwendungen, Massagen, Akupunktur oder Qi-Gong-Übungen.
Da vorbeugen besser als heilen ist, rief der Chefarzt dazu auf, „raus aus dem Sitzrhythmus“ zu kommen, beispielsweise durch ergonomische Arbeitsplätze, abwechselndes Sitzen und Stehen sowie regelmäßige Pausen mit sportlich-gymnastischen Aktivitäten, möglichst täglich auch in der Freizeit. Für eine Behandlung im Wirbelsäulenzentrum ist eine Facharztüberweisung erforderlich. Nur bei akuten Problemen und Notfällen kommen Patienten über die Notaufnahme direkt dorthin, stellte Jürgen Nothwang abschließend klar.