Eine Regierung, zwei Gipfel
Die Lage der Wirtschaft wird immer dramatischer. Doch die Ampel ist zu zerstritten für Impulse.
Von Eidos Import
Wer noch daran zweifelte, dass die Lage der deutschen Wirtschaft wirklich ernst sei, hat wohl spätestens seit Montagvormittag Gewissheit. Der Betriebsrat von Volkswagen warnte, der Konzern plane, drei Werke in Deutschland zu schließen und womöglich Zehntausende Stellen zu streichen. Das ist die neueste in einer ganzen Reihe von schlechten Nachrichten. Viele namhafte Unternehmen planen, Stellen abzubauen oder Investitionen ins Ausland zu verlagern. Und die Bundesregierung? Ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um wirklich etwas dagegen zu tun.
Für diesen Dienstag hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu einem Industriegipfel eingeladen. Das ist grundsätzlich eine gute Idee. Doch schon jetzt ist absehbar, dass das kaum Ergebnisse bringen wird. Denn ganz gleich, was Scholz mit den Konzernen und Verbänden bespricht: Seine eigene Regierung ist so zerstritten, dass sie kaum noch funktionsfähig ist. In der Ampelkoalition arbeitet inzwischen jeder nur noch auf eigene Rechnung.
Das zeigt allein der Dienstag, an dem zwei Konkurrenzveranstaltungen der Regierung stattfinden. Von 16 Uhr an trifft Scholz Vertreter der Industrie und Gewerkschaften. Bundesfinanzminister Christian Lindner ist nicht dabei. Dafür lädt seine FDP-Fraktion ein paar Stunden vor dem Kanzler mit anderen Wirtschaftsverbänden zu einem eigenen Gipfel.
Ebenfalls nicht im Kanzleramt vertreten ist Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er plant zumindest keinen eigenen Gipfel. Dafür legte er aber ein Ideenpapier für einen „Deutschlandfonds“ vor, der Unternehmen mit schuldenfinanzierten Subventionen beglücken soll. So taugt Habecks Papier vielleicht für das Wahlprogramm der Grünen, nicht aber als Vorschlag für die gemeinsame Regierung, dem die FDP zustimmen soll. Das dürfte auch Habeck wissen. Das Papier war eher ein Manöver als eine ernst gemeinte Initiative.
Gleichzeitig versuchte Habeck, Scholz und Lindner auch ohne eigenes Treffen zu „über-gipfeln“. Sinngemäß sagte Habeck, er habe einen solchen Gipfel ja gar nicht nötig. Er als Wirtschaftsminister spreche ohnehin fast täglich mit den Vertretern der Industrie – er brauche so ein Treffen gar nicht.
Was auch wenig Hoffnung macht: Selbst der Kanzler scheint nicht viel von seinem Treffen zu erwarten, er versuchte sozusagen, es „herunterzugipfeln“. Es handle sich lediglich um einen Austausch, teilte der stellvertretende Regierungssprecher mit. Das klingt nach einem Gipfel der Substanzlosigkeit. Das ist unwürdig – und dem Ernst der Lage nicht angemessen.
Zumal keines der Treffen neue Erkenntnisse bringen dürfte. Die Sorgenliste der Wirtschaft ist so lang wie bekannt: zu wenig Fachkräfte, zu viel Bürokratie, zu hohe Energiepreise, Steuern und Abgaben. Man kann sich das noch einmal vortragen lassen. Wichtiger wäre, dass sich die Regierung Rezepte dagegen überlegt. Und sich im besten Fall sogar darauf einigt, sie umzusetzen. Doch dazu müsste Scholz mit seinen Ministern sprechen, nicht mit Vertretern der Wirtschaft.
Wenn die Koalition noch etwas bewegen will, dann müssten alle drei Parteien über ihren Schatten springen. Für einen nennenswerten Impuls zur Belebung der Wirtschaft müssten mehr Schulden aufgenommen werden, was die FDP nicht will. Man könnte auch an anderer Stelle sparen, was SPD und Grüne verhindern. Eine funktionierende Regierung würde wohl beides tun und zu einem klassischen Kompromiss finden. Doch dazu scheinen die Koalitionäre längst nicht mehr in der Lage. So arbeitet jeder auf eigene Rechnung – und alle auf Kosten der deutschen Wirtschaft.