US-Wahlsystem

Eine Stimme ist nicht gleich einer Stimme

Aus den Umfragen zur US-Präsidentschaftswahl lassen sich keine klaren Aussagen ablesen. Besonderheiten im Wahlsystem erschweren Vorhersagen zusätzlich. In der vergangenen Wochen aber hat Donald Trump mehr Rückenwind bekommen.

Am 5. November 2024 wählen die USA einen neuen Präsidenten oder erstmals eine neue  Präsidentin.

© IMAGO/Wolfgang Maria Weber/IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Am 5. November 2024 wählen die USA einen neuen Präsidenten oder erstmals eine neue Präsidentin.

Von Andreas Geldner

Eigentlich scheint die Frage einfach: Wer liegt in den USA laut Umfragen bei den Präsidentschaftswahlen vorn? Wenn man die Wählerschaft in den Vereinigen Staaten insgesamt nimmt, ist das Ergebnis seit dem Abgang des amtierenden US-Präsidenten und bisherigen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden recht eindeutig: Kamala Harris hat einen kleinen, zwar leicht schwankenden, aber doch kontinuierlichen Vorsprung vor Donald Trump.

Das Problem ist nur: Wegen des amerikanischen Wahlsystems besagt diese Zahl nicht viel. Allein in zwei Präsidentschaftswahlen seit der Jahrtausendwende, der Wahl im Jahr 2000 und der im Jahr 2016, gewannen die republikanischen Kandidaten George W. Bush beziehungsweise Donald Trump ohne die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler im Land hinter sich haben.

Wenige zehntausend Stimmen können entscheiden

Dass beide Male Republikaner gewannen, ist kein Zufall. Da sich demokratische Wähler in urbanen Gebieten und nicht so großen Bundesstaaten wie Kalifornien ballen, fahren sie dort zwar satte Mehrheiten ein. Ob man in einem Bundesstaat nun mit überwältigender Mehrheit gewinnt oder ganz knapp, macht aber für die Verteilung der Wahlmännerstimmen keinen Unterschied. Die Stimmen für die Republikaner ballen sich weniger und sind mehr im Land verteilt. Diese Entwicklung hat sich im Laufe der Zeit zugespitzt. Vor dem Jahr 2000 lagen die letzten US-Präsidentschaftswahlen mit dieser Diskrepanz in den Jahren 1876 und 1888.

Entscheidend ist, wer in den sechs bis acht sogenannten Swing States vorne liegt, die am Ende die Mehrheit in dem 538 Delegierte umfassenden Wahlmännergremium sichern. Und hier ist die Aufholjagd von Donald Trump in den vergangenen Wochen unverkennbar. Wenige zehntausend Stimmen geben womöglich den Ausschlag. Es könnte nach den derzeitigen Umfragen am Ende sogar ein einziger Schlüsselstaat sein, nämlich Pennsylvania, der über alles entscheidet. Aber es ist durchaus auch möglich, dass von den Wahlmännern her das Ergebnis verblüffend eindeutig ausfällt. Denn wenn am Wahltag ein bestimmter Trend klar vorherrscht, dann kann es sein, dass in jedem oder den meisten dieser Staaten die knappe Mehrheit in eben diese Richtung geht. Dann könnte trotz knappster Zahlen entweder Kamala Harris oder Donald Trump einen zumindest nominell klaren Sieg einfahren.

Doch die Schieflage des US-Wahlrechts endet nicht beim Wahlmännersystem. Von den Kommunen über die Parlamente der Bundesstaaten bis zum Repräsentantenhaus wird knallhart manipuliert. In den USA entscheidet oft die jeweils dominierende Partei über den Zuschnitt der Wahlkreise. Immer bessere Computerprogramme und Wählerdaten machen es auf den Straßenzug genau möglich, die Wähler im Sinne eines gewünschten Ergebnisses in Wahldistrikten zu gruppieren. Auch wenn das für die Präsidentschaftswahl und für die Wahl zum Senat, wo es um ganze Bundesstaaten geht, keine Rolle spielt, sondern nur für die Wahlkreise des Repräsentantenhauses, zeigt sich hier die aggressive politische Kultur.

Skrupellose Methoden

Anfällig für diese Methode sind beide Parteien. Doch gerieren sich die Republikaner besonders skrupellos, wenn es darum geht, traditionell mit den Demokraten sympathisierende Wählergruppen so zu sortieren, dass ihre Stimme möglichst wenig Gewicht für die Sitzverteilung hat. Betroffen sind insbesondere Afroamerikaner. Erst wenige Bundesstaaten haben dem einen Riegel vorgeschoben, indem sie die Entscheidung über den Zuschnitt der Wahldistrikte an unabhängige Kommissionen übergeben haben.

Eine weitere Problematik ist die in den USA im Vergleich mit Europa traditionell niedrige Wahlbeteiligung. Viele Bevölkerungsgruppen haben sich auch aus Präsidentschaftswahlen ausgeklinkt. Ein Schlüssel zum Wahlsieg ist es, dieses schlummernde Potenzial zu wecken. Und hier, so besagen die jüngsten Umfragen, scheint Donald Trump aktuell mehr Rückenwind zu haben als seine Konkurrentin – insbesondere in den entscheidenden Schlüsselstaaten.

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Erstellt:
28. Oktober 2024, 17:42 Uhr

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