Papst-Nachfolge
Einige Favoriten, null Gewissheit
Die Wahl des neuen Papstes beginnt zwischen dem 5. und 10. Mai in der Sixtinischen Kapelle. Sie gilt als offen und unberechenbar. Doch einige Anwärter, denen echte Chancen eingeräumt werden, gibt es schon.

© imago/ABACAPRESS (2)/APAimages/ZUMA Press/Independent Photo Agency Int.; dpa/Dalati & Nohra
Jean-Marc Aveline, Pierbattista Pizzaballa, Pietro Parolin, Fridolin Ambongo Besungu, Blase Joseph Cupich, Luis Antonio Gokim Tagle, (von links oben im Uhrzeigersinn)
Von Dominik Straub
Nach dem Tod von Papst Franziskus rückt die Frage nach seinem Nachfolger in den Fokus. Wer hat die besten Chancen?
Pietro Parolin (70), Italien: Als bisheriger Kardinalstaatssekretär und Nummer zwei im Vatikan hinter dem Papst gehört Parolin sozusagen von Amtes wegen zu den „Papabili“, wie in Italien die möglichen Anwärter für die Nachfolge auf dem Stuhl Petri genannt werden. Immerhin sind schon drei ehemalige Staatssekretäre zu Päpsten gewählt worden: Der letzte war Eugenio Pacelli, der 1939 Papst wurde und den Namen Pius XII. annahm. Parolin trat schon Mitte der 1980er-Jahre in den Dienst der vatikanischen Diplomatie, war jahrelang deren Chef und gilt als wichtigster Vermittler bei der schwierigen Annäherung des Vatikans an China.
Was für ihn spricht: Als einstige rechte Hand von Franziskus ist er den meisten Kardinälen bekannt – und als moderater und geschickter Vermittler wäre er ein idealer Kandidat für all diejenigen Kardinäle, die grundsätzlich den von Franziskus eingeschlagenen Weg fortführen wollen, dabei aber etwas zurückhaltender vorgehen möchten.
Was gegen ihn spricht: Als Kardinalstaatssekretär hatte er lange die Aufsicht über das Finanzgebaren im Kirchenstaat – und ist damit zumindest indirekt für das Schlamassel mit einer Londoner Immobilie verantwortlich, bei der der Vatikan einen dreistelligen Millionenbetrag verzockte. Vor allem bei den Kardinälen, die nicht in der Kurie tätig sind, ist das keine Empfehlung für das Papstamt. Außerdem gilt der zurückhaltende Parolin als wenig charismatisch.
Pierbattista Pizzaballa (60), Italien: Für viele Katholiken nicht nur in seiner Heimat gilt der vergleichsweise junge Lateinische Patriarch von Jerusalem als Kandidat der Herzen. Der Franziskaner leitet eine der schwierigsten Diözesen der Welt, in der Christen oft zwischen den Fronten des Nahostkonflikts stehen. Seit dem Ausbruch des Krieges zwischen Israel und der Hamas am 7. Oktober 2023 hat sich Pizzaballa immer wieder kritisch zur anhaltenden Gewalt geäußert. Weil er ausgewogen Stellung bezieht, findet seine Stimme bei den Konfliktparteien und weltweit Gehör.
Was für ihn spricht: Mit seiner tiefen Verankerung im zerrissenen Nahen Osten, seiner politischen Sensibilität, seiner pastoralen Nähe zur Basis und seiner theologischen Offenheit ist er zweifellos einer der interessantesten Namen für das bevorstehende Konklave. Daneben gilt Pizzaballa als umgänglich, und auch an Charisma fehlt es ihm nicht.
Was gegen ihn spricht: Der Lateinische Patriarch gilt als einer der Kardinäle, die Franziskus inhaltlich und weltanschaulich am nächsten standen. Er ist ebenfalls mehr Seelsorger als Theologe, erhebt seine Stimme für die Schwachen. Bei Kardinälen, die sich im neuen Pontifikat eine deutliche Kurskorrektur wünschen, hat Pizzaballa wenig Kredit.
Fridolin Ambongo Besungu (65), demokratische Republik Kongo: Ambongo Besungu ist seit 2018 Erzbischof in der Hauptstadt Kinshasa. Als damaliger Vize-Vorsitzender der kongolesischen Bischofskonferenz war er einer der Väter des Silvesterabkommens von 2016, das einen friedlichen Übergang der Macht im Land einläuten sollte. Der Kapuziner zeigt sich in seinem Land politisch engagiert und hat sich wegen seiner Kritik an der Regierung sogar ein Gerichtsverfahren eingefangen. Auch im Kardinalskollegium ist er kein Ja-Sager: Als der Papst Jahr die Segnung homosexueller Paare billigte, äußerte er deutlich Kritik.
Was für ihn spricht: Fridolin Ambongo Besungu wäre der erste schwarze Papst in der Geschichte der katholischen Kirche – ein leuchtendes Signal für den globalen Süden. Er selbst erinnerte schon daran, dass in Europa, das fast alle Päpste stellte, die Kirchen leer seien, während in Afrika ein lebendiger Glaube praktiziert werde.
Was gegen ihn spricht: Sein politisches Engagement und seine mitunter etwas forsche Art könnte moderate Kardinäle abschrecken. Außerdem gilt Besungu, der auch Mitglied des von Franziskus eingesetzten Kardinalsrates zur Kurienreform war, trotz seiner Kritik an der Segnung Homosexueller als sehr Franzikus-nah, was ihn bei dessen Gegnern unwählbar macht.
Blase Joseph Cupich (76), USA: Cupich ist seit 2014 Erzbischof von Chicago, einer der wichtigsten Diözesen in den USA. Unter allen US-Bischöfen gilt er als der schärfste Kritiker von Präsident Donald Trump; im tief zwischen Traditionalisten und Liberalen gespaltenen US-Episkopat stellt sich Cupich stets demonstrativ auf die Seite des Papstes. So nannte er Trumps geplante Razzien in Chicago „zutiefst beunruhigend“ und „Affront gegen die Würde aller Menschen und Gemeinschaften“.
Was für ihn spricht: Cupich wäre ein idealer Kandidat für jene, die sich wünschen, dass endlich die US-Bischofskonferenz, die zu den wichtigsten Geldgebern des Vatikans zählt, einen Papst stellt, ohne damit den Einfluss der religiösen Rechten und des mit ihnen verbundenen US-Präsidenten zu stärken.
Was gegen ihn spricht: Vor allem sein Alter von 76 Jahren. Nach der Wahl von Joseph Ratzinger und Jorge Maria Bergoglio, die bei ihrem Amtsantritt als Papst bereits 78 respektive 76 Jahre alt waren, könnten die Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle beschließen, wieder einmal einem Jüngeren den Vortritt zu geben. Und ob in diesen Zeiten ein Kandidat aus den USA überhaupt eine Chance hat, ist ebenfalls fraglich.
Luis Antonio Gokim Tagle (67), Philippinen: Tagle, der gelegentlich als „asiatischer Franziskus“ bezeichnet wird, gilt trotz seines vergleichsweise jungen Alters als „ewiger Papabile“: Er wurde schon beim Konklave 2013 als Anwärter für das Papstamt genannt. Der frühere Erzbischof von Manila war ein enger Vertrauter von Franziskus und ist von diesem einmal als „heiliger Sohn“ bezeichnet worden. Doch dann wurde er als Leiter des katholischen Hilfswerk-Dachverbands Caritas Internationalis, den er von 2015 bis 2022 geführt hatte, vom Papst abgesetzt. Es war von Mobbing die Rede.
Was für ihn spricht: Trotz der unrühmlichen Absetzung blieb Tagle, der sich immer für die Mission stark gemacht hat, ein enger Vertrauter von Franziskus. Zudem wächst die katholische Bevölkerung in keinem Kontinent so stark wie in Asien; allein in Tagles Heimat Philippinen sind 90 Prozent der 56 Millionen Einwohner Katholiken. Er wäre auch der erste asiatische Pontifex.
Was gegen ihn spricht: Seine Führungsstil bei Caritas Internationalis qualifiziert ihn in den Augen vieler Kardinäle vermutlich nicht für höhere Aufgaben. Hinzu kommt das negative Etikett des „ewigen Kandidaten“.
Jean-Marc Aveline (66), Frankreich: Der Erzbischof von Marseille ist ein „pied noir“, er wurde in der ehemaligen französischen Kolonie Algerien geboren – und zwar in einer kleinen Oase mitten in der Sahara. Aveline gilt unter allen Papabili als der volkstümlichste und umgänglichste; gleichzeitig ist er theologisch offen, empfänglich für soziale Themen, und er macht sich für den Dialog mit den Muslimen stark. Er wäre der erste französische Papst seit den Gegenpäpsten in Avignon.
Was für ihn spricht: Aveline wäre im Falle seiner Wahl der jüngste Papst seit Papst Johannes Paul II. Außerdem gilt er als intellektuell herausragend, er hat einen Doktortitel in Theologie und einem weiteren Abschluss in Philosophie. Auch er wäre ein Kandidat für diejenigen Kardinäle, die mit dem Pontifikat von Franziskus nicht brechen, aber die Leitung der Kirche in etwas geordnetere Bahnen lenken wollen.
Was gegen ihn spricht: Er versteht zwar einigermaßen Italienisch, aber er spricht es nicht. Das ist nicht nur in der von Italienern dominierten Kurie ein Problem, sondern auch deshalb, weil der Papst gleichzeitig Bischof von Rom ist. Zur Ausfüllung dieses Amtes – und auch zum Verstehen und frühen Entdecken von Intrigen – ist die Beherrschung des Italienischen fast unabdingbar.