Ernährungsexperte über die Glukose-Diät
„Es kommt nicht nur auf den Blutzuckerspiegel an“
Die Fastenzeit beginnt. Doch was bringt der zeitweise Nahrungsverzicht aus medizinischer Sicht wirklich – und was hat es mit dem Hype um die Glukosediät auf sich? Ein Ernährungsexperte von der Berliner Charité gibt Antworten.
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© dpa/Rolf Haid
In der Fastenzeit verzichten manche auf solche Kalorienbomben. Wichtiger ist aber eine nachhaltige Ernährungsumstellung.
Von Werner Ludwig
Der Mediziner Stefan Kabisch hält es für einen Mythos, dass Fasten den Körper entschlackt. Eine Fastenkur könne aber ein guter Anlass für eine nachhaltige Umstellung auf eine gesündere Ernährung sein.
Herr Kabisch, die Glukosediät der Influencerin Jessie Inchauspé soll beim Abnehmen helfen, die Fitness verbessern und das Diabetes-Risiko senken. Wie seriös sind diese Versprechungen?
Viele der Ratschläge sind plausibel, aber für gesunde Menschen nicht bewiesen. Bahnbrechend neue Erkenntnisse hat Frau Inchauspé auch nicht zu bieten. Sie fasst nur in plakativer Form zusammen, was die Forschung schon seit 20 oder 30 Jahren weiß.
Nämlich?
Dass es einen Unterschied macht, in welcher Reihenfolge ich Lebensmittel verzehre. Dass sich mit einer Kombination bestimmter Lebensmittel der Anstieg des Glukosespiegels dämpfen lässt oder dass leicht verdauliche Kohlenhydrate das Gegenteil bewirken. Das sind aber alles kurzzeitige Effekte. Wie sich die Glukosediät langfristig auswirkt, ist unklar. Wir wissen nicht, ob sie bei gesunden Menschen tatsächlich das Risiko für Diabetes und Herzkrankheiten senkt oder die körperliche Leistungsfähigkeit verbessert. Solche Effekte sind zwar denkbar, aber nicht ausreichend durch Studien belegt.
Und wie sieht es bei Diabetikern aus?
Bei Diabetespatienten in einem frühen Stadium der Erkrankung sind größere Effekte zu erwarten als bei gesunden Menschen. Bei ihnen wird der Blutzuckerspiegel deutlicher sinken. Wenn dagegen jemand schon seit 30 Jahren an Diabetes leidet, ist sein Stoffwechsel kaum noch reparaturfähig. Deshalb wird die Diät bei solchen Personen nicht ganz so viel bewirken können.
Anhänger der Glukosediät argumentieren, dass der Körper bei einem niedrigeren Blutzuckerspiegel auch weniger Insulin produziert, was den Fettabbau erleichtern soll.
Das ist schon richtig. Genau deshalb empfehlen wir schon lange, dass man vorwiegend komplexe Kohlenhydrate – etwa aus Vollkornprodukten - und genügend Ballaststoffe zu sich nehmen sollte. Oder dass man Nahrungsmittel so kombiniert, dass man Kohlenhydrate am besten in Verbindung mit Eiweiß oder Fett zu sich nimmt.
Kann die Glukosediät auch negative Folgen haben?
Unter Umständen schon. Das Problem ist, dass sie allein darauf abzielt, die Blutzuckerkurve flach zu halten und andere Faktoren ignoriert – etwa die Blutfettwerte, den Blutdruck oder Entzündungsprozesse im Körper. Eventuelle nachteilige Effekte können dadurch übersehen werden. Wer nur den Glukosespiegel senken will, könnte auch gleich ganz auf Kohlenhydrate verzichten und sich für eine Diät mit viel Eiweiß und Fett entscheiden. Eine solche Diät enthält allerdings wenig Ballaststoffe und birgt das Risiko der Unterversorgung mit einigen Vitaminen und Mineralien. Da nützt es dann auch nicht viel, wenn der Blutzuckerspiegel superniedrig ist.
Manche überwachen ihren Blutzucker rund um die Uhr mit einem Glukose-Sensor unter der Haut. Wie sinnvoll ist das für Gesunde?
Für Menschen mit einem gesunden Stoffwechsel und ohne familiäres Risiko für Diabetes oder andere Stoffwechselerkrankungen gibt es keinen vernünftigen Grund, den Zuckerspiegel permanent zu überwachen. Ich halte das eher für problematisch. Diese Selbstvermessung kann zwanghaft werden – genauso wie das Bestreben, sich die ganze Zeit „richtig“ zu ernähren. Und manche belassen es nicht mal beim Zucker. Sie tracken auch noch ihren Schlaf und achten peinlich darauf, dass sie jeden Tag 10000 Schritte gehen.
Bald beginnt die Fastenzeit. Wie sinnvoll ist Fasten zur Gewichtsabnahme?
Man kann mit jeder Fastenform Gewicht verlieren, sofern man die tägliche Kalorienzufuhr verringert. Wenn Sie zum Beispiel Intervallfasten praktizieren und jeden Tag 16 Stunden nichts essen – aber in den übrigen acht Stunden genauso viel wie zuvor, nehmen sie nicht ab. Ehrlicherweise fällt es den meisten Leuten aber schwer, die gleiche Menge an Nahrung innerhalb kürzerer Zeit zu verzehren, sodass sie beim Intervallfasten tatsächlich Gewicht verlieren. Leider wird dabei aber auch relativ viel Muskelmasse abgebaut. Mit körperlichen Aktivitäten kann man dem teilweise entgegenwirken.
Manche versprechen sich vom Fasten auch andere positive Wirkungen - von der Prävention oder Heilung von Diabetes bis zur Verhinderung von Herzinfarkten. Wie ist da die Faktenlage?
Solche Effekte konnten bislang ausschließlich bei Tieren gezeigt werden, und zwar bei Tieren, die speziell dafür gezüchtet wurden. Es gibt beispielsweise Studien mit jungen weiblichen Mäusen, Milben oder Fadenwürmern. Bei Primaten sind diese Effekte schon nicht mehr zu finden. Und bei Menschen gibt es keine einzige Studie, die lange genug gelaufen wäre, um solche Wirkungen nachweisen zu können.
Fasten soll ja auch helfen, den Körper zu entschlacken - also schädliche Stoffe und Stoffwechselprodukte loszuwerden.
Auch dafür gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Unser Körper kümmert sich permanent um die Entsorgung solcher Stoffe – dafür braucht man nicht extra zu fasten.
Sollte man also besser nicht fasten?
Nein, eine vorsichtige, gut geplante, ärztlich begleitete Fastenkur kann durchaus sinnvoll sein, wenn man sie als Auftakt für eine nachhaltige Ernährungsumstellung nimmt. Man kann sich dabei ruhig auch kleinere Schritte vornehmen und zum Beispiel für 4 Wochen auf Schokolade oder andere Süßigkeiten verzichten. Wer das länger durchhält, wird wahrscheinlich davon profitieren. Fasten kann zudem zu einem bewussteren Umgang mit Nahrung beitragen.
Mediziner und Ernährungsexperte
PositionStefan Kabisch ist Studienarzt an der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin der Charité Universitätsmedizin in Berlin. Zudem ist er am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) tätig.
Themen Zu Kabischs Forschungsschwerpunkten zählen Getreideballaststoffe, Zucker und Süßstoffe, proteinreiche Ernährung und Fastenkonzepte. Der Fokus liegt dabei auf Prävention und Therapie von Adipositas, Typ-2-Diabetes und Fettleber.