Etliche Generationen begleitet

Förster Jörg Brucklacher porträtiert die Linde und spricht über ihre hohe kulturelle Bedeutung

Die Linde stand früher im Mittelpunkt vieler Dörfer, symbolisiere Heimat, Wärme und Geborgenheit. Er sei „der Baum, der bleibt“, könne über 1000 Jahre alt werden, sodass etwa 30 Generationen unter seinem Blätterdach lebten, betonte Förster Jörg Brucklacher.

Die Linde inspirierte viele Dichter. In den Ortschaften war sie lange in das soziale Leben eingebunden – unter ihr wurde gefeiert und getanzt, weshalb sie auch als Lust- und Liebesbaum galt. Foto: J. Brucklacher

Die Linde inspirierte viele Dichter. In den Ortschaften war sie lange in das soziale Leben eingebunden – unter ihr wurde gefeiert und getanzt, weshalb sie auch als Lust- und Liebesbaum galt. Foto: J. Brucklacher

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Sein mit vielen historischen Bildern und modernen Fotografien illustrierter Vortrag über die Linde im Rahmen der Reihe „Baumbegegnungen“ an der Volkshochschule Murrhardt fand großes Zuhörerinteresse. Dabei zeigte der Referent die besondere historisch-kulturelle Bedeutung dieser Baumart für gesellige Aktivitäten verschiedenster Art noch bis weit ins 20. Jahrhundert auf. Blätter und Krone seien herzförmig, und dank eines „faszinierenden Wechselspiels aus Hormonen und Belichtung“ könne sie Kürzungen und Schnitte in bestimmte Formen ausgleichen.

In Deutschland wachsen zwei Arten: Die Sommerlinde hat an der Unterseite behaarte, pelzige Blätter und bildet harte Nüsschen als Früchte, die Winterlinde nackte Blätter und weiche Nüsschen. In Südosteuropa kommt die Silberlinde vor: Deren Blattunterseiten sehen weiß aus, da sie dicht filzig behaart sind: „Bei starker Hitze dreht sie diese nach oben“, erklärte Brucklacher im Zimmertheater des Grabenschulhauses.

„Die Lindenblüten, bis zu 60000 an einem Baum, verströmen süßen Duft“ und locken unzählige Bienen und andere Insekten an. Der daraus gewonnene Lindenblütentee wirke wohltuend bei Erkältungen, schweißtreibend und fiebersenkend sowie reizlindernd und auswurffördernd bei Halsschmerzen und Husten. Das Lindenholz ist weich, weshalb der Stamm im Lauf der Zeit innen verfault und der Baum nach außen wächst: „Viele Linden haben kaum Jahresringe, darum ist ihr Alter nicht genau zu bestimmen“, stellte Brucklacher klar.

Seit Jahrhunderten diene das gut zu bearbeitende Lindenholz dazu, Figuren und Heiligenfiguren zu schnitzen. Der Lindenbast unter der Rinde ist ein zähes Fasergeflecht: „Eichhörnchen sammeln den Lindenbast, um damit ihren Kobel, sprich ihr Nest, auszupolstern.“ In früheren Zeiten flochten die Menschen daraus allerlei Gebrauchsgegenstände: So trug „Ötzi“ Lindenbast-Schuhe, und die Wikingerschiffe hatten Lindenbast-Taue. Die Lindengallmilbe und Lindenschwärmer, nachtaktive Schmetterlinge, bewohnen die Linde.

Von der Heiligen, heilkundigen Äbtissin Hildegard von Bingen sind aus dem 12. Jahrhundert Rezepte mit Bestandteilen der Linde und mit Erde im Bereich von Lindenwurzeln zur Behandlung diverser Leiden überliefert. So soll das „Innere“ der Linde als Pulver gegen Herzschmerzen wirken. Auch in der Naturheilkunde und -kosmetik gibt es diverse Produkte mit Lindenextrakten für verschiedene Anwendungen.

Die Linde inspirierte viele Dichter von der Antike bis zur Romantik zu fantasievollen Sagen, Legenden und Lyrik. Der römische Dichter Ovid erzählte in seinen „Metamorphosen“ (Verwandlungen) vom alten, armen Ehepaar Philemon und Baucis, das den Göttervater Jupiter und seinen Sohn Merkur bewirtete. Als Dank verwandelten sie nach dem Tod ihn in eine Eiche und sie in eine Linde.

Edigna soll im 11. Jahrhundert als Einsiedlerin 35 Jahre lang in einer Linde gelebt haben

In der Antike und im Frühmittelalter seien viele Linden der germanischen Liebesgöttin Freya geweiht gewesen, nach der Christianisierung habe man sie zu Marienlinden umgewidmet, so der Förster. Der Lindwurm, ursprünglich ein Drache ohne Beine und Flügel, habe in Höhlen unter Linden gehaust, so auch Fafnir in der Nibelungensage, in dessen Blut der Held Siegfried badete. Doch blieb ein Lindenblatt auf seiner Schulter kleben, wo dessen Feind Hagen ihn mit dem Speer tödlich verwundete, ebenfalls unter einer Linde.

Der Legende nach lebte die französische Königstochter Edigna im 11. Jahrhundert als Einsiedlerin 35 Jahre lang in einer Linde im Ort Puch bei Fürstenfeldbruck. Die Manesse-Liederhandschrift aus dem 14. Jahrhundert enthält ein Liebeslied von Minnesänger Walther von der Vogelweide über das Schäferstündchen eines Ritters mit seiner Angebeteten unter einer Linde. Reformator Martin Luther bezeichnete die Linde als „Lust- und Liebesbaum“, da sie in etlichen Orten als „Tanzlinde“ diente, wovon in Franken, Mitteldeutschland und Hohenlohe noch einige erhalten blieben.

Dazu baute man Tanzböden und Stufen an den Baum, stützte die Äste mit Holzbalken und/oder Steinsäulen ab und schnitt sie in unterschiedlichste Formen. Manche alten Linden dienten auch als Gerichtsbäume. Die mit schätzungsweise 1200 Jahren älteste Linde, zugleich wohl ältester Baum Deutschlands, steht im hessischen Schenklengsfeld. Von der Galerie der Napoleonslinde im Park Wachau bei Leipzig aus habe der französische Kaiser Napoleon I. die Niederlage seiner Armee in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 beobachtet, berichtete Brucklacher.

Viele Linden wurden als Gedenkbäume gepflanzt, so die Friedenslinden nach dem Dreißigjährigen Krieg und dem Ersten Weltkrieg. Im 16. Jahrhundert wurde die spätere Berliner Flaniermeile und Prachtstraße „Unter den Linden“ als Reitweg vom Stadtschloss zum Tiergarten angelegt, zudem blieben in Ostdeutschland viele Lindenalleen erhalten.

Die Linde war auch Lieblingsbaum König Friedrichs II. des Großen von Preußen: Vor dessen Amtszimmer im Potsdamer Stadtschloss stand die sogenannte Bittschriftenlinde. Sie sei Symbol für direkten Zugang der Untertanen zu ihrem König gewesen: „Viele warteten dort, bis der Alte Fritz aus dem Fenster schaute, dann trugen sie ihm ihre Anliegen vor“, erzählte der Förster. Diese Linde wurde 1945 durch sowjetischen Artilleriebeschuss fast zerstört. Anfang 1949, noch vor Gründung der DDR, zerhackten kommunistische Aktivisten einen neu austreibenden Strunk zu Feuerholz. Zur 1000-Jahr-Feier Potsdams 1993 wurde eine gestiftete, neue Linde am alten Platz eingesetzt.

Abschließend trug Jörg Brucklacher Gedichte über die Linde vor von Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke, Annette von Droste-Hülshoff und anderen, dazu die Volksweise „Am Brunnen vor dem Tore“ von Franz Schubert (Musik) und Wilhelm Müller (Text) vom Anfang des 19. Jahrhunderts.

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Erstellt:
19. März 2019, 06:00 Uhr

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