Krieg in der Ukraine

Europa will zur Militärmacht werden

Die USA sind für die EU kein verlässlicher Partner mehr, weshalb die Verteidigung völlig neu gedacht werden muss. Fragen gibt es dabei nicht nur in Sachen Finanzierung.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will die Aufrüstung in  Europa vorantreiben. Dafür hat sie auch bei eine Ukraine-Treffen in London geworben.

© AFP/TOBY MELVILLE

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will die Aufrüstung in Europa vorantreiben. Dafür hat sie auch bei eine Ukraine-Treffen in London geworben.

Von Knut Krohn

Europa muss dringend aufrüsten. Nicht erst seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wird in Brüssel über die mangelnde eigene Verteidigungsfähigkeit diskutiert. Doch weil sich die USA unter Präsidenten Donald Trump als verlässlicher Verbündeter verabschiedet haben, wird diese Forderung nun zur Notwendigkeit. Westliche Militärs warnen eindringlich, dass Russland weiter aufrüstet und auch wegen des Rückzugs Washingtons in absehbarer Zukunft sogar die Nato-Beistandsklausel auf die Probe stellen könnte – etwa durch einen Angriff auf ein baltisches Land.

Ein seit Jahren diskutierter Plan

Die Diskussion, Europas Verteidigung zu verstärken, ist nicht neu. Bereits vor einem Jahr hat die EU-Kommission umfangreiche Pläne für den Ausbau der europäischen Rüstungsindustrie vorgestellt. Der Ehrgeiz verlor sich dann aber in ambitionierten Strategiepapieren – passiert ist wenig. Dabei ist der Grundsatz klar. „Europa muss mehr ausgeben, besser ausgeben, europäisch ausgeben“, formulierte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits im März 2024. Diese Forderung wird sie angesichts des Zerwürfnisses mit den USA am Donnerstag auf einem Sondergipfel in Brüssel wiederholen – und einen umfassenden Plan für die Wiederaufrüstung Europas vorlegen, dem schnell konkrete Schritte folgen sollen.

Doch die Herausforderungen für Europas Verteidigung sind gewaltig. Um allein bei der Truppenstärke auf Augenhöhe mit Russland zu kommen, müssten die EU-Staaten mindestens 300 000 zusätzliche Soldaten rekrutieren. Das geht aus Berechnungen des Brüsseler Forschungsinstitut Bruegel und des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) hervor. Das kostet sehr viel Geld: In der EU wären jährlich etwa 250 Milliarden Euro zusätzlicher Wehrausgaben notwendig.

Die Aufrüstung verschlingt Milliardensummen

Die neuen Truppen bräuchten natürlich entsprechende Waffen. Um weitere 50 Brigaden mit 300 000 Mann auszurüsten, wären demnach 1400 neue Kampfpanzer und 2000 Schützenpanzer nötig – mehr als Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien derzeit zusammen haben. Dafür müsste auch der Wehretat in Europa auf mindestens 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung eines Landes steigen. Viele EU-Staaten sind im Moment allerdings noch von dem 2-Prozent-Ziel entfernt, das von der Nato vorgegebenen wird. Für Deutschland hieße das, dass der Wehretat von 80 Milliarden auf etwa 140 Milliarden Euro steigen würde.

Inzwischen wird in der EU auch offen über einen europäischen Verteidigungsfonds diskutiert – was vor wenigen Monaten noch undenkbar war. Damit könnte zum ersten Mal ein gemeinsames Finanzierungsinstrument für den Aufbau militärischer Kapazitäten geschaffen werden, ähnlich dem Wiederaufbaufonds nach der Corona-Krise. Unterstützt und vorangetrieben wird diese Idee von EU-Kommissionschefin von der Leyen, die mit dem Fonds gezielt strategische Fähigkeiten wie einen europäischen Raketenschutzschirm, Drohnen und militärische Künstliche Intelligenz (KI) finanzieren will.

Die schwierige Frage der Finanzierung

Sie hat auch bereits signalisiert, dass die EU-Kommission ein Auge zudrücken könnte, wenn die Staaten für Investitionen in die Verteidigung die Neuverschuldung über den Maastrichter Referenzwert von drei Prozent der Wirtschaftsleistung ausweiten. Zudem soll die Europäische Investitionsbank (EIB) ihre Kreditvergabe für Rüstungsausgaben flexibler gestalten. Bisher darf die EU-Förderbank nur Rüstungsgüter finanzieren, die sowohl militärisch als auch privat genutzt werden können. Und schließlich will die Kommission die privaten Banken mit neuen Kreditregelungen dazu ermuntern, verstärkt im Rüstungsbereich tätig zu werden.

Mit den Problemen der Rüstungsindustrie hat sich auch der frühere EZB-Chef Mario Draghi in seinem Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU befasst. Darin zeichnet er ein desaströses Bild des militärisch-industriellen Komplexes. In der Entwicklung von Spitzentechnologie für einzelne Waffensysteme arbeiteten Europas Unternehmen auf Weltniveau, aber der Sektor sei völlig zersplittert. Die nationalen Rüstungssektoren würden sich abschotten, schreibt Draghi. Das führe dazu, dass die Unternehmen zu klein sind, weshalb sie dann zu teuer produzieren.

Europa hat zu viele verschiedene Waffensysteme

Das habe zur Folge, dass die EU-Länder mit rund 300 Milliarden Euro zusammengenommen die zweithöchsten Rüstungsausgaben weltweit haben, militärisch aber ist Europa ein Zwerg. Diese Nationalisierung des Sektors habe auch zur Folge, schreibt Draghi, dass es zu viele Waffensysteme gebe, zu wenig Standardisierung und zu wenig Kompatibilität. In Europa sind zwölf verschiedene Typen von Kampfpanzern im Einsatz, in den USA nur ein einziges Modell.

Deutlich sichtbar wird die Problematik auch dadurch, dass die deutsche Luftwaffe F-35 Kampfjets aus den USA anschaffen muss, weil es in Europa nichts Vergleichbares gibt. Das bedeutet auch: Ersatzteile und Bewaffnung müssen für die weitere Zukunft aus den USA bezogen werden – einem Lieferanten, an dessen Zuverlässigkeit der derzeitige Präsident Zweifel sät.

Ziel ist eine gemeinsame Verteidigungspolitik

Die Forderungen Ursula von der Leyens zielen am Ende auf eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Der französische Präsident Emmanuel Macron ist am Sonntag mit seinem Vorschlag, mit Frankreichs Atomwaffen einen nuklearen Schutzschirm über Europa zu spannen, dabei weit vorangeprescht. Der logische Schritt auf diesem Weg wäre eine EU-Armee. Das wäre strategisch und wirtschaftlich sinnvoll und wurde bereits vor Jahren vom früheren EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gefordert.

Dann aber müsste sich Europa nicht nur den ungeklärten Fragen der Finanzierung stellen. Geklärt werden müsste auch: Wer hat das Oberkommando? Wer schickt die Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen? Hätte etwa der Deutsche Bundestag ein Veto für die Einsätze seiner eigenen Bürger? Und: Wer sitzt am Knopf für die Atomwaffen? Möglich ist, dass sich die EU sehr bald diesen Fragen stellen muss, denn Donald Trump hat in diesen Tagen die alte Weltordnung zerstört und Europa ist auf sich alleine gestellt.

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Erstellt:
3. März 2025, 16:12 Uhr

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