Umweltverschmutzung
Europas Kampf gegen die Plastikflut
Abfall aus Kunststoff ist in der Tiefsee und in der Arktis zu finden. Jeder weiß, dass dagegen etwas getan werden muss, aber die Sache ist kompliziert.

© PA Wire/Lynne Cameron
Ein Berg von Plastikflaschen, gesammelt an einem Strand in Großbritannien. Die Abfallflut wird auf der ganzen Welt zu einem immer ernsteren Problem.
Von Knut Krohn
Plastik ist überall. In Computern, Autos, im Badezimmer, in Kosmetika, selbst in Buntstiften ist Kunststoff in allen Größen, Formen und Farben zu finden. Die EU hat dieser Flut schon vor Jahren den Kampf angesagt, da die Plastikteile nicht nur die Umwelt verschmutzen, sondern längst auch zu einer Gefahr für die menschliche Gesundheit geworden sind. Mikroskopisch kleine Teile sind in fast allen inneren Organen nachzuweisen – auch im Gehirn.
Plastikabfall ist überall auf der Welt zu finden
Plastikabfall sei in den tiefsten Tiefen der Tiefsee und auf den höchsten Bergen zu finden, erklärt Melanie Bergmann. Sie arbeitet am Alfred-Wegener-Institut, ist Polar- und Tiefseeforscherin und untersucht seit Jahren die Verschmutzung der Meere. Bei einer Veranstaltung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) räumt sie auch gleich mit einer offensichtlich naiven, aber weit verbreiteten Vorstellung auf. Sie hält wenig davon, das Plastik aus den Weltmeeren zu fischen. „Das wäre nur ein kleiner Tropfen auf einen sehr heißen Stein“, betont die Wissenschaftlerin angesichts der unvorstellbaren Menge an Abfall. „Wir müssen uns leider damit abfinden, dass das Zeug im Meer herumschwimmt.“
Sie geht davon aus, dass über 350 Billionen Plastikteilchen an der Oberfläche der Ozeane treiben. „Fast 20 Millionen Tonnen Plastik landen jedes Jahr neu in unseren Gewässern“, sagt Bergmann. Aus ihrer Sicht sei es das Sinnvollste, an der Quelle allen Übels anzusetzen und die Plastikproduktion zu begrenzen. Bei einer Verknappung werde der Kunststoff zudem automatisch teurer, was den Anreiz erhöhen würde, die Stoffe zu sammeln und zu recyceln. Gleichzeitig würden auch Mehrwegverpackungen deutlich attraktiver.
Eine kunststofffreie Welt ist illusorisch
In dieselbe Kerbe schlägt auch Alexander Bonde. Eine kunststofffreie Welt sei zwar illusorisch, räumt der DBU-Generalsekretär in Brüssel ein. „Denn etwa in der Medizin ist das Material unverzichtbar.“ Umso mehr müsse man aber alles daransetzen, sowohl die Kunststoffproduktion zu reduzieren als auch Primärkunststoffe durch recycelte Kunststoffe, sogenannte Rezyklate, zu ersetzen. Laut Naturschutzorganisation Nabu wurden allerdings 2023 von den bundesweit fast sechs Millionen Tonnen Kunststoffabfällen lediglich etwa 52 Prozent stofflich verwertet. Der Rest wurde verbrannt. Bonde betonte: „Da müssen wir erheblich ambitionierter werden.“
Doch der Umweltschutz steht in diesem Fall vor vielen Schwierigkeiten. Grundlegend sei ein funktionierendes Rückholsystem, betont Felix Gruber, Leiter der Abteilung Umwelt bei der Deutschen Stiftung Umwelt. „Man muss den Kunststoff möglichst sortenrein erfassen und dann weiterverarbeiten.“ Denn: Verschiedene Plastikarten könnten nicht einfach miteinander vermischt werden.
Die EU kämpft für eine höhere Recyclingquote
Natürlich mache sich auch die EU für eine wesentlich höhere Recyclingquote stark, betonte in Brüssel die Kommissionsvertreterin Florika Fink-Hooijer. Aus diesem Grund werde Ende 2026 das Gesetz über die Kreislaufwirtschaft vorgelegt (Circular Economy Act), mit dem ein Binnenmarkt für Sekundärmaterialien und Abfälle eingeführt werden soll. Kritik kommt allerdings von Umweltverbänden. So betont der Deutsche Naturschutzring, dass es völlig unklar sei, ob das geplante Gesetz auch Impulse für die Vermeidung von Abfällen liefern werde. Da fehle es an einer umfassenden und effektiven Strategie.
Die Kommissionsvertreterin Fink-Hooijer scheint ihre Hoffnung in diesem Fall auf die wirtschaftliche Dimension dieses Bereiches zu legen. „Europäische verarbeitende Unternehmen geben derzeit mehr als doppelt so viel für Material aus wie für Arbeit oder Energie. Kreislauforientierte Verfahren können Kosten deutlich senken.“
Ziel ist ein globales Plastikabkommen
Diese Annahme wurde von Virginia Janssens, Geschäftsführerin von Plastics Europe, dem paneuropäischen Verband der Kunststofferzeuger, bestätigt. Auch bei den Plastikproduzenten werde viel über das Problem der Vermeidung diskutiert, bestätigte sie in Brüssel. Auch sie ist überzeugt, dass nicht nur aus Umweltschutzgründen global mehr in eine Kreislaufwirtschaft investiert werden müsse. Virginia Janssens betonte aber, dass man die Erfolgsaussichten dieser Bemühungen realistisch einschätzen müsse: „In vielen Weltteilen ist schlicht nichts – keine Infrastruktur und auch das Bewusstsein ist nicht vorhanden.“ Große Hoffnung setzt die Umwelt-Generaldirektorin Fink-Hooijer in diesem Fall auf die Fortsetzung der Verhandlungen über ein UN-Plastikabkommen im August 2025. Die EU werde „intensiv die Verhandlungen über einen globalen Kunststoff-Vertrag in Richtung einer international koordinierten Lösung mitgestalten“.
Große Probleme bereitet das Mikroplastik
Die Tiefseeforscherin Melanie Bergmann wies darauf hin, dass man im Fall der Verschmutzung durch Plastik auch über das Mikroplastik reden müsse, das etwa durch Reifenabrieb oder Bremsbeläge entstehe. „Das wird in die Luft gewirbelt und kann in fünf Tagen von Europa in die Arktis transportiert werden“, sagte die Wissenschaftlerin. Auch dieses Problem hat die EU auf dem Schirm und in diesen Tagen ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Umweltverschmutzung durch Mikroplastik vermindert werden soll. Unternehmen sollen demnach sicherstellen, dass Kunststoffgranulat aus ihrer Produktion nicht in die Natur gelangt.
Das Gesetz betrifft Plastikpartikel, die meist kleiner als fünf Millimeter, extrem langlebig und in der Natur schwer abbaubar sind. Betroffene Unternehmen sollen etwa ein Konzept vorlegen, mit dem sie die Verschmutzung durch Mikroplastik verringern. Wegen Fehlern in der Produktion gelangen nach Einschätzung der EU-Kommission bislang jährlich bis zu 184 000 Tonnen Kunststoffgranulat in die Umwelt. Neben den nun vereinbarten Regeln für Unternehmen hatte Brüssel in den vergangenen Jahren bereits bewusst zugesetztes Mikroplastik wie das Granulat auf Kunstrasen und losen Glitzer in Kosmetikprodukten verboten.