Aufrüstung der EU
Europas schwieriger Weg zum wehrhaften Stachelschwein
Europa will aufrüsten und sich in Sachen Verteidigung von den USA lösen. Bisher gibt es viele Pläne, aber wenige konkrete Schritte. Die bereits gekauften amerikanischen F-35-Kampfjets könnten im Extremfall zum Problem werden.

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Viele EU-Staaten haben F-35-Kampfjets gekauft. Doch inzwischen gibt es Zweifel an der Verlässlichkeit der USA im Krisenfall – und damit auch an den Flugzeugen.
Von Knut Krohn
Europa will zum stählernen Stachelschwein werden. Friedlich lebend, aber gefährlich und unverdaulich für mögliche Angreifer. Dieses nette und doch martialische Bild benutzt EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, wenn sie die angestrebte Verteidigungsfähigkeit der Union beschreibt. Also beginnt Europa, seine Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen. Auslöser dafür sind nicht nur der Überfall Russlands auf die Ukraine und die hybriden Angriffe auf die EU-Staaten. Den Prozess wesentlich beschleunigt hat der beginnende Abschied der USA aus der westlichen Werte- und Verteidigungsgemeinschaft. Europa ist zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg gefordert, seine Verteidigung ohne amerikanische Unterstützung zu organisieren.
Viele Pläne und noch mehr Abkürzungen
Doch der Weg zum Stachelschwein ist lang und im Moment können allenfalls ehrgeizige Pläne präsentiert werden. So versammeln sich hinter der Überschrift „ReArm Europe“ verschiedene Programme, bei denen die EU vor allem ihrer großen Schwäche für Abkürzungen freien Lauf gelassen hat. Hinter dem Akronym EDIPRA (European Defence Industry Reinforcement through common Procurement Act) verbirgt sich die gemeinsame Beschaffung von Waffensystemen. Im Rahmen von ASAP (Act in Support of Ammunition Production) sollen Engpässe bei der Produktion von Artilleriegranaten überwunden werden. Und über SAFE (Security Action for Europe) soll die Vergabe zinsgünstiger Kredite geregelt werden.
Am Donnerstag hat das Europaparlament nun seine Position zum Programm für die europäische Verteidigungsindustrie (EDIP) festgezurrt. Nach Worten des CDU-Abgeordneten Michael Gahler soll damit langfristig die Kooperation der Mitgliedstaaten im Bereich Verteidigung verbessert werden. „EDIP wird einen effektiveren Einsatz europäischer Steuergelder ermöglichen und auch die Versorgungssicherheit im Verteidigungsbereich verbessern“, ist der außenpolitische Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Parlament überzeugt.
Geld ist nicht mehr das zentrale Problem
Im Dschungel all der Programme wird deutlich, dass Geld inzwischen nicht mehr das zentrale Problem ist. Bestes Beispiel: Deutschland. Mit dem Beschluss des Bundestags, praktisch unbegrenzt neue Schulden für die Verteidigung aufnehmen zu dürfen, will die künftige Regierung massiv in die Fähigkeiten der Bundeswehr investieren. Wesentlich komplizierter ist die Frage der Koordination europäischer Projekte zwischen den einzelnen EU-Staaten. Nichts scheint sinnvoller, als einen europäischen Panzer oder ein Flugzeug zu entwickeln, doch das scheiterte bis jetzt an der Realität. Denn das bedeutet, dass nationale Hersteller zurückstecken müssten, wozu diese nicht bereit sind.
Diese Egoismen verhindern seit Jahrzehnten etwa den Bau eines gemeinsamen Kampfjets. Zurzeit laufen zwei Projekte zur Entwicklung eines Flugzeugs der 6. Generation: das SCAF (Future Air Combat System), ein deutsch-französisch-spanisches Projekt, und das GCAP (Global Combat Air Programme), ein italienisch-britisches Projekt. Nicht nur der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi fordert in seinem vielzitierten Bericht über die gravierenden Defizite innerhalb der Europäischen Union ein Ende der nationalen Egoismen und weniger Doppelungen bei wichtigen Verteidigungsprojekten.
Europa hat sich lange auf die USA verlassen
Europa konnte sich diesen kostspieligen Schlendrian leisten, weil viele Staaten auf US-amerikanische Waffensysteme zurückgreifen konnten. Im Fall der Kampfjets ist das die F-35 von Lockheed Martin. Das tat auch Deutschland, das für zehn der insgesamt 100 Milliarden Euro aus dem sogenannten Sondervermögen für die Bundeswehr F-35-Maschinen bestellte. Das war allerdings vor dem Wahlsieg des US-Präsidenten Donald Trump, der die Unterstützung selbst für seine engsten Partner in Frage stellt. Das Problem: Der Betrieb der F-35 ist von amerikanischer Wartung abhängig, so sind etwa regelmäßig Software-Updates erforderlich. „Das bedeutet, die Käufer dieser extrem kostspieligen Produkte brauchen komplette Sicherheit, dass das Verkäuferland kooperativ bleibt und die Software-Updates somit auch zur Verfügung gestellt werden“, schreibt die Sicherheitsexpertin Elisabeth Braw in „Foreign Policy“. Das heißt, im Extremfall könnten die F-35 von den Amerikanern bei ihren Interessen zuwider laufenden Einsatzplänen schlicht abgeschaltet werden.
Für die Ukraine ist dieses Horrorszenario im Überlebenskampf bittere Realität geworden. Die USA stoppten die Übermittlung von Aufklärungsdaten, die für die Programmierung der von ihnen an Kiew gelieferten Himars-Mehrfachraketenwerfer nötig sind. Diese aber sind für die Verteidigung des Landes gegen russische Angriffe von zentraler Bedeutung.
Die Tornados der Bundeswehr müssen ersetzt werden
Europa hängt in diesem Fall allerdings nicht nur militärtechnisch von den USA ab. Denn die F-35-Jets sind auch Teil eines komplexen politischen Systems, zu dem die Teilhabe Deutschlands an der nuklearen Abschreckung gehört – ein Abschreckungskonzept der Nato, bei dem Verbündete im Kriegsfall Zugriff auf US-Atombomben haben. Aus diesem Grund hält Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius am geplanten Kauf der Kampfflugzeuge fest. Aktuell sind die Tornados der Bundeswehr dafür vorgesehen, diese Bomben zu transportieren. Aber nach mehr als 40 Jahren im Dienst soll der letzte der Jets spätestens 2030 ausgemustert werden. „Nur die F-35 können zeitgerecht die Lücke schließen, die Ende des Jahrzehnts entsteht, wenn die Tornados an ihre Altersgrenze kommen“, betont Pistorius.