Ampel-Nachlese bei Caren Miosga
Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang: “Ich habe Mist als Gold verkauft“
Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang räumt im ARD-Talk eigene Fehler ein und attackiert die Union. Peer Steinbrück (SPD) mäkelt am Kanzler rum.
Von Christoph Link
Nächtliche Belehrungen am Sonntagabend versprechen keine prickelnde Unterhaltung, aber von der Leitfrage – was lehrt uns das Scheitern der Ampel? – blickte Caren Miosga in ihrer Talkrunde bald spannend in die Zukunft: Wie geht es weiter nach Neuwahlen und wie schaffen die Politiker es, das in der Bevölkerung verlorene gegangene Vertrauen in sie zurück zu gewinnen? Das war der rote Faden der Sendung, eingeleitet von einer Befragung von kritischen Straßenpassanten sowie einer Umfrage der Körber-Stiftung, wonach nur noch 22 Prozent der Befragten großes oder sehr großes Vertrauen in den Bundestag haben, 18 Prozent in die Bundesregierung und neun Prozent in die Parteien. Eine Mitschuld am Vertrauensschwund hat auch die Ampel-Koalition, der Schluss durfte nach den Ausführungen von Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang erlaubt sein, denn die waren geprägt von Eingeständnissen. „Sie reden jetzt freier und gelöster“, attestierte Caren Miosga der grünen Bundestagsabgeordneten, die im September von der Parteiführung zurück getreten war.
Lang geht in die Vollen
In der Tat ging Lang in die Vollen und war wegen ihrer Offenheit so etwas wie der Star der Sendung. Zum einen räumte sie eigenes Versagen ein, so sei es „ein großer Fehler“ gewesen, dass die Grünen sich bei der Europawahl und in den Wahlkämpfen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen so auf die AfD konzentriert hätten. „Wir haben Wahlkämpfe geführt, die sich nur noch um das beste Argument gegen die AfD gedreht haben.“ Stattdessen hätte man sich lieber thematisch mit der Infrastruktur, der Ungleichheit oder der Bildung befassen sollen. Mit dem Motto, „Wir sind die Guten, weil wir nicht die Schlechten sind“, sei übrigens auch Kamala Harris gescheitert.
Auch in der Ampel-Regierungszeit erkennt Lang eigene Fehler. Nach dem Karlsruher Urteil zum Haushalt, das der Regierung eine 60-Milliarden-Euro-Lücke bescherte, hätte es Neuverhandlungen des Koalitionsvertrages geben müssen. Dass man die nicht wollte, so Lang, „war auch mein Fehler“. Man habe die Zeitenwende verkündet und gleichzeitig so getan, als ob alles beim Alten bleiben könne. Die Ampel habe wohl nicht die Kraft für Neuverhandlungen gehabt und sich stattdessen im „Klein-Klein“ von Hunderten von Maßnahmen verloren. Grundsätzlich sei es ein Problem gewesen, dass die drei Regierungsparteien von Anfang an Differenzen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik „zur Seite“ geschoben hätten.
„Ich habe mich geschämt“
Aber auch den eigenen Politikstil unterwarf Ricarda Lang einer kritischen Betrachtung und sie belegte anschaulich, was der Studiogast Peer Steinbrück (SPD), Ex-Bundesfinanzminister und Ex-SPD-Kanzlerkandidat, als „Beschreibungsangst“ der Politiker bezeichnete, das Unvermögen, politische Probleme oder unbequeme Wahrheiten klar anzusprechen. In einem eingespielten Videobeitrag mit einer Rede von Ricarda Lang ging es um den Autobahnausbau – für Grüne kein Herzensanliegen – für den die Grünen-Chefin aber plötzlich schwärmte und den sie belobigte mit dem Hinweis auf den ihn begleitenden Ausbau von Solaranlagen. Das war schon erstaunlich. Da habe sie „Unsinn“ geredet, erinnerte sich Lang nun bei Miosga, ja, dafür habe sie sich geschämt. „Da habe ich Mist als Gold verkauft.“ Mitschuld an so einem Verhalten seien Politiker und Medien, die immer nur nach den Kriterien Gewinner oder Verlierer urteilten und nach jeder Pressekonferenz werde geschaut „was denn rausgetragen wird“. Diese Logik der inneren Debatte der Politikblase mit ihren „eigenen Mauern und Spielregeln“ müsse man eigentlich mal durchbrechen, meinte Lang. „Was wäre denn passiert, ich hätte aus meinem Herzen gesprochen? Ich hätte vielleicht drei Anrufe aus der Parteizentrale erhalten.“
Union der „Wählerverarsche“ bezichtigt
Nicht nur in der Selbstkritik war Lang stark, auch im Austeilen an die Union. Nachdem Robin Alexander, Vize-Chefredakteur der „Welt“, schon die Wahlprogramme von Union und SPD kritisiert hatte – in dem der Union sei „gar keine Gegenfinanzierung“ der Ausgaben, in dem der SPD lasse sich auf einem Bierdeckel ausrechnen, dass die Gegenfinanzierung nicht reiche – legte Ricarda Lang nach: Das Programm der Union enthalte ein Steuergeschenk nach dem anderen vor allem für „Leute mit großem Geldbeutel“. Es werde eine 100-Milliarden-Euro-Lücke aufreißen, ohne zu sagen, wie sie finanziert werden soll. Entweder die Union meine, man solle ihr Programm nicht ernst nehmen, oder sie traue sich nicht zu sagen, ob sie die Lücke mit Kürzungen bei der Rente, dem Klimaschutz oder den Familien schließen wolle: „Das ist Wählerverarsche. Das ist der Gipfel der Unehrlichkeit.“
„Sie reden wie Scholz!“
Während ihrer Ausführungen musste sich Ricarda Lang vom Journalisten Alexander zweimal attestieren lassen, sie rede „wie Olaf Scholz“ – einmal bei der von ihr befürworteten Rentenstabilisierung, einmal bei der Frage komplexer Koalitionsbildungen. Von allzu großer Scholz-Nähe konnte hingegen bei Peer Steinbrück nicht die Rede sein. Er ging mehrfach auf Distanz zur SPD und zum SPD-Kanzler. So bezeichnete er die von der SPD geforderte Stabilisierung des Rentenniveaus aus dem Blickwinkel der „Generationengerechtigkeit“ nicht als „das Gelbe vom Ei“. Eine Position, die auch Robin Alexander teilte, der fragte wie die SPD und die Grünen denn die Altersarmut bekämpfen wollten, indem sie die gar nicht davon betroffenen hohen Renten auch stabilisierten. Aber die krasseste Abgrenzung vollzog Steinbrück zur eigenen Partei und zu Olaf Scholz in der Ukraine-Politik. So kritisierte er die Brandenburger SPD, die in ihrem Koalitionsvertrag geschrieben hatte, Deutschland dürfe nicht in eine „sich immer schneller drehende Kriegsspirale“ hineingezogen werden und weitere Waffenlieferungen würden den Krieg nicht beenden. Es sei doch nicht Deutschland, dass die Spirale antreibe, meinte Steinbrück, es sei Russland. Wladimir Putin sei „nach außen und innen“ ein Gewalttäter. In ihrer Unterstützung der Ukraine müsse er den Grünen ein Kompliment machen, so Steinbrück: „Die sind da klarer „committed“ als meine eigene Partei.“
Kein Spiel mit der Angst
Von Miosga dokumentiert wurde erneut die Redepassage von Olaf Scholz, indem er Friedrich Merz vorwarf, mit Deutschlands Sicherheit zu spielen und Russisches Roulette zu betreiben. Mehrfach ist dies als Schüren von Angst interpretiert worden. Scholz erste Aussagen unter dem Siegel der „Besonnenheit“, er wolle die Nato und Deutschland aus dem Krieg raushalten, die seien glaubwürdig gewesen, so Peer Steinbrück. Die Redepassage zu Merz hält er aber nicht für gut. „Ich selbst würde nie mit der Angst spielen. Angst ist kein guter Ratgeber, wir müssen besser das Selbstvertrauen in die eigenen Kräfte fördern.“ Scharf ging Steinbrück dann übrigens mit CSU-Chef Markus Söder ins Gericht, der in Warschauer den Kniefall von Willi Brandt kopiert hatte: „Das ist eine der größten Geschmacklosigkeiten, die ich von einem deutschen Politiker erlebt habe.“ Anschließend habe sich Söder mit Bratwürstchen filmen lassen. Er glaube, bei dem Mann seien „die Synapsen“ nicht richtig verdrahtet.
Das sind Worte, die schon nach heißem Wahlkampf klingen. Und der wird kommen, davon ist Robin Alexander überzeugt. Er ging nochmals auf die Scholz‘sche Kritik an Merz ein: Es sei riskant, Merz in die Rolle eines „gefährlichen Menschen“ zu rücken. Wenn der Wahlkampf jetzt schon so beginne, frage er sich, welche Dynamik er wohl im Februar entwickeln werde. Für den Journalisten Alexander ist eine Aufgabe besonders wichtig: Polen, die Niederlande und die EU bewegten sich längst in der Migrationsfrage, eine neue deutsche Regierung müsse auf die Migration „aus der Mitte heraus“ auch eine vernünftige und humane Antwort finden: „Sonst gibt’s in vier Jahren eine ganz andere Antwort.“