Familiäre Belange haben Gewicht

Die Diakonie ambulant hat den Otto-Heinemann-Preis erhalten, der besonderes Augenmerk auf die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege legt. Dies ist eine weitere Anerkennung für den ambulanten Pflegedienst mit Sitz in Murrhardt und sein Konzept im Sinne der Beschäftigten.

Thomas Nehr freut sich über den Otto-Heinemann-Preis, der nach den Auszeichnungen als familienbewusstes Unternehmen in Baden-Württemberg nun eine bundesweite Anerkennung des Engagements bedeutet. Außerdem ist die Diakonie ambulant jetzt „Faire Einrichtung“ und erfüllt bestimmte Kriterien eines Katalogs zu fairem Handel und Nachhaltigkeit. Foto: Stefan Bossow

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Thomas Nehr freut sich über den Otto-Heinemann-Preis, der nach den Auszeichnungen als familienbewusstes Unternehmen in Baden-Württemberg nun eine bundesweite Anerkennung des Engagements bedeutet. Außerdem ist die Diakonie ambulant jetzt „Faire Einrichtung“ und erfüllt bestimmte Kriterien eines Katalogs zu fairem Handel und Nachhaltigkeit. Foto: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. In einer Gesellschaft, in der die Gruppe der Älteren und Hochbetagten wächst, wird auch für Berufstätige die Pflege von Angehörigen immer mehr zum Thema. Wie sich diese private Aufgabe mit dem Beruf vereinbaren lässt und wie Arbeitgeber dies gezielt und erfolgreich unterstützen, ist das Thema des Otto-Heinemann-Preises. Er zeichnet bundesweit Unternehmen und Institutionen aus, die mit vorbildlichen Lösungen ihre Angestellten in diesem Sinne begleiten und entlasten.

Die Diakonie ambulant, Gesundheitsdienste Oberes Murrtal, kam mit ihrer Bewerbung in der Kategorie von Arbeitgebern mit bis zu 200 Beschäftigten unter die drei Nominierten und hat dann den ersten Platz gemacht. Geschäftsführender Vorstand Thomas Nehr freut sich besonders über die inhaltlich bestärkende Rückmeldung von Jürgen Hohnl, Geschäftsführer von IKK e.V., in dessen Laudatio. „Ganz besonders angesprochen hat uns in der Jury in diesem Jahr eine Bewerbung, die stark auf die Entwicklung gesundheitsorientierter Haltungen in der eigenen Organisation setzt. Wir haben hier keine Sammlung von Einzelmaßnahmen gefunden, sondern ein stringentes, nachhaltiges Managementkonzept, das sowohl im Unternehmensleitbild wie auch in den Führungskonzepten seinen Widerhall findet“, erläuterte Hohnl. „Das Konzept – bestehend aus Maßnahmen wie zum Beispiel flexible Arbeitszeitgestaltung mit Arbeitszeitkonten, Sonderurlaub aus pflegebedingten Gründen oder abgestufter Teilzeit zur Förderung des schrittweisen Wiedereinstiegs nach der Pflegezeit – wird durch einen aus allen Abteilungen besetzten Steuerungskreis begleitet.“

Hohe Beteiligung bei der Befragungder Teammitglieder

„Damit hat er unsere Haltung erspürt, den salutogenetischen Blick unseres Konzepts und Herangehens“, sagt Thomas Nehr. Die Gesundheit auch im Sinne des Teams sei für die Diakonie ambulant sehr wichtig – nicht erst seit Kurzem. Im Mittelpunkt steht dabei das Belev-Konzept, mit dem die Diakonie ambulant ihr Gesundheitsmanagement steuert und das eine kontinuierliche Selbstreflexion und den gemeinsamen Lernprozess begleitet. Belev trägt als Zusatzbeschreibung „Gesundes Arbeiten begleiten“ und bedeutet wörtlich übersetzt „ins Herz“. „Wir arbeiten mittlerweile seit zwölf Jahren mit Belev“, erläutert der Geschäftsführer. Ein zentraler Bestandteil ist eine ausführliche Befragung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bereits zum fünften Mal erfolgt ist. Mittlerweile liegt die Beteiligung bei 83 Prozent – in Verwaltung und Therapie erreicht sie 100 Prozent, in der Pflege 73 Prozent der Beschäftigten. Das bedeutet für Thomas Nehr, dass diese sich auch beteiligen wollen.

Ebenfalls sehr wichtig sind die jährlichen Mitarbeitergespräche, bei denen es beispielsweise darum geht, eine Pflegebedürftigkeit in der Familie oder Fragen rund um einen möglichen Ruhestandsantritt abzuklären. „Ich höre dann von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, was sie aktuell brauchen“, sagt Nehr. Angesichts des 70-köpfigen Teams muss er dafür ein beachtliches Zeitbudget einplanen. „Das ist ein Aufwand, den viele Unternehmen scheuen.“ Gleichzeitig müssten sich auch beide Seiten auf die Gespräche vorbereiten. Bereut haben Thomas Nehr und der sogenannte Lenkungskreis, in dem die Maßnahmen abgestimmt werden, dies aber keinesfalls. Gespräche und Befragungen dienen der Personalentwicklung und aus ihr sind beispielsweise das Best-Ager-Team (Kräfte, die über die Rente hinaus für den ambulanten Pflegedienst tätig sind) oder die Müttertour (Arbeitszeiten sind auf Betreuung abgestimmt) entstanden. Mal betreffen die familiären Verpflichtungen die Pflege, mal die Betreuung des Nachwuchses. Um nach der Erziehungszeit wieder einzusteigen, gibt es beispielsweise ein Modell, bei dem Beschäftigte drei Tage die Woche und jedes zweite Wochenende arbeiten, die Tandemarbeitspartnerin oder der Tandempartner übernimmt die restlichen Dienste. „Das bedeutet eine hohe Verlässlichkeit“, sagt der Geschäftsführer. Zum guten Handling für die Beschäftigten trägt bei, dass sie den Stellenumfang sehr flexibel – in Fünfprozentschritten – anpassen können. Dies wird auch Thomas Nehr nun selbst in Anspruch nehmen und von 90 auf 80 Prozent reduzieren, um seine beiden Schwestern zu unterstützen, bei denen sich abzeichnet, dass diese über kurz oder lang pflegerisch begleitet werden müssen.

Über das Wunschbuch wird zu besonderen freien Tagen kommuniziert

Neben den vielen Verpflichtungen im Alltag gibt es aber auch besondere Anlässe und freudige Termine, für die Teammitglieder mal einen oder zwei Tage freinehmen möchten. Dafür ist das sogenannte Wunschbuch zuständig, in dem dies notiert und so später miteinander ausgetüftelt werden kann. Das Gesamtkonzept hat sich also mehr als bewährt und hat Vorbildcharakter, was auch die Auszeichnungen als familienbewusstes Unternehmen zeigen (wir berichteten mehrfach). Dies ist zudem mit Blick auf den Fachkräftebedarf von Vorteil, erreichen Thomas Nehr doch regelmäßig Initiativbewerbungen. Obendrauf gab es bei der letzten Qualitätsprüfung des Medizinischen Diensts der Krankenkassen ein Gesamtergebnis von 1,0. Im Vergleich dazu liegt der bundesweite Schnitt bei 1,2.

Um den Blick zu weiten, hat die Diakonie ambulant sich darüber hinaus noch bei einer Initiative von Brot für die Welt beworben, um eine „faire Einrichtung“ zu werden, und nun die Auszeichnung für ein Jahr erhalten. Dazu müssen mindestens zwei Kriterien eines Katalogs rund um fairen und nachhaltigen Einkauf erfüllt sein sowie jährlich Bildungsangebote zum Themenbereich „fair handeln bei uns und weltweit“ bereitgehalten werden. „Das ist auch mit einer Selbstverpflichtung verbunden“, sagt Thomas Nehr. Es gebe bereits einiges an Punkten, die gut zu den Zielen und Kriterien auf der Ebene von fairem Handel und Nachhaltigkeit passten und die man bei Diakonie ambulant bereits praktiziere wie beispielsweise die Nutzung von Ökostrom, Verwendung von Umweltpapier oder der Einkauf im Murrhardter Weltladen. Verbunden sei die Auszeichnung auch damit, sich noch stärker mit dem Thema zu befassen und neue Anregungen zu bekommen.

Der Otto-Heinemann-Preis will das Engagement sichtbar machen und zur Fachkräftesicherung beitragen

Otto-Heinemann-Preis Um die Auszeichnung können sich familien- und pflegefreundliche Arbeitgeber mit ihren Konzepten zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege bewerben. Das Engagement für ihre Beschäftigten erhält Sichtbarkeit und trägt zur Fachkräftesicherung bei. Sie profitieren durch den Erfahrungsaustausch sowie Zugang zu Pflege-Know-how und pflegespezifischen Netzwerken. Der Otto-Heinemann-Preis wird seit 2015 von SpectrumK, dem BKK-Dachverband und dem IKK e.V. vergeben. Neben der Diakonie ambulant (Arbeitgeber mit bis zu 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern) haben ihn im November 2023 das Abrechnungszentrum Emmendingen (201 bis 1000 Beschäftigte)und die Rewe Group (mehr als 1000 Beschäftigte) erhalten.

Belev-Konzept Die Diakonie ambulant arbeitet seit vielen Jahren mit dem Belev-Konzept. Mehr Informationen dazu finden sich im Internet unter der Adresse https://belev.de.

Faire Einrichtung Die Auszeichnung ist eine Initiative der Landesstelle Brot für die Welt im Diakonischen Werk Württemberg in Kooperation mit dem Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg, dem Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, dem Dezernat Umwelt im Evangelischen Oberkirchenrat Stuttgart/Geschäftsstelle Grüner Gockel und dem Zentrum für Entwicklungsbezogene Bildung. Nach der Verleihung wählen teilnehmende Einrichtungen in der Regel jedes Jahr ein weiteres Kriterium aus, das sie erfüllen wollen. Jährlich berichten faire Einrichtungen über den aktuellen Stand der Umsetzung der Kriterien. Fairer und nachhaltiger Einkauf in den Bereichen Bewirtung, Textilien oder Give-aways und Geschenke gehören zu den Kriterien der fairen Einrichtung. Auch die Bereiche Mobilität, Druck-Erzeugnisse, IT und Elektronik, Müllvermeidung und Energiemanagement gehören zum Themenspektrum.

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Erstellt:
4. Januar 2024, 06:00 Uhr

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