Boxen bei Olympia 2024
Faustkampf auf dem Tenniscourt – Nelvie Tiafack will mehr als Bronze
Nelvie Tiafack aus Köln hat Bronze im olympischen Boxturnier bereits sicher. Der 25-Jährige, der als Kind aus Kamerun nach Deutschland kam, will aber mehr.
Von Dirk Preiß
An diesem speziellen Ort in Paris geht es ja normalerweise sehr gediegen zu. Die Zuschauer werden stets zur Ruhe gebeten – und halten sich dann auch daran. Die Sportlerinnen und Sportler führen Duelle ohne jeglichen Körperkontakt. Die Fäuste fliegen schon gar nicht. Hier, im Stade Roland Garros.
Doch das ändert sich nun.
Die Tenniswettbewerbe der Olympischen Spiele sind beendet, nun wird aus dem Centre-Court Philippe Chatrier eine Boxarena – in der auch ein deutscher Faustkämpfer noch einmal so richtig zuschlagen will. Im doppeldeutigen Sinne. Im Halbfinale der Klasse über 92 Kilogramm (in der schwersten olympischen Klasse) will Nelvie Tiafack an diesem Mittwoch (22 Uhr) den Usbeken Bakhodir Jalolov bezwingen. Und damit den Wert der Medaille, die er am Ende der Spiele mit nach Hause nehmen wird, noch steigern.
Eine „noch schönere Medaille in einer noch schöneren Farbe“ hätte der 25-Jährige gerne. Das Gute an der Ausgangslage für das Halbfinale: Bronze hat der Boxer durch den Einzug in die Runde der letzten vier schon sicher.
Eine Medaille für einen deutschen Schwergewichtsboxer bei Olympischen Spielen? Das klingt erst einmal überraschend. Zumindest für all jene, die Nelvie Tiafack nicht kennen. Er selbst kennt sich dagegen ziemlich gut – und sagte schon vor Monaten gegenüber der „WAZ“: „Die Frage ist nicht, ob ich mich für Olympia qualifiziere, sondern welche Medaille ich in Paris hole.“
Dass da kein boxerisches Großmaul ohne ordentlich was dahinter sprach, hat Tiafack in der französischen Hauptstadt schon bewiesen. Nun will er mehr – um seine durchaus ungewöhnliche Geschichte zu krönen. Vorläufig zumindest.
Als Kind von Kamerun nach Deutschland
Im Alter von acht Jahren war der heute 25-Jährige einst mit seiner Mutter Josephine aus Kamerun nach Deutschland gekommen. Genauer: nach Bergheim an der Erft. Dort ging er fortan zur Schule, musste die deutsche Sprache lernen, fand im Sport Anschluss. Aber: Irgendwann legte er derart an Gewicht zu, dass es ihm immer schwerer fiel, bei den Ballsportarten auf Augenhöhe mit seinen Mitstreitern zu agieren. Als Jugendlicher wog der 1,89 Meter große Tiafack irgendwann 130 Kilogramm – entschied dann aber selbst: So kann es nicht weiter gehen.
„Eigentlich“, sagt er, „bin ich durch das Ziel, abnehmen zu wollen, zum Boxen gekommen.“ An die erste Aufwärmrunde, sie dauerte eine Viertelstunde, erinnert sich Tiafack heute zwar mit Schrecken: „Die schlimmsten 15 Minuten meines Lebens.“ Warum er dennoch dabei blieb: „Das weiß ich auch nicht.“ Aber es lohnte sich.
Nelvie Tiafack kam schnell voran in seinem neuen Sport, sammelte Siege und Titel, machte nebenbei sein Abitur – erlebte aber auch einen erneuten Wendepunkt seiner Karriere. Einen Niederschlag in der Qualifikation für die Olympischen Spiele von Tokio vor drei Jahren. „Meine größte Niederlage“, sagt der Linksausleger, „aber gleichzeitig auch der Kampf, der mich am meisten vorangebracht hat.“
Nelvie Tiafack schraubte noch einmal sein Gewicht nach unten, wiegt nun rund 110 Kilogramm und fühlt sich so in der Lage, jeden Gegner zu bezwingen. Also auch Bakhodir Jalolov – der allerdings Olympiasieger von Tokio und 2,01 Meter groß ist. „Ich bin jetzt komplett entspannt“, sagt der 25-Jährige dennoch, schließlich habe er ja schon „alle Erwartungen übertroffen“. Gold strebt er dennoch an – auch mit Blick in die Zukunft.
Die Profikarriere beginnt nach Paris
„Ich denke mal, es ist ein Riesenvorgeschmack auf das, was hoffentlich auf mich wartet“, sagt Tiafack über das anstehende Halbfinale von Paris. Denn nach dem olympischen Turnier will der Boxer eine Profikarriere starten – der Titel Olympiasieger macht sich da gut auf der Visitenkarte und öffnet die eine oder andere Tür vermutlich etwas schneller.
Nelvie Tiafack investiert also weiter viel in seine boxerische Zukunft. Aber: Allein darauf ist der bisherige Sportsoldat in Bezug auf seine finanzielle Absicherung nicht angewiesen. Vor einem Jahr gründete er mit einem Freund ein eigenes Business, eine Autovermietung. „Existenzielle Sorgen“, meinte er in den Tagen von Paris, müsse er sich daher keine machen.
Was nichts an seinem Ehrgeiz ändern wird. Am Mittwochabend an einem ganz speziellen Ort in Paris.