Fragile Freiheit

Frauenleben sind heute vielgestaltig. Dafür gilt es weiter einzustehen. Gerade jetzt.

Am 8. März demonstrieren jedes Jahr Frauen dafür, ihre Rechte zum Wohle aller zu wahren.

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Am 8. März demonstrieren jedes Jahr Frauen dafür, ihre Rechte zum Wohle aller zu wahren.

Von Lisa Welzhofer

Stuttgart - Frausein in Deutschland – das war noch nie so selbstbestimmt und reich an Möglichkeiten wie heute. Forscherin, Mechatronikerin, Kanzlerin oder Schriftstellerin. Mutter oder kinderlos glücklich. Hausfrau oder Arbeitnehmerin. Frauen oder Männer liebend. Monogam, polyamor oder allein. Politisch links oder rechts bewegt. Einem achtjährigen Mädchen stehen Wege offen, die sich dessen 98-jährige Urgroßmutter in ihrer Jugend lediglich erträumen konnte.

Erarbeitet haben sich Frauen all das maßgeblich selbst. Indem sie auf die Straße und ins Gefängnis dafür gingen, sich als verrückt, gefährlich und hysterisch bezeichnen ließen. Sich ihre Wege bahnten, gegen alle Widerstände und Versuche, sie mit Verweis auf ihr Geschlecht klein zu machen. Das Erreichte ist ein Grund zu großer Freude und Stolz an diesem 8. März, dem Weltfrauentag oder auch feministischen Kampftag genannt.

Dazu gehört auch, scheinbar Widersprüchliches auszuhalten. Dass zum Beispiel mit Alice Weidel eine lesbische Frau Vorsitzende einer Partei ist, die gegen diese Vielfalt ins Feld zieht, mag ein Störgefühl erzeugen. Ebenso, dass die AfD mit einem teils völkischen Geschlechter- und Familienbild so viele Stimmen von Frauen gewonnen hat. Aber gerade in dieser Dialektik weiblicher Lebensläufe, in ihren Extrempolen spiegeln sich die erlangten Freiheitsgrade. Es zeigt sich, wie facettenreich und vielstimmig Frauen öffentliche Diskurse und Gesellschaft mitprägen. Erst wenn sie gleichsam Projektionsflächen für Bewunderung und Ablehnung sind, weil sie visionär oder gefährlich, empathisch oder machtgierig agieren, ist Gleichberechtigung Alltag geworden. Frauen sind auch nur Menschen – für diese Erkenntnis haben Feministinnen ebenfalls gekämpft.

Doch die Errungenschaften sind fragil. Wenn rechtspopulistische bis rechtsextreme Strömungen an Kraft gewinnen, stagniert die Gleichberechtigung, werden Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen beschnitten. Das zeigt sich weltweit und ist auch schon in Deutschland spürbar. Dass im neu gewählten Bundestag weniger Frauen sitzen als zuvor, weil die zwei stärksten Fraktionen – jene der Union und der AfD – Männerdomänen sind, ist ein Zeichen dafür. Dass das progressive und diverse Familienbild der Ampel-Regierung kaum eine Chance im nächsten Koalitionsvertrag haben wird, ein weiteres. Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden verstörend heftig mit Worten attackiert, sexuell angegangen und bedroht.

Von Rechtsaußen infiltrieren plumpe antifeministische Erzählungen den Zeitgeist („Feministinnen sind alle hässlich und grässlich“), wird eine Re-Traditionalisierung der Rollen wirkmächtig im Internet propagiert. Verklausulierter kommt da schon das fragliche Bild von Weiblichkeit eines Friedrich Merz’ daher, der findet, man tue Frauen keinen Gefallen, sie mittels Quote in einen Zustand der Überforderung zu befördern.

Außerdem arbeiten auch die Zeitläufe gegen die Emanzipation. Wenn die Wirtschaft kriselt, Abstiegsangst umgeht, innere und äußere Sicherheit wanken, geraten gleichstellungs- und familienpolitische Fragen als vermeintliche Blütenthemen für bessere Zeiten aus dem Blick. Dabei hat zuletzt das auch von Außenministerin Annalena Baerbock verfolgte Konzept feministischer Außenpolitik zu zeigen versucht, dass das Wohlergehen aller nur so weit reicht wie das ihrer schwächsten Glieder.

All diesen gleichberechtigungsbedrohenden Tendenzen gilt es sich entgegen zu stellen, als Frauen, als Menschen, als offene Gesellschaft. Es gilt jetzt erst recht, die Jugendträume der 98-jährigen Urgroßmutter im Leben des achtjährigen Mädchens wahr werden zu lassen.

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Erstellt:
7. März 2025, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
8. März 2025, 21:53 Uhr

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