Neue CD-Aufnahmen

Frieder Bernius rührt im Hexenkessel und lässt astrale Klarheit leuchten

Frieder Bernius hat Conradin Kreutzers 1813 in Stuttgart uraufgeführte Oper „Der Taucher“ aus dem Ozean des Vergessens geborgen. Gleichzeitig setzt der Originalklang-Dirigent seine Zelenka-Serie fort.

Frieder Bernius hat Conradin Kreutzers „Der Taucher“ eingespielt und ist selbst ein Taucher nach versunkenen Musikschätzen.

© Gudrun Bublitz

Frieder Bernius hat Conradin Kreutzers „Der Taucher“ eingespielt und ist selbst ein Taucher nach versunkenen Musikschätzen.

Von Martin Mezger

Die „Zauberflöte“, dann nichts, dann Wagner. Nur „Fidelio“ und der „Freischütz“ büßen in der Lücke, die heutzutage im deutschsprachigen Opernrepertoire klafft. Frühromantik? Nie gehört. Einem leidenschaftlichen Musik-Archäologen wie Frieder Bernius lässt das keine Ruhe. Jetzt hat der Originalklang-Dirigent Conradin Kreutzers „Der Taucher“ an Land gezogen. Das Stück, 1813 in Stuttgart uraufgeführt, später in Wien neu bearbeitet, lehnt sich nur in der Finalszene mit dem Sprung des Titelhelden ins tosende Meer an Schillers Ballade an. Der Rest: eine Story um Zwangsheirat und Thronusurpation.

Nicht ihretwegen lohnte sich das musikhistorische Tieftauchen, das gleichwohl einen versunkenen Schatz hob: Kreutzers Musik. Da brodelt gleich in der Ouvertüre der ganze Hexenkessel der Nachklassik. Bernius, der wohl beste Experte für diese vergessene Region der Musikgeschichte, dirigiert grandios: mit Schwung, Attacke, Sinn für Steigerungen, Schattierungen und Farbe. Die Virtuosität der Hofkapelle Stuttgart darf sich auch im Solistischen beweisen.

Phänomenale Stimme

Kreutzer setzt aufgewühlte Orchestertexturen illustrativ oder sogar psychologisierend ein, versteht sich aber auch auf handfeste Dramatik. In seiner Vokalmelodik formt er geradezu genial den klassischen Ton zum genuin frühromantischen Idiom um, etwa wenn die kleine Sekunde von einem Pathosmoment – einem Vorhalt - zum Impuls weit geschwungener Bögen wird. Sarah Wegener als liebende Alphonsine bringt sie zum Leuchten, Philipp Mathmann als Ivo, ihr Retter und Angebeteter, ebenso: ein Männersopranist in der Hosenrolle, natürlich völlig unhistorisch – aber phänomenal mit einer Stimme, die wie die eines erwachsenen Knaben klingt. Johannes Hill gelingt als Lorenzo ein interessantes Rollenporträt. Schade nur, dass im Booklet nichts über die eingespielte Version zu erfahren ist.

Mit Zelenkas „Missa Gratias agimus tibi“ setzt Frieder Bernius seine vor über 30 Jahren begonnene Serie fort – damals die Wiederentdeckung der flamboyanten, ekstatischen Kirchenmusik des Spätbarock-Genies. Bernius unterzieht die groß besetzte, aber auf formale Ökonomie bedachte Messe keinem Stresstest, wie er in Sachen Zelenka inzwischen manchmal Mode ist. Keine überspannte Motorik, keine betont kantigen Kontraste, sondern ein musikalisches Gefüge von vollendeter Organik zeichnet diese überragende Aufnahme aus. Hier stimmt alles, die konzertante Eleganz wie auch die astrale Klarheit des Kammerchors Stuttgart

Conradin Kreutzer: Der Taucher. Sarah Wegener, Philipp Mathmann, Johannes Hill, Pascal Zurek u.a. Kammerchor und Hofkapelle Stuttgart, Frieder Bernius. Carus 83.536

Jan Dismas Zelenka: Missa Gratias agimus tibi (ZWV 13). Magnificat in D (ZWV 108). Laudate pueri (ZWV 82). Beatus vir (ZWV 76). Hannah Morrison, David Allsopp, Thomas Hobbs, Jonathan Sells. Kammerchor und Barockorchester Stuttgart, Frieder Bernius. Carus 83.515

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Erstellt:
26. Dezember 2024, 01:08 Uhr

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