Kanzlerkandidat der Union

Friedrich Merz: „Man kann den Menschen durchaus etwas zumuten“

Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz spricht im Interview darüber, wie er die Wirtschaft wieder ans Laufen bringen will, was er bei der Rente plant und wie er mit dem Krieg in der Ukraine umgehen will. Außerdem verrät Merz, wie er Weihnachten feiert.

Friedrich Merz tritt als gemeinsamer Kanzlerkandidat von CDU und CSU in der Bundestagswahl an.

© dpa/Kay Nietfeld

Friedrich Merz tritt als gemeinsamer Kanzlerkandidat von CDU und CSU in der Bundestagswahl an.

Von Tobias Peter

In Umfragen sieht es gut aus für die Union. „Haltet den Ball flach“, so sage er es seinen eigenen Leuten, erzählt CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Interview. Und er skizziert erste Pläne, was er mit dem Land vorhat.

Herr Merz, Deutschland ist in der Wirtschaftskrise, Tausende Industriejobs sind in Gefahr. Was wäre Ihre erste Amtshandlung als Bundeskanzler, damit es wieder aufwärts geht?

Wir wollen die Stimmung im Land wieder ins Positive wenden. Es muss Schluss sein mit der Zurückhaltung bei Investitionen, mit der Kaufzurückhaltung, mit der Angst um die Arbeitsplätze. Anfang Februar werden wir ein 100-Tage-Programm vorstellen, das unser Land rasch und spürbar voranbringen soll. Beim sogenannten „Bürgergeld” werden wir auf stärkere Arbeitsanreize setzen. Und wir werden es für Rentner attraktiver machen, länger zu arbeiten – wenn sie es wollen. Es geht um die richtige Motivation, das Richtige zu tun.

Können Sie Unternehmen Steuerentlastungen und sinkende Energiekosten in Aussicht stellen? Und, wenn ja, wie wollen Sie das finanzieren?

Das Wichtigste ist, den Unternehmen Planungssicherheit zurückzugeben. Nicht alles, was an Entlastungen perspektivisch kommen sollte, muss gleich am ersten Tag in Kraft treten. Aber die Stoßrichtung muss klar und verlässlich sein: Es wird Schritt für Schritt Entlastungen für die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger geben.

Sind Steuererhöhungen mit der Union also ausgeschlossen?

Die Steuerbelastung der privaten Haushalte und der Unternehmen in Deutschland ist schon hoch genug. Da packen wir in der nächsten Legislaturperiode nichts mehr drauf.

Wird es mit Ihnen eine Reform der Schuldenbremse nach der Wahl geben?

Deutschland hat kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem. Wichtig ist, dass wir zuerst schauen, auf welche Ausgaben wir verzichten können. Ich bin bereit, am Ende darüber zu sprechen, ob eine Reform der Schuldenbremse für die Bundesländer hilfreich sein kann oder nicht. Aber in der Prioritätenliste kommt eine solche Überlegung für mich auf dem letzten Platz. Wir stehen zur Schuldenbremse.

Wenn ein Unternehmen in die Krise gerät, bedeutet Führung oft, dass man den Menschen dort etwas zumuten muss. Gilt das für ein Land auch?

Die Art, wie man ein Unternehmen durch eine Krise führt, unterscheidet sich ganz erheblich davon, wie man ein Land durch eine Krise führen kann. In einem Unternehmen können Sie von oben nach unten entscheiden. In einer Demokratie geht das nicht, in einer Demokratie müssen Sie die Menschen an ihrer Seite behalten. Man kann den Menschen durchaus etwas zumuten. Aber entscheidend ist es, glaubwürdig zu vermitteln, wie es daraus für alle wieder besser wird.

Was werden Sie den Menschen also zumuten?

Wir müssen die Ärmel aufkrempeln und mit Zuversicht an die Arbeit gehen! Anpacken! Und das kann doch für eine ganze Gesellschaft auch etwas Positives sein.

Wie motivieren Sie die Menschen dazu?

Wenn die Bürgerinnen und Bürger spüren, dass von dem, was sie mehr tun, etwas für sie übrig bleibt, motiviert sie das. Schauen Sie auf das Bürgergeld. Es vermittelt den Eindruck, es gebe ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das wollen wir ändern. Wir müssen auch generell die Übergänge im System verbessern: Nehmen Sie eine Familie, die Kinder in der Kita hat. Wenn die Mutter oder der Vater mehr arbeiten möchten, zum Beispiel 30 statt 20 Stunden die Woche, lohnt es sich oft nicht, weil dann höhere Kita-Gebühren fällig werden. Das wollen wir Stück für Stück ändern.

Bereuen Sie es, dass Sie dem Bürgergeld zugestimmt haben?

Moment mal, wir haben einem Ergebnis aus dem Vermittlungsausschuss zugestimmt. Die Regelsätze mussten angehoben werden. Das war damals allein wegen der Inflation richtig. Deshalb lassen wir uns aber nicht für alles andere in die Mithaftung nehmen, was die Ampel beschlossen hat. Das sogenannte „Bürgergeld“ gibt einfach die falschen Anreize. Das System „Bürgergeld“ stimmt in sich nicht.

Wie stark erhöht wird, das wird berechnet. Diesem Rechenmechanismus haben Sie zugestimmt.

Und die Koalition hat unseren Vorschlag, die Berechnungsmethode zu ändern, abgelehnt. Wir sagen unverändert: Da muss sich etwas Grundlegendes ändern. Schon der Begriff „Bürgergeld“ ist falsch. Wir werden daraus eine „Neue Grundsicherung“ machen. Wer arbeiten kann, soll auch arbeiten. Die, die nicht arbeiten können, denen muss natürlich auch in Zukunft geholfen werden.

Schaffen Sie es, die Zahl der Langzeitarbeitslosen signifikant zu senken?

Wir haben zur Zeit rund 5,6 Millionen Bürgergeldempfänger. Davon sind 1,7 Millionen erwerbsfähig. Von denen ein Drittel bis die Hälfte wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, dürfte angesichts der Vielzahl offener Stellen in Deutschland nicht so schwierig sein. Das werden wir hinbekommen.

Müssen auch die Rentner mit Zumutungen rechnen?

Zunächst einmal: Es bleibt beim Renteneintrittsalter 67. Aber wenn jemand früher in Rente gehen will, muss es Abschläge geben. Und wer länger arbeiten will, soll dafür vernünftige Anreize bekommen. Zum Beispiel könnten diejenigen, die weiterarbeiten möchten, 2000 Euro im Monat steuerfrei verdienen. Das ist unser Vorschlag. Das lohnt sich für den Staat und für die Sozialkassen und für die Rentner selbst am allermeisten. Wir wollen nicht mit Repressionen, Einschränkungen und Drohungen arbeiten, das ist auch gar nicht notwendig. Mit richtig gesetzten Anreizen kann man viel mehr erreichen.

Das wird das massive Finanzproblem bei der Rente aber nicht lösen. Viele Menschen sind verunsichert, was sich verändern wird. Bleibt mit der Union zum Beispiel das Rentenniveau bei 48 Prozent?

Wir werden nichts versprechen, was nicht zu finanzieren ist. Die Union wird aber auch keine Rentenpolitik machen, die zu Lasten der jungen Generation geht. Und es wird keine Rentenkürzungen geben. Diese Behauptung des Kanzlers ist einfach falsch. Es ist eine bewusste Unwahrheit. Der Anstieg der Renten wird vielleicht langsamer vonstattengehen. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel, aber sie wachsen.

Der Kanzler sagt, Sozialausgaben und Ausgaben für Verteidigung dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. Hat er da einen Punkt?

Olaf Scholz verspricht der Bevölkerung alles und will keine Prioritäten setzen. Das ist politische Arbeitsverweigerung. Wer als Politiker keine Prioritäten setzen will, kann auch gleich alles der Verwaltung überlassen.

Wie schnell würde ein Kanzler Friedrich Merz Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern?

Ich würde keine deutschen Alleingänge machen, sondern immer gemeinsam mit den europäischen Partnern vorgehen. Viele unserer Partner haben der Ukraine bereits den Einsatz weitreichender Waffen gegen militärische Ziele auf russischem Territorium erlaubt. Mit Blick auf den Wahlsieg von Donald Trump in den USA schlage ich vor, eine europäische Kontaktgruppe zu bilden, die sich abstimmt. Frieden in der Ukraine gibt es erst, wenn Russland die Sinnlosigkeit dieses Krieges einsieht.

Würden Sie, wie Olaf Scholz, mit Putin telefonieren?

Ich würde als Kanzler erst dann mit Putin telefonieren, wenn es darüber ein abgestimmtes Vorgehen unter den europäischen und transatlantischen Partnern gegenüber Russland gäbe.

Zurück zum Wahlkampf. Läuft es gerade fast schon zu gut für die Union? Fürchten Sie Übermut?

Ich sage unserer Mannschaft und den Kolleginnen und Kollegen regelmäßig: Haltet den Ball flach. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden und nicht wir. Wir kämpfen bis zum Wahltag um jede Stimme.

In den sozialen Netzwerken finden sich Auflistungen Ihrer Äußerungen oder Entscheidungen aus der Vergangenheit. Bereuen Sie davon etwas?

Meine politischen Grundentscheidungen sind richtig gewesen. Aber natürlich würde ich die eine oder andere Detailentscheidung heute, im Lichte der Erfahrung der vielen Jahre, vielleicht anders treffen. Ich nehme einmal das Thema Vergewaltigung in der Ehe, das mir ja immer wieder einmal zum Vorwurf gemacht wird. Eine Vergewaltigung ist das Schlimmste, was einer Frau passieren kann. Das vergisst eine Frau nie. Wir müssen die Täter hart bestrafen. Vergewaltigung in der Ehe war aber auch immer schon strafbar, als Nötigung und als schwere Körperverletzung. Ich habe also nie gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe gestimmt, wie immer wieder gezielt falsch behauptet wird.

Worum ging es?

1997 haben wir im Bundestag diskutiert, ob bei der Einbeziehung dieser Straftaten in den Vergewaltigungsparagrafen als Verbrechen eine Widerspruchsklausel aufgenommen werden soll. Das hätte den Opfern die Möglichkeit gegeben, eine Strafverfolgung zu verhindern, um die Ehe zu retten. Ich habe vor über 25 Jahren für eine solche Lösung gestimmt. Auch rund die Hälfte der Unionsfraktion hat das so gesehen wie ich. Andere haben es anders gesehen – und sie haben Recht gehabt aus der Rückschau. Auch ich würde heute anders abstimmen.

Apropos Straftatbestand. Sie beschwören einen „gesellschaftlichen Großkonflikt“, sollte man das Abtreibungsrecht anfassen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung spricht sich für eine Entkriminalisierung aus.

Große Teile der Welt beneiden uns um den mühsamen Kompromiss, den wir vor über dreißig Jahren gefunden haben. Ich finde, das war eine kluge Regelung. Aber natürlich kann man sich nach so vielen Jahren noch einmal neu mit dem Thema beschäftigten. Wir sehen ja, dass es auch da einen gesellschaftspolitischen Wandel gibt. Ich bin selbstverständlich offen, darüber zu diskutieren, aber doch bitte nicht auf den letzten Metern vor der Wahl, ohne eine breite parlamentarisch und gesellschaftlich geführte Debatte. Ein Hauruckverfahren würde dem Thema nicht gerecht werden. SPD und Grüne wollen mit dem Abtreibungsrecht im Wahlkampf die Bevölkerung spalten. Ich hoffe, dass beide Fraktionen da noch zur Vernunft kommen.

Gerade gibt es ein großes öffentliches Interesse zu den Memoiren von Angela Merkel. Können Sie Ihr Verhältnis in einem Satz beschreiben?

Unser Verhältnis ist freundlich und professionell.

Vor der heißen Phase des Wahlkampfs gönnen Sie sich, Ihren Mitarbeitern und dem Land noch ein bisschen Zeit zum Luftholen. Wie verbringen Sie denn Weihnachten?

In den letzten Jahren sind wir dazu übergegangen, über Weihnachten zu unseren Kindern zu fahren, um sie und ihre Familien von langen Autofahrten zu entlasten. Wir erleben Weihnachten jetzt so, wie unsere Kinder es mit ihren Familien feiern. Und das freut uns alle sehr.

Und was kommt auf den Tisch?

Wir sagen unseren Kindern immer: Macht nicht zu viel Aufwand, etwas Einfaches reicht. Zeit miteinander verbringen, das ist das Wichtigste.

Kochen Sie denn auch zur Entspannung, wie man das von vielen Führungskräften hört?

Ehrlich gesagt, ich habe keine Chance, das auszuprobieren, weil meine Frau einfach zu gut kocht. Aber was ich mir hin und wieder selber koche, sind zum Beispiel Spaghetti Frutti di Mare. Das geht schnell und einfach, schmeckt lecker, und jeder kann es hinbekommen.

Das Gespräch führten Tobias Peter und Jacqueline Westermann.

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Erstellt:
30. November 2024, 00:08 Uhr

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