Was geschah am . . . 15. April 1925?

Fritz Haarmann, der „Werwolf von Hannover“, wird hingerichtet

Erst hat er Sex mit ihnen, dann beißt er ihnen die Kehle durch: Fritz Haarmann tötet vor über 100 Jahren mindestens 24 junge Männer. Dafür wird er 1925 hingerichtet. Eine morbide Faszination bleibt von dem berühmt-berüchtigten deutschen Serienmörder.

Fritz Haarmann (Mi.) ermordete in den 1920er Jahren in Hannover mindestens 24 Jungen und junge Männer.

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Fritz Haarmann (Mi.) ermordete in den 1920er Jahren in Hannover mindestens 24 Jungen und junge Männer.

Von Markus Brauer/dpa

In der Nacht starrten ihn beleuchtete Schädel aus den Ecken seiner Gefängniszelle an, die Augenhöhlen mit rotem Papier beklebt. In einem Winkel der Zelle lag ein Sack mit Menschenknochen. Derart mürbe gemacht, gab Fritz Haarmann die grausige Wahrheit schließlich zu: Er war es, der als „Werwolf von Hannover“ mindestens 24 Jungen und junge Männer bestialisch getötet hatte.

Haarmanns Hackebeilchen und Hackefleisch

Doch so schaurig es war, bald sang man auf der Straße Lieder über den unheimlichen Mörder, zu einer damals populären Schlagermelodie: „Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir.“ Vor 100 Jahren, am 15. April 1925, wurde der Serienmörder hingerichtet.

„Warte warte nur ein Weilchen / Bald kommt Haarmann auch zu Dir / Mit dem kleinen Hackebeilchen / Macht er Hackefleisch aus Dir / Aus den Augen macht er Sülze / Aus dem Hintern macht er Speck / Aus den Därmen macht er Würste / Und den Rest den schmeißt er weg.“ Die beiden Sänger Ina Brosow und Rudolf Scherfling vertonten den beliebten Volksmund als Schlager im Jahr 1924.

Prozess wird zum medialen Großereignis

„Dieser Fall ist für mich immer ein gewisses Rätsel geblieben“, sagt der wissenschaftliche Leiter des Polizeimuseums in Nienburg, Dirk Götting. Es sei eigenartig, dass der Fall des pädophilen Serienmörders „über die Jahre einen solchen Status bekomme“ habe. „Er ist immer ein mediales Großereignis gewesen.“ Eine morbide Faszination bleibt.

  • Der beispiellose Fall fesselt auch Künstler. Götz George verkörperte Haarmann im Jahr 1995 in dem preisgekrönten Kinofilm „Der Totmacher“. entstanden anhand der protokollierten Gespräche, die der Psychiater Ernst Schultze mit Haarmann führte.
  • Am Schauspiel Hannover gab es ein Musical, der Fall Haarmann wurde darüber hinaus literarisch verarbeitet, etwa als Graphic Novel.
  • In Hannover gibt es zudem Stadtführungen auf den Spuren des 1879 geborenen Verbrechers.
  • Und: Der Serienmörder mit dem Hackebeil tauchte in Hannover als Figur auf einem Adventskalender auf.

Wie ein Wolf Halsschlagader durchgebissen

Schon früh wurden die unfassbaren Verbrechen Haarmanns auf Ausstellungen präsentiert: 1926 gab es eine große Polizeiausstellung in Berlin. Dort zeigte die Polizei Hannover das Haarmann-Zimmer aus der Roten Reihe, wie Götting erklärt. Unter anderem an dieser Adresse in Hannover wohnte der Serienmörder.

Was weiß man über den Fall? Zwischen 1918 und 1924 ermordete der polizeibekannte Kriminelle, der am 25. Oktober 1879 in Hannover geboren wurde, männliche Jugendliche und junge Männer im Alter zwischen 10 und 22 Jahren. Haarmann erdrosselte seine Opfer oder biss ihnen – womöglich in Ekstase – die Halsschlagader durch.

Viele waren Ausreißer und wurden in den Wirren der Nachkriegszeit zunächst nicht vermisst. Die Leichen zerstückelte er und warf sie in die Leine, die Kleidung verkaufte er. Als Kinder am Ufer der Leine im Frühjahr 1924 Knochen fanden, waren dies erste Hinweise auf die Mordserie.

Haarmann war Polizeispitzel

Am 22. Juni 1924 wurde Haarmann festgenommen – zunächst nur, weil er mit einem Jugendlichen in Streit geraten war. Die Polizei fand bei der Durchsuchung seiner Wohnung Hinweise auf die Verbrechen, darunter Blutspuren und blutbefleckte Kleidungsstücke junger Männer.

Allerdings gab es lange vorher Hinweise. Zum ersten Mord Haarmanns soll es schon 1918 gekommen sein. Nur: Hinweise aus der Bevölkerung kannte man nicht im Kaiserreich, sie wurden nicht ernst genommen, wie Götting berichtet.

Dazu kam: Der bekannte Kleinkriminelle diente der Polizei als Spitzel. Fritz Haarmann versorgte die Behörde nach dem Ersten Weltkrieg mit Informationen aus dem Rotlichtmilieu. Hinweisen auf Haarmann als Täter ging die Polizei daher zunächst nicht nach. Man kannte sich schließlich. Als die Beweise eindeutig waren, wurde er festgenommen und gefoltert, so Götting.

Nicht das echte Beil

Im Polizeimuseum in Nienburg ist unter anderem der Nachbau einer Zelle des Polizeigewahrsams in Hannover in der Weimarer Republik zu sehen. Dort saß Haarmann nach seiner Verhaftung ein. Auch ein Beil wird gezeigt. Dessen Provenienz sei aber fragwürdig. Bei einer forensischen Untersuchung vor 25 Jahren seien keine Spuren gefunden worden, erläutert der Polizeihistoriker.

Haarmann gestand schließlich nach tagelangem Verhör. Der Psychiater Ernst Schultze sollte untersuchen, ob er zurechnungsfähig war. Er kam zu dem Schluss, dass Haarmann für seine Taten verantwortlich war. Im Dezember 1924 verurteilt das Landgericht Hannover den Serienmörder zum Tode. Am 15. April 1925 wurde er enthauptet. Sein in Formalin eingelegter Kopf lagerte lange in der Göttinger Rechtsmedizin und wurde erst 2014 eingeäschert und anonym bestattet.

Wie viele Menschen tötete Haarmann wirklich?

Prozess und Urteil sorgten immer wieder für Kritik: An der Zurechnungsfähigkeit Haarmanns zum Zeitpunkt der Morde hätte zumindest gezweifelt werden müssen, schreibt Christine Pozsár, Expertin für forensische Psychiatrie, in „Die Haarmann-Protokolle“.

Seine Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Taten dürfte zumindest erheblich eingeschränkt gewesen sein. Misshandlungen Haarmanns in seiner Kindheit kamen demnach kaum zur Sprache, Krampfanfälle und mögliche organische Schäden nach einer Hirnhautentzündung auch nicht.

Vieles dürfte für immer ungeklärt bleiben. Kannibalismus wurde Haarmann vorgeworfen, aber nie nachgewiesen. Fraglich bleibt auch, wie viele Menschen Haarmann tatsächlich getötet hatte. „Es spricht sehr viel dafür“, sagt Historiker Dirk Göttimg, „dass die Zahl höher ist als die, für die er verurteilt wurde.“

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Erstellt:
9. April 2025, 13:52 Uhr
Aktualisiert:
14. April 2025, 07:02 Uhr

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