Südwestwirtschaft

Frust über Pläne der Sondierer

Die angehenden Koalitionäre Union und SPD haben vieles vereinbart, doch die versprochene Wirtschaftswende ist noch nicht in Sicht. Groß ist die Ernüchterung der vor der Wahl so hoffnungsfrohen Wirtschaftsverbände in Baden-Württemberg.

Die SPD hat durchgesetzt, dass der gesetzliche Mindestlohn im nächsten Jahr auf 15 Euro steigen soll – das empört die Arbeitgeberverbände.

© IMAGO/Sven Simon/FrankHoermann

Die SPD hat durchgesetzt, dass der gesetzliche Mindestlohn im nächsten Jahr auf 15 Euro steigen soll – das empört die Arbeitgeberverbände.

Von Matthias Schiermeyer

Die erste Etappe ist gerade geschafft, da werden die angehenden Koalitionäre in Berlin schon mit Kritik überhäuft – die vor der Wahl speziell in der Wirtschaft geweckten Erwartungen haben CDU/CSU und SPD bisher zumindest enttäuscht. So vielfältig wie deren Vorstellungen sind auch die Angriffspunkte für die Verbände.

Am drastischsten zeigt sich die Ernüchterung bei den Unternehmern Baden-Württemberg (UBW), die voll auf eine starke Union und möglichst Schwarz-Gelb gesetzt hatten. Nun muss ihr Hauptgeschäftsführer Oliver Barta feststellen: „Die Vereinbarungen im Sondierungspapier reichen bei Weitem nicht aus, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen wieder herzustellen.“

„Tür und Tor für eine Klientelpolitik geöffnet“

Es sei zwar richtig, die Verteidigungspolitik zu stärken, um mit einer Führungsrolle in der EU langfristige Stabilität bei den globalen Wirtschaftsbeziehungen herzustellen. Doch unabhängig davon setzten Union und SPD falsche Akzente. „Das ist kein Politikwechsel – das ist ein Weiter so mit einer massiven Verschuldung, die künftige Generationen handlungsunfähig machen wird“, nimmt Barta den Sondierungskatalog auseinander. Das geplante Ende der Schuldenbremse für das 500 Milliarden Euro schwere Investitionspaket öffne „Tür und Tor für eine Klientelpolitik und unnötige Subventionen“. Zudem werde „mit der Ausweitung der staatlichen Ausgaben die Inflation befeuert“. Eine konsequente Reform der Sozialversicherungssysteme sei dringend nötig, mahnt er. „Wir müssen die Sozialversicherungsbeiträge dauerhaft unter 40 Prozent bekommen, um Arbeit wieder attraktiver zu machen.“

UBW nennt Mindestlohn-Ziel „übergriffig“

Als Provokation gar müssen Teile der Wirtschaft das Streben nach einem höheren gesetzlichen Mindestlohn empfinden. „An einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission halten wir fest“, schreiben die Sondierer. Das Gremium werde sich sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“ Union und SPD lassen insoweit noch etwas Spielraum, dennoch hält es der UBW-Hauptgeschäftsführer für „übergriffig“, dass sich die künftige Bundesregierung entgegen früheren Zusagen der Großen Koalition erneut in die Weiterentwicklung des Mindestlohns einmischen wolle.

„Das Sondierungsergebnis enthält gute Ansätze, zeigt aber auch das Ringen zweier Parteien um Kompromisse“, urteilt die IHK-Hauptgeschäftsführerin Susanne Herre noch einigermaßen ausgewogen. Positiv aus Wirtschaftssicht seien klare Bekenntnisse zum Bürokratieabbau, zur Digitalisierung und zur Anpassung der Energiepreise. Die dauerhafte Senkung der Stromsteuer aufs europäische Mindestmaß gehöre genauso dazu wie die Halbierung der Netzentgelte.

„Was uns fehlt, ist der klar erkennbare Konjunkturmotor“, moniert sie – ein Vorwurf, der ins Gewicht fällt, hatte der angehende Kanzler Friedrich Merz vor allem Wachstum versprochen. Nur mit einer florierenden Wirtschaft, so Herre, würden die geplanten Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben möglich gemacht. Die Infrastrukturoffensive werde nur dann zum Wirtschaftsmotor, wenn die 500 Milliarden Euro auch in zusätzliche Infrastrukturmaßnahmen fließen und nicht mittelbar in konsumtive Ausgaben umgeleitet werden können.

„Die Aussagen zu den Sozialleistungen stimmen insoweit bedenklich“, meint Herre und drängt zur Eile: Gerade die angekündigten Steuermaßnahmen, die Vereinfachung bei der Fachkräftezuwanderung und das schlagkräftige Programm für Forschung und Innovationen sollten schnell kommen.

Südwesttextil sieht „weiten Weg zur Wirtschaftswende“

Wo bleibt die von der Union versprochene Wirtschaftswende? So in etwa diese Frage stellt sich der Verband Südwesttextil. Bis dahin sei es noch ein „weiter Weg“, mutmaßt die Hauptgeschäftsführerin Edina Brenner. „Der Koalitionsvertrag sollte deutlich ambitionierter sein und auf echte Reformen setzen.“ Die Sozialversicherungssysteme, die Unternehmenssteuern, der Mindestlohn – ihre Angriffspunkte ähneln denen des UBW.

Auch der Maschinenbauverband VDMA vermisst den Reformwillen, gerade in der Sozialpolitik. „Im Gegenteil: ein Festsetzen des Rentenniveaus und eine Aufstockung der Mütterrente werden künftige Generationen massiv belasten“, heißt es. So drohten weitere Beitragszuwächse. „Wir sehen in weiten Teilen ein ,Weiter so und mehr davon‘, indem mit viel Geld, das es zunächst noch durch erhebliche Verschuldung aufzutreiben gilt, teure Sparteninteressen befriedigt werden“, kanzelt der Verband die Sondierer ab.

LBBW-Chefvolkswirt prophezeit unerfüllte Hoffnungen

Moritz Kraemer, als Chefvolkswirt der LBBW ein eher neutraler Beobachter, deckt diverse Schwachstellen im Sondierungspapier auf, das er ein „Kessel Buntes“ tituliert: „Einmal mehr scheint die Hoffnung durch, dass der Staat maßgebliche Summen (...) generieren könnte, wenn er den ,groß angelegten Sozialleistungsmissbrauch’ reduziert“, sagt er über die Vorhaben, das Bürgergeld zu einer „neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umzuwandeln oder Schwarzarbeit stärker zu bekämpfen. „Diese Hoffnung wird sich vermutlich nicht erfüllen lassen“, prophezeit der Finanzfachmann. „An die wirklich großen Ausgabenblöcke im System der sozialen Sicherung trauen sich die Verhandler erst gar nicht erkennbar heran: Rente, Gesundheit und Pflege.“

„Viele fromme Absichtserklärungen“

Und die wachstumsfördernden Maßnahmen seien teils nicht klar genug umrissen: „Viele der Strukturreformen verlieren sich noch im Ungefähren und sind wenig mehr als fromme Absichtserklärungen“, stellt Kraemer fest. Einen maßgeblichen Fortschritt fassten die mutmaßlichen Koalitionäre zwar bei der Forcierung der öffentlichen Investitionen ins Auge. Doch sei es „nur zu bedauern, dass es einer vorgezogenen Bundestagswahl bedurfte, um eine Mehrheit für die Reform der Schuldenbremse zu ermöglichen“ – das gleiche Ergebnis wäre auch schon vor Jahren möglich gewesen. „Durch das vorherige Taktieren ist unnötig Zeit verloren gegangen, die es dringend aufzuholen gilt.“

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Erstellt:
12. März 2025, 05:12 Uhr

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