Union und SPD einigen sich in Sondierungen
Für Friedrich Merz bleibt ein Hindernis, wenn er Kanzler werden will
Union und SPD haben sich in einem Sondierungspapier über zentrale Punkte geeinigt – auch in umstrittenen Fragen der Migrationspolitik. Der Weg für Koalitionsverhandlungen ist damit frei. Doch es gibt für Friedrich Merz noch ein zentrales Hindernis.

© dpa/Michael Kappeler
Friedrich Merz und Lars Klingbeil wollen für Union und SPD in Koalitionsverhandlungen gehen.
Von Tobias Peter
Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken haben – jeder für sich – die beiden Hände so ineinander verschränkt, dass es fast ein bisschen aussieht, als wollten sie beten. Markus Söder macht Notizen auf dem Blatt, das vor ihm liegt. Das Wort hat Merz.
Er verkündet, dass die Spitzen von CDU, CSU und SPD sich auf ein Sondierungspapier verständigt haben. Und dass es nun schnell Koalitionsverhandlungen geben soll. Der erste Schritt zu einer neuen großen Koalition ist also getan. Sie wäre – angesichts des Ergebnisses der Bundestagswahl – die kleinste große Koalition aller Zeiten. Dann wird es inhaltlich. Merz nennt als zentrale Themen Migration, Finanzen sowie Arbeitsmarkt und Wirtschaft. „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen“, sagt der CDU-Chef. „Wir wollen dazu alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die illegale Migration insgesamt zu reduzieren.“ Hier wird deutlich: Es sind Formulierungen, um die lange gerungen worden sein dürfte. Merz hat vor der Wahl Zurückweisungen versprochen, die SPD die Einhaltung des Europarechts. Die Worte „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ sind für sie also entscheidend. Man darf gespannt auf die Ausarbeitung in einem späteren Koalitionsvertrag sein.
Worum lange gerungen wurde
Das elf Seiten umfassende Sondierungspapier enthält für alle Beteiligten Siege und Niederlagen. Jeder hebt hervor, was er durchgesetzt hat. Für Merz sind die anvisierten Verschärfungen beim Thema Migration wichtig. Das Ziel der „Begrenzung“ soll wieder in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen werden. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte soll ausgesetzt werden. Merz verspricht mit Blick auf die irreguläre Migration, die Zahlen in kurzer Zeit „drastisch nach unten zu bringen“. Er wird sich daran messen lassen müssen.
CSU-Chef Markus Söder berichtet stolz, dass die Mütterrente noch einmal ausgeweitet wird. Die SPD hat ihren größten Erfolg in den Sondierungsgesprächen schon einige Tage zuvor errungen. Union und SPD wollen nicht nur Verteidigungsausgaben zu einem großen Teil von den Regeln der Schuldenbremse ausnehmen. Hinzu kommt ein Sondervermögen – also zusätzliche Schulden – von 500 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur.
Genug Geld ist die Geschäftsgrundlage
Zusätzlich zu den Ergebnissen betonen alle Verhandler die gute Atmosphäre der Gespräche. Es sei gelungen, Brücken zu bauen. Doch sind diese Brücken tatsächlich stabil? In Koalitionsverhandlungen müssen dann einige Formulierungen aus dem Sondierungspapier noch konkret gefüllt werden. Das kann allerdings – in der Rentenpolitik, beim Bürgergeld und anderen Themen noch anstrengend werden. Das ist aber normal. In Sondierungen wird geklärt, ob genug Gemeinsamkeiten für Koalitionsverhandlungen vorhanden sind. Das eigentliche Problem dürfte eher die Frage sein, ob es gelingt, die angestrebten Änderungen in Sachen Schuldenbremse und Sondervermögen noch schnell zu beschließen, bevor sich der neue Bundestag konstituiert. Dazu braucht es auch die Grünen – im neuen Bundestag ist der Weg zur Zwei-Drittel-Mehrheit noch komplizierter. Gelingt das nicht, fehlt Schwarz-Rot das Geld. Und damit die Geschäftsgrundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.
Schon vor der Einigung von Union und SPD machten die Grünen klar, dass ihre Zustimmung nicht garantiert sei. Nach der Pressekonferenz von Merz und Co sagte Grünen-Parteichef Felix Banaszak: „Von einer Zustimmung sind wir heute weiter entfernt als in den letzten Tagen.“ Skeptisch äußerte sich auch die Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge: „Wenn Investitionsmittel aus dem Bundeshaushalt einfach nur in ein Sondervermögen verschoben werden, um Finanzspielraum für schwarz-rote Projekte zu schaffen, ist das nicht sinnvoll“, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“. CDU-Chef Merz hatte angekündigt, dass es jetzt noch einmal intensive Gespräche mit den Grünen geben werde. Das scheint auch dringend nötig. Denn diese Gespräche sind jetzt mindestens so wichtig wie die eigentlichen Koalitionsgespräche mit der SPD. Gehen sie schief, hilft den schwarz-roten Verhandlern womöglich nur noch beten.
Reaktionen auf das Ergebnis der Sondierungsgespräche
ParteienDie AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla betonen: „Für den Bruch seiner Wahlversprechen und seine Kapitulation vor dem Verschuldungswahn der SPD hat Friedrich Merz lediglich vage Versprechungen und Formelkompromisse in der Migrationspolitik voller Vorbehalte bekommen“. Die Linke sieht in den Vereinbarungen eine Politik gegen die Interessen der meisten Bürger. Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht prophezeit eine Zunahme der Unzufriedenheit im Land: „Die Sondierungsbeschlüsse sind ein roter Teppich für die AfD ins Kanzleramt 2029.“ FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagt: „Unternehmen, die auf echte Entlastungen und Reformen gehofft haben, werden schwer enttäuscht.“
NachbarlandÖsterreich erteilt den Plänen der Koalitionssondierer zur Rückweisung von Asylbewerbern an der Grenze eine Absage. Österreich werde solche Personen nicht annehmen, teilte das Innenministerium in Wien mit. Aus der Sicht Österreichs dürfen Menschen, die einen Asylantrag stellen, nach geltendem EU-Recht nicht formlos an der Grenze abgewiesen werden