Nach Sturz des Assad-Regimes
G7-Staaten beraten über Lage in Syrien
Nach dem Sturz des langjährigen syrischen Machthabers Baschar al-Assad durch Islamisten treffen sich die Staaten der G7-Gruppe am Freitag zu virtuellen Beratungen über die Lage in dem Land.
Von red/AFP
Nach dem Sturz des langjährigen syrischen Machthabers Baschar al-Assad durch Islamisten treffen sich die Staaten der G7-Gruppe am Freitag zu virtuellen Beratungen über die Lage in dem Land. Schon am Donnerstag hatten sich die G7-Länder bereit erklärt, einen Übergangsprozess mit dem Ziel einer „glaubwürdigen, inklusiven“ Regierung zu unterstützen. Die von den Islamisten eingesetzte Übergangsregierung kündigte derweil die Aussetzung von Verfassung und Parlament für drei Monate an - zugleich sicherte sie die Schaffung eines „Rechtsstaates“ zu.
Die sieben großen Industriestaaten (G7) forderten von den neuen Machthabern den Schutz der Menschenrechte, einschließlich derer von Frauen und Minderheiten. Es sei zudem wichtig, „das Assad-Regime für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen“. Die G7 würden mit einer künftigen syrischen Regierung, die sich an die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte halte und die aus diesem Prozess hervorgehe, zusammenarbeiten und sie uneingeschränkt unterstützen, hieß es weiter.
In Syrien hatten am Sonntag Kämpfer unter der Führung der islamistischen HTS-Milz Damaskus erobert und Assad gestürzt, der nach Russland floh. Damit bereiteten sie der jahrzehntelangen Herrschaft der Assad-Familie ein Ende, die 1971 mit der Machtübernahme von Baschar al-Assads Vater Hafis al-Assad begonnen hatte.
Syrien stürzt ins Ungewisse
Mit der Machtübernahme durch die Islamisten stürzte Syrien ins Ungewisse: Die Miliz HTS ist aus der Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida hervorgegangen, hat nach eigenen Angaben aber seit 2016 keine Verbindungen mehr zu Al-Kaida. Ihr Anführer Mohammed al-Dscholani präsentiert sich moderat. Viele westliche Staaten, darunter die USA, stufen die Miliz aber als Terrororganisation ein.
Der Chef der von der HTS eingesetzten Übergangsregierung, Mohammed al-Baschir, kündigte am Mittwoch an, die Rechte aller religiösen Gruppen zu garantieren. Am Donnerstag sagte dann der Sprecher für politische Angelegenheiten der neuen Machthaber, Obaida Arnaout, der Nachrichtenagentur AFP, es werde ein „Rechts- und Menschenrechtsausschuss“ gebildet, „um die Verfassung zu prüfen und dann Änderungen vorzunehmen“. Zunächst solle es eine dreimonatige Übergangszeit geben.
Arnaout versicherte weiter, die neuen Machthaber wollten nach mehr als einem halben Jahrhundert Herrschaft der Assad-Familie nun „einen Rechtsstaat“ errichten. Alle, die „Verbrechen gegen das syrische Volk begangen haben“, sollten „gemäß den Gesetzen vor Gericht gestellt“ werden.
Bürgerkrieg seit 2011
Der syrische Bürgerkrieg hatte begonnen, nachdem Präsident Baschar al-Assad Proteste gegen die Regierung im Jahr 2011 mit Gewalt niederschlagen ließ. Seitdem sind in dem Konflikt mehr als 500.000 Menschen getötet und Millionen vertrieben worden.
Seit Beginn der überraschenden Großoffensive der HTS und ihrer Verbündeten wurden nach UN-Angaben zudem mehr als eine Million Menschen in dem Land vertrieben. Es handele sich vorwiegend um Frauen und Kinder, erklärte das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (Ocha) am Donnerstag.
Indes startete US-Außenminister Blinken seine neue Nahost-Mission in Jordanien, wo unter anderem mit König Abdullah II. zusammentraf. Dabei sprach er sich nach Angaben seines Ministeriums für einen „inklusiven Übergang“ aus. Dieser müsse zu einer international ansprechbaren und „repräsentativen syrischen Regierung führen, die vom syrischen Volk gewählt wird“. Blinken sagte in Jordanien zudem, es sei „sehr wichtig, dass wir alle versuchen sicherzustellen, dass wir keine zusätzlichen Konflikte auslösen“.
Scholz: „Inklusiver politischer Prozess in Syrien sehr wichtig“
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) telefonierte mit Abdullah II., dessen Land in der Region eine wichtige Vermittlerrolle innehat. Beide waren sich dabei nach Angaben Berlins einig, dass ein „inklusiver politischer Prozess in Syrien nun sehr wichtig“ sei. „Jetzt ist unsere Aufgabe zu gucken, dass dort ein Leben möglich wird, sicher, wo man ohne Angst sich bewegen kann“ und wo „die ganz unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen zusammenleben“, sagte Scholz im Deutschlandradio Kultur. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nannte in Berlin als Ziel des Übergangsprozesses die Abhaltung von „freien Wahlen“.
Bei einem späteren Stopp in der Türkei bekräftigte Blinken gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan laut einem Sprecher, „wie wichtig es ist, dass alle Akteure in Syrien (...) alle möglichen Schritte unternehmen, um die Zivilbevölkerung, einschließlich der Angehörigen von Minderheiten, zu schützen“.
Ungeachtet internationaler Kritik setzte Israel derweil seine Luftangriffe in Syrien fort. Ziel der jüngsten Angriffe seien Militäreinrichtungen in den Küstenregionen Latakia und Tartus gewesen, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Auch in der Nähe von Damaskus gab es demnach Angriffe.
Israelische Armee greift Syrien an
Nach dem Sturz von Assad am Sonntag war die israelische Armee in die Pufferzone auf den Golanhöhen eingerückt, zudem flog die israelische Armee hunderte Luftangriffe auf syrische Militärziele. US-Außenminister Blinken verteidigte in Jordanien die massiven israelischen Luftangriffe auf Ziele in Syrien. Das Ziel Israels sei es, sicherzustellen, dass die von der syrischen Armee zurückgelassene militärische Ausrüstung „nicht in falsche Hände gerät - in die von Terroristen, Extremisten und so weiter“.
Die massiven israelischen Angriffe auf das Nachbarland stießen international allerdings auf Kritik. UN-Generalsekretär António Guterres sei „zutiefst besorgt angesichts der jüngsten und umfassenden Verletzungen der Souveränität und territorialen Integrität Syriens“, sagte Guterres’ Sprecher Stéphane Dujarric. Guterres sei besonders besorgt wegen der „hunderten israelischen Luftangriffe auf verschiedene Orte in Syrien“, fuhr Dujarric fort. Er betonte die dringende Notwendigkeit, die Gewalt an allen Fronten in ganz Syrien zu deeskalieren.