Generationengeschichten der Innenstadt

Die Murrhardter Fußgängerzone ist von vielen alten, schmucken Häusern gesäumt. Eines von ihnen ist das in der Hauptstraße 27, das Familie Möck gehört. Mittlerweile beherbergt es schon die fünfte Generation, war und ist Ankerpunkt für die Familie und verändert sich immer wieder.

Tolger, Karin und Oliver Möck (von links) vor ihrem Haus in der Hauptstraße 27. Im Frühjahr sind als neue Mieter die Betreiber eines Sushirestaurants eingezogen. Die vierte Generation – Tolger und Dennis Möck – lebt im Haus. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Tolger, Karin und Oliver Möck (von links) vor ihrem Haus in der Hauptstraße 27. Im Frühjahr sind als neue Mieter die Betreiber eines Sushirestaurants eingezogen. Die vierte Generation – Tolger und Dennis Möck – lebt im Haus. Foto: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. Die gemeinsame Geschichte von Familie Möck und dem Haus in der Hauptstraße 27 beginnt wohl in den 1940er-Jahren, wie Karin (84), Oliver (57) und Tolger Möck (33) bei einem Treffen und spannenden Rückblick rekonstruieren. Die drei stehen für drei Generationen – Großmutter, Vater und Sohn –, wobei Tolger Möck schon einen kleinen Sohn hat und heute mit ihm und seiner Frau im Haus lebt. Zudem ist sein Bruder Dennis in den ersten Stock eingezogen.

„Meine Schwiegereltern haben das Haus damals gekauft“, erzählt Karin Möck. Der Grundbucheintrag stammt von 1943. Es war Karl Möck, der dort ein Schuhreparaturgeschäft ins Leben rief und mit seiner Frau Karoline das Haus zu seinem Arbeits- und Lebensmittelpunkt machte. „Später hat er neben den Reparaturen auch orthopädische Schuhe gefertigt“, sagt Karin Möck. In der anthroposophisch geprägten Christen- und ihrer Seniorengemeinschaft auf dem Murrhardter Hohenstein fand der Schuhmachermeister einen wichtigen Kundenstamm.

Hinzu kam das – heute würde man sagen beachtliche – Familienprojekt mit vier Kindern. Als Karoline Möck nach einer weiteren Aufgabe suchte, beschloss das Ehepaar, zudem noch ein Schuhgeschäft zu eröffnen, in dem es Marken wie Salamander, Gabor oder Maja verkaufte. Karl Friedrich Möck, Sohn des Gründers, lernte das Handwerk in Kornwestheim bei Salamander. „Er war der Einzige von seinen Geschwistern, der Interesse am Geschäft hatte“, berichtet Karin Möck. Das brachte ihn sehr früh in die Verantwortung – nach dem Tod des Vaters 1956 übernahm er mit knapp 18 Jahren. Dass er so gerne die neuesten Lieder hörte, ließ ihn immer mal wieder bei einer Pension in der Innenstadt vorbeischauen, wo nicht nur eine Jukebox stand, sondern sich Karin und ihr späterer Mann auch über den Weg liefen. „Ich hab dort mit meiner Mutter Urlaub gemacht“, erzählt Karin Möck, die in Zuffenhausen geboren ist.

Prominente Kundschaft: Fußballerder polnischen Nationalmannschaft

Das Schuhhaus Möck löste später die Reparatur- und Orthopädiewerkstatt ab. Zurückgehende Nachfrage traf auf die Schwierigkeit, Fachkräfte für die Werkstatt zu finden. In den 1970er-Jahren konzentrierte sich die Familie auf eine junge Kundschaft und mit ihr auf das Angebot einer modernen und eleganten Schuhmode. Zur Zeit der Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland, als die polnische Nationalmannschaft in der Sonne-Post weilte, hat das Haus „die Spieler mit Sportschuhen versorgt“, erzählt Oliver Möck. Dem Geschäft ging es gut, „noch durften Markenschuhe nicht im Kaufhaus verkauft werden, das fing in den 1980er-Jahren an“, ergänzt Karin Möck.

Auch sie war mit einem großen Familienprojekt befasst – vier Kinder, die im Haus aufwuchsen. Der Alltag sah damals noch nicht so verkehrsberuhigt wie heute aus; die Hauptverkehrsader führte direkt am Haus vorbei, sodass Autos bis hin zu Schwertransporter dort passierten, was auch fürs Gebäude nicht ganz spurlos verlief. Karin Möck erinnert sich, wie am Schlafzimmer ein Eck der Wand den ständigen Erschütterungen nicht mehr standhielt und wegbrach. Sie half beim Verkauf mit, der damals auch mal mit einem Stand auf dem Wochenmarkt ergänzt wurde. „Ich weiß noch, wie ich beispielsweise dort mit Gummistiefeln stand.“ Im Alltag hieß es, mit Kinderbetreuung, Haushalt, Verkauf und Pflege der eigenen Mutter zu jonglieren. „Ich bin in der Mittagspause auch mal schnell runter, um Kunden zu bedienen.“

Konkurrenz durch Kaufhäuser besiegelt das Ende des Schuhhauses Möck

1977 baute das Ehepaar ein Haus im Großerlacher Teilort Grab. Ein paar Jahre später machte sich der Umbruch vor dem Hintergrund von weiteren Anbietern wie Kaufhäusern deutlich bemerkbar. „Die Kunden blieben mehr und mehr weg“, so Karin Möck. Mitte der 1980er-Jahre beschloss die Familie, das Geschäft zu schließen. Später öffneten sich die Türen wieder, als das Reformhaus dort mit seinem Laden einzog.

Auch das Haus selbst wurde immer wieder umgebaut – zwischenzeitlich als Pension. Oliver Möck schlug beruflich einen anderen Weg ein, er machte eine Ausbildung als Konditor bei Mildenberger. Allerdings konnte er aufgrund einer Mehlallergie den Beruf später nicht ausüben und fing bei Bosch in Murrhardt an, dem er 38 Jahre treu blieb und bei dem er bis zu seinem Ausscheiden die Logistik leitete. „Ich habe das Haus nach dem Tod meines Vaters übernommen“, erzählt er. Seitdem – 2012 – gab es immer wieder weitere Sanierungs- und Umbauprojekte beispielsweise bei Dach, Heizung und Fassade. Auch Oliver Möck verfolgte sein eigenes Familienvorhaben, mit seiner türkischen Frau Güler hat er die beiden Söhne Tolger und Dennis. „Dieses Jahr hat Tolger nun das Haus übernommen, ich unterstütze ihn natürlich weiter“, sagt sein Vater. Wieder war einiges zu tun, Tolger Möck zog zunächst in eine Wohnung des Hauses ein, später haben sich die Renovierungsarbeiten aber ausgedehnt, weil auch für ihn familiäre Veränderungen anstanden: Seine Frau Nilüfer, die er in der Türkei kennenlernte, ist zu ihm gezogen und die beiden haben Nachwuchs bekommen – Emre ist fünf Jahre alt.

Der 33-Jährige hat als gelernter Industriemechaniker bei Bosch in Murrhardt und Sebnitz sowie bei Stihl gearbeitet und ist heute Anlagenführer beim Unternehmen Procter&Gamble in Crailsheim. Mittlerweile ist das Haus in der Hauptstraße 27 wieder so umgebaut, dass es relativ nah am Originalzustand ist, erzählen die drei. Tolger Möck fühlt sich dort sehr wohl. „Man ist mitten in der Stadt, bekommt alles mit und hat alles in der Nähe“, sagt er. Bei Festen oder Veranstaltungen, beispielsweise dem Nachtumzug der Murreder Henderwäldler, muss er „einfach nur das Fenster aufmachen, um dabei zu sein“.

Wie schaut die Familie auf die Stadt Murrhardt und ihre Entwicklung? Für Karin Möck, die übrigens später viele Jahre in Frankreich und im Kreis Heilbronn in einem Turm der Burg Streichenberg gelebt hat, mittlerweile aber wieder in der Umgebung wohnt, hätte die Fußgängerzone ruhig früher kommen können. Unbestritten ist für sie, dass es Murrhardt nach Einbruch beziehungsweise Weggang der Industriebetriebe schwer hatte. Oliver Möck ist sehr verwurzelt mit der Walterichstadt und findet, dass sie viel zu bieten hat – mit ehemaliger Klosteranlage, Stadtgarten und Innenstadt. Gut wäre nun noch, wenn auch das Haus in der Hauptstraße 27 an die städtische Nahwärme angeschlossen werden könnte. Nach dem Reformhaus hat dort lange Zeit die Pizzeria Da Franco ihre Gäste empfangen. Der Stab ging dieses Frühjahr an „Oki – Asian Soul Kitchen&Sushi Bar“ weiter. Will heißen, trotz der vergleichsweise überschaubaren Anzahl an Mietern und einer großen Kontinuität auch für die Familie selbst ist doch auch Veränderung immer wieder Teil des Lebens in der Hauptstraße 27.

Zu Zeiten der Weltmeisterschaft 1974 konnte das Geschäft die polnischen Nationalspieler mit Sportschuhen versorgen – hier mit Karin Möck (Dritte von links) und rechts neben ihr Oliver Möck als Kind.

Zu Zeiten der Weltmeisterschaft 1974 konnte das Geschäft die polnischen Nationalspieler mit Sportschuhen versorgen – hier mit Karin Möck (Dritte von links) und rechts neben ihr Oliver Möck als Kind.

Nach Aufgabe des eigenen Schuhhauses Möck zog das Reformhaus ein. Die Hauptstraße war zu dieser Zeit noch Durchgangsstraße, wurde erst in den 1990ern zur Fußgängerzone. Fotos: privat

Nach Aufgabe des eigenen Schuhhauses Möck zog das Reformhaus ein. Die Hauptstraße war zu dieser Zeit noch Durchgangsstraße, wurde erst in den 1990ern zur Fußgängerzone. Fotos: privat

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Erstellt:
12. Juli 2023, 06:00 Uhr

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