Femizid: das verschwiegene Verbrechen

Geohrfeigt, geschlagen, getreten, vergewaltigt – Gewalt gegen Frauen

Weltweit wird alle zehn Minuten eine Frau von ihrem Partner oder Verwandten getötet. In Europa ist der Trend rückläufig, aber nicht auf dem gesamten Kontinent.

2023 starben fast 85.000 Frauen und Mädchen durch Gewaltverbrechen.

© dpa/Fabian Sommer

2023 starben fast 85.000 Frauen und Mädchen durch Gewaltverbrechen.

Von Markus Brauer/dpa

Im Jahr 2023 wurden laut einer Schätzung der Vereinten Nationen weltweit 51.100 Mädchen und Frauen von Verwandten oder männlichen Partnern getötet. Das gesamte Ausmaß an Femiziden sei jedoch noch größer, heißt es in einer Studie des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) und der UN-Frauenorganisation UN Women. Denn zu Tötungen außerhalb des privaten Umfeldes lägen keine ausreichenden Daten vor.

#16Days of activism against gender-based violence starts on 25.11.25! Read our media advisory on the Femicides in 2023: Global Estimates of Female Intimate Partner/Family Member Homicides launch in Nairobi,Kenya on tomorrow: https://t.co/bN8zvhpZq8#NoExcusepic.twitter.com/a8RvguG16Q — UN Women Africa (@unwomenafrica) November 24, 2024

Was ist ein Femizid?

Unter einem Femizid versteht man eine vorsätzliche Tötung, bei der das weibliche Geschlecht des Opfers als Motiv eine Rolle spielt. Afrika hatte 2023 die höchste Rate an Femiziden, bei denen Opfer und Täter in einer intimen oder familiären Beziehung standen. Der Wert lag dort bei 2,9 Opfern pro 100.000 Frauen. In Europa lag die Rate mit 0,6 am niedrigsten.

Die Femizid-Raten in Nord-, Süd- und Osteuropa sind nach Angaben der UN-Organisation in den vergangenen Jahren gefallen. In Westeuropa wurden hingegen leicht steigende Werte beobachtet. Die Studie wurde am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen veröffentlicht.

Vergebliche Alarmsignale

Die UN-Fachleute weisen darauf hin, dass viele Opfer vor ihrem Tod wegen Gewalt in der Beziehung Alarm geschlagen hätten. „Dies legt nahe, dass viele Tötungen von Frauen vermeidbar sind“, schreiben sie. Kontaktverbote für männliche Partner könnten Leben retten, heißt es weiter.

Während in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent die meisten Femizide im privaten Umfeld durch aktuelle oder ehemalige Partner verübt werden, sind im Rest der Welt die Mehrzahl der Täter Verwandte. UNODC und UN Women fordern daher Präventionsmaßnahmen für Familien.

Vergangenes Jahr starben fast 85.000 Frauen und Mädchen durch Gewaltverbrechen. Im Vergleich dazu werden mehr Jungen und Männer getötet. Sie machen etwa 80 Prozent der Gesamtopferzahl aus.

EU-weite Umfrage: Jede dritte Frau ist Opfer von Gewalt

In der Europäischen Union hat bereits ein Drittel der Frauen Gewalt im eigenen Zuhause, am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit erlebt. Das geht aus einer EU-weiten Umfrage zu geschlechtsspezifischer Gewalt hervor, die die EU-Grundrechteagentur (FRA) gemeinsam mit Eurostat und dem Europäischen Institut für Gleichberechtigung (Eige) in Brüssel vorgestellt hat. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Zahlen den Angaben zufolge nicht gebessert.

ALL forms of gender violence are intolerable and must end, everywhere. Terrifying figures from the new 2024 EU Gender-based violence Survey: 1 in 3 women faced violence. 1 in 5 women endured violence at home. 1 in 3 women experienced harassment at work.#IDEVAWpic.twitter.com/v33SbgXNEy — PES Women (@PES_Women) November 25, 2024

Geohrfeigt, geschlagen, getreten, vergewaltigt, mit Gewalt bedroht

„Das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen ist überwältigend“, betont die FRA-Direktorin Sirpa Rautio. Es gebe etwa 229 Millionen Frauen in Europa. „Ein Drittel von ihnen wurde geohrfeigt, geschlagen, getreten, vergewaltigt oder mit solcher Gewalt bedroht.“ Die Sicherheit von Frauen in Europa könne nach wie vor nicht garantiert werden. „Im Vergleich zu 2014 sehen wir keine großen Fortschritte.“

In Deutschland ist die Prozentzahl der Umfrage zufolge etwas niedriger als im EU-weiten Schnitt: 25,6 Prozent der befragten Frauen im Alter von 18 bis 74 Jahren gaben an, bereits sexuelle und/oder physische Gewalt erlebt zu haben oder damit bedroht worden zu sein. Für die den Angaben zufolge repräsentative Erhebung wurden von September 2020 bis März 2024 mehr als 114.000 Frauen in den EU-Mitgliedsstaaten befragt.

„Unsichtbare Epidemie der Gewalt“

Eine von fünf befragten Frauen wurde demnach in Deutschland bereits Opfer von häuslicher Gewalt. 17 Prozent der Befragten gaben an, im Erwachsenenalter sexuelle Gewalt erlebt zu haben. Mehr als ein Drittel berichtet zudem von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Mit 42 Prozent sind davon besonders junge Frauen im Alter von 18 bis 29 Jahren betroffen.

Besorgniserregend ist laut FRA-Direktorin Rautio die hohe Zahl der Fälle, die sich im Dunkelfeld abspielen. Hierbei handle es sich um eine „unsichtbare Epidemie der Gewalt“. Nur eine von acht Frauen hat demnach eine Gewalttat bei der Polizei zur Anzeige gebracht.

Zunahme in Deutschland

Zuletzt hatte Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Grüne) zusammen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und dem Bundeskriminalamt Zahlen vorgestellt, wonach immer mehr Frauen in Deutschland von Gewalt betroffen sind.

So stieg etwa die Zahl der weiblichen Opfer von häuslicher Gewalt um 5,6 Prozent auf 180.715 im vergangenen Jahr. 938 Mädchen und Frauen wurden Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten.

Info: Ehrenmord

Ehrbegriff Der Begriff der Ehre spielt vor allem in islamischen Kulturkreisen eine zentrale Rolle. Nach Aussage der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes hängt die Familienehre in stark patriarchalisch geprägten Gesellschaften vom richtigen Verhalten der weiblichen Clan-Mitglieder ab. Frauen werden als Besitz des Mannes gesehen. Verstößt die Tochter gegen die herrschenden Normen, ist die ganze Ehre der Familie und damit ihr öffentliches Ansehen beschädigt.

Machtinstrument Diesem Denken zufolge hat der Familienclan das Recht, sich zur Verteidigung der Ehre jederzeit in das Leben der Frauen einzumischen. Die Ehre wird auf diese Weise zum Instrument totaler Kontrolle, Denunziation und Machtausübung durch die Männer. Mitunter reicht schon ein Gerücht, eine modische Frisur oder ein Widerwort, um die Familienehre zu verletzen. Vätern, Brüdern und Onkeln obliegt die Aufgabe, sie zu bewahren. Gelingt das nicht, können sie die Familienehre nur durch die Ermordung der Tochter und Schwester wiederherstellen. Selbst hohe Haftstrafen halten die potenziellen Täter nicht von ihrem Verbrechen ab.

Ehrenmorde In manchen Fällen werden Ehrenmorde als Suizid oder Unfall getarnt. Frauen werden in ihre Heimatländer verschleppt, dort zwangsverheiratet oder getötet. Auch Männer können zu Opfern werden,wenn sie sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen, Ehebrecher sind, eine Zwangsheirat oder einen sogenannten Ehrenmord verweigern.

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Erstellt:
25. November 2024, 15:00 Uhr

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