Grenzerfahrungen auf großer Reise

Für den VfB ist die Begegnung mit Paris Saint-Germain eine Nummer zu groß. Der Blick geht nach der Enttäuschung über das Aus in der Champions League aber bereits wieder nach vorne. Die Stuttgarter haben noch einiges vor – und stehen vor schwierigen Aufgaben.

Josha Vagnoman (links) im Zweikampf mit Superstar Kylian Mbappé von Real Madrid am ersten Spieltag der Champions League. Der VfB verliert die Partie knapp mit 1:3, verschafft sich aber viel Respekt.

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Josha Vagnoman (links) im Zweikampf mit Superstar Kylian Mbappé von Real Madrid am ersten Spieltag der Champions League. Der VfB verliert die Partie knapp mit 1:3, verschafft sich aber viel Respekt.

Von David Scheu

Stuttgart - Die unglaubliche Europareise des VfB Stuttgart ist zu Ende. Euphorisch hatte sie im vergangenen September mit dem Flug nach Madrid begonnen, enttäuschend ist sie jetzt gegen Paris Saint-Germain im eigenen Stadion zu Ende gegangen. Dabei bleiben nach dem Aus viele schöne Momente in Erinnerung – und auch bittere Erlebnisse, aus denen der Fußball-Bundesligist lernen sollte, um möglichst wieder in der Champions League zu landen.

Punktausbeute Schon immer haben sich Fans mit Tabellen beschäftigt. Früher mit dem Rechenschieber, heute mit Rechenmaschinen. Und da schien die Lage vor dem Start klar: Zehn Punkte reichen in der Ligaphase für ein Weiterkommen. Auf Berechnungen Künstlicher Intelligenz (KI) basierte die Annahme – und nun sagt Sebastian Hoeneß nach dem 1:4 gegen Paris Saint-Germain und zehn gesammelten Zählern: „Die KI hat sich getäuscht. Es haben nicht einmal elf Punkte gereicht.“

Die Enttäuschung darüber war dem VfB-Trainer anzumerken. Dennoch lobt er seine Elf. „Sie hat nach dieser Horror-Hälfte Charakter gezeigt.“ 0:3 lagen die Stuttgarter durch Tore von Bradley Barcola (6.) und Ousmane Dembélé (17./35.) zurück. Dembélé traf erneut (54.), ehe Willian Pacho ein Eigentor (77.) unterlief.

Eine Pariser Machtdemonstration kann man es nennen – und der VfB versuchte verzweifelt zu retten, was nicht mehr zu retten war. „Wir haben vorher Punkte liegen lassen“, sagt der Sportvorstand Fabian Wohlgemuth. Das 1:5 in Belgrad und das 1:1 gegen Sparta Prag sind gemeint. PSG war dann beim Finale um die Play-offs eine Nummer zu groß.

In Zahlen bleibt, dass der Bundesligist auf den 26. Rang abgerutscht ist. Dabei gehört zur Wahrheit, dass es kein VfB-Gegner unter die Top-Acht der Ligaphase geschafft hat. Vier Mannschaften, gegen die das Hoeneß-Team angetreten ist, liegen hinter ihm. Young Boys Bern, Slavian Bratislava, Sparta Prag und Roter Stern Belgrad – da war mehr drin.

Lektionen Natürlich steht beim VfB vieles unter dem Eindruck der letzten Lehrstunde. „Wir haben unsere individuelle Extraqualität in ein Mannschaftsspiel eingebracht“, sagt der PSG-Trainer Luis Enrique. Schnell, präzise, konsequent. Für die VfB-Profis war die Begegnung Angst einflössend. Nichts war zu spüren von der Leichtigkeit in Madrid, als sie am starken Real-Torwart Thibaut Courtois scheiterten. Nichts war zu sehen von der Klasse in Turin, als Juventus besiegt wurde.

Gegen PSG wirkte der VfB wie paralysiert. Nichts ging. „Dass uns der nötige Mut gefehlt hat, ist menschlich. Es stand viel auf dem Spiel und im Gegensatz zu Paris haben wir nicht so viele Spieler, die auf diesem Level schon oft unter diesem Druck gestanden sind“, sagt Hoeneß, der sein Team an den Erfahrungen wachsen sehen will. Diesbezüglich gab es in der Königsklasse weitere Lektionen – gegen Atalanta Bergamo, als der VfB einer abgezockten Spitzenelf unterlag. Vor allem aber in Belgrad zahlten die Stuttgarter Lehrgeld, als sie trotz eines 1:0-Vorsprungs die Kontrolle verloren. Die VfB-Elf wurde ausgekontert, weil sie die Gefahr nach der schnellen Führung nicht kommen sah. „Wir befinden uns noch immer in einem Anpassungsprozess“, sagt der Sportvorstand Fabian Wohlgemuth, „nicht nur die Mannschaft, sondern der ganze Club muss wieder lernen, mit den Belastungen im Drei-Tages-Rhythmus umzugehen.“

Emotionen Neben inhaltlichen Lehren nimmt der VfB auch etwas mit, was die sportliche Analyse sogar überdauern wird. Große Emotionen, bleibende Erinnerungen. Von „einmaligen Erlebnissen“ spricht der Sportvorstand Fabian Wohlgemuth im Rückblick auf die acht Partien. Und man kann hier gleich beim ersten Spiel ansetzen, als der VfB im Fußballtempel Estadio Bernabeu dem Mythos Real Madrid die Stirn bot und erst durch zwei Gegentreffer in der Schlussphase mit 1:3 unterlag. Bei Juventus Turin sorgte dann El Bilal Touré durch seinen Siegtreffer in der Nachspielzeit für Gefühlsausbrüche bei Mannschaft und Anhang.

Klar, es gab auch die Ereignisse rund um das Spiel bei Roter Stern Belgrad, als viele Fans nach unverhältnismäßigen Polizeikontrollen an der Grenze umdrehten. In Summe aber feierte der VfB mit seinen Fans die ersehnten Fußballfeste. Und das nicht nur in der Fremde. Auch bei den ausverkauften Heimspielen herrschte eine besondere Atmosphäre, prägten Choreografien das Bild, lag stets eine besondere Note in der Luft – was den Cheftrainer zu einem ausdrücklichen Loblied auf die Kulisse veranlasste: „Dieses Stadion ist einmalig“, betont Sebastian Hoeneß. „Es ist etwas Großartiges, diese Unterstützung zu erfahren. Das sind die Dinge, neben Sieg oder Niederlage, die hängen bleiben.“

Ambitionen Die Erfahrungen haben Lust auf mehr gemacht – und die Anspruchshaltung offensiver werden lassen. War in der Vorsaison in puncto Zielsetzung lange Zurückhaltung angesagt, machen die Spieler nun keinen Hehl aus den Ambitionen: Das Team will diese europäischen Abende wieder erleben, die Qualifikation für die internationale Bühne ist das Ziel. „Wir haben alle Blut geleckt“, sagt der Linksverteidiger Maximilian Mittelstädt. „Wir wollen in der Bundesliga Gas geben, um weitere solcher Reisen zu erleben.“

Die Ausgangslage dafür stimmt, und da gehört in die Gesamtbetrachtung, dass der VfB als Tabellenvierter auf einem Rang steht, der zur erneuten Teilnahme an der Königsklasse berechtigten würde. Der Spagat zwischen Liga und League ist gelungen. Aber: Das Feld ist dicht gedrängt. Die Stuttgarter nehmen diese Herausforderung an. „Wir haben in der Bundesliga noch richtig was vor“, betont Hoeneß vor dem Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach am Samstag (15.30 Uhr), das den Auftakt für die letzten 15 Spieltage dieser Saison bildet. Die Stuttgarter Ambitionen sind dabei klar: Die jüngste Europareise soll keine einmalige bleiben.

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Erstellt:
30. Januar 2025, 22:04 Uhr
Aktualisiert:
30. Januar 2025, 23:59 Uhr

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