Große Fußstapfen – und neue Pfade

Der Bundesligist SC Freiburg geht nach 13 Jahren unter Kulttrainer Christian Streich in eine neue Ära. Der gebürtige Bietigheimer Julian Schuster soll die Breisgauer prägen, aber nicht neu erfinden.

Von marco seliger

Freiburg/Stuttgart - Für den Bundesligisten SC Freiburg beginnt nach der Ära Christian Streich mit der DFB-Pokalpartie beim Drittligisten VfL Osnabrück an diesem Samstag (15.30 Uhr) eine neue Zeitrechnung. Die erste ganz offensichtliche Änderung wird jedoch erst eine Woche später vor dem Anpfiff des ersten Heimspiels gegen den VfB Stuttgart zu sehen sein. Denn beim Bundesliga-Auftakt wird Julian Schuster, der neue Trainer des SC Freiburg, nicht in die Fußstapfen seines Vorgängers Christian Streich treten – sondern die Spur der Vereinsikone auch verlassen.

„Wir wechseln in unserem Stadion mit der Trainerbank die Seite“, sagte Schuster jüngst auf die Frage nach der ersten Änderung im Vergleich zur Streich-Ära, die im Sommer nach zwölfeinhalb Jahren als Chefcoach zu Ende gegangen ist: „Dadurch sind wir näher an der Südtribüne, diese Nähe zu den Fans ist mir wichtig.“ Schuster wird also kurz vor Beginn der Partie gegen den VfB nicht wie Streich vorher nach links gehen, sondern den Weg in die rechte Coachingzone, die näher am Stehrang liegt, nehmen – und von dort aus, so hofft er es, weitere Änderungen auf dem Platz sehen.

Nein, Schuster will dabei von draußen nicht die große Revolution ausrufen, das nicht. Aber gewisse Änderungen plant der 39-Jährige beim Sport-Club. Der neue Coach selbst nennt das „Anpassungen“ – und meint damit ein höheres Pressing und ein schnelleres Umschalten. Ansonsten aber soll Bewährtes bleiben. Auch übergeordnet. So gibt der Sportvorstand Jochen Saier die Richtung vor, die unter Streich Gesetz war und unter Schuster nicht umgeschrieben wird: „Es gibt keine Kampfansagen und keine Risiko-Geschäfte.“ Obendrein sollen, na klar, weiter möglichst viele in der eigenen Jugend ausgebildete Spieler den Sprung zu den Profis schaffen.

Und wer sonst als Schuster könnte für das letztgenannte Vorhaben geeigneter sein? Der ehemalige Kapitän, der als Profi 2008 zum SC wechselte, war seit seinem Karriere-Ende im Jahr 2018 der so genannte Verbindungstrainer zwischen den Profis und der Jugend – als personifiziertes Sprungbrett für die Jungen begleitete er sie. Er unterstützte, forderte und förderte also auf dem Weg zu und bei den Profis.

Jetzt ist Schuster der Chefcoach – und muss dabei nicht nur seine vertrauten Jungspunde in neuer Rolle anleiten. Sondern auch die erfahrenen Haudegen, mit denen er einst zusammen kickte. Allein mit neun aktuellen Profis stand der gebürtige Bietigheimer als Profi gemeinsam auf dem Platz. Es ist also eine spannende menschliche Gemengelage, die da in Freiburg zu beobachten ist – der ehemalige Mitspieler, der Kapitän und Kumpel Schuster ist nun: der Trainer.

Schuster selbst sieht die Angelegenheit gelassen und erklärt am Beispiel des Umgangs mit dem langjährigen Mittelfeldmann Nicolas Höfler: „Unsere Kinder spielen zusammen Fußball – da kann es Momente geben, wo vormittags der Ton rauer ist und wir mittags entspannt miteinander umgehen müssen, wenn wir den Kindern zuschauen.“ Übergeordnet will Schuster diesen Umgang im Alltag genauso leben mit seinen Jungs: Er pflegt die Mischung aus Vertrautheit und Härte. Schuster sagt, dass er Nähe geben, im nächsten Moment wieder deutlich werden könne. So wie früher, als er bereits als Kapitän die klaren Ansagen lieferte – im Mittelfeld und in der Kabine. Hier wiederum kommt wieder der Trainer-Vorgänger Streich ins Spiel: Weil das Verhältnis des Spielers Schuster zum Trainer Streich von damals die Blaupause liefern könnte für den heutigen Umgang des Trainers Schuster mit seinen künftigen Führungsspielern.

So erzählte der neue Coach kürzlich davon, dass er sich schon mal gefetzt habe damals als Kapitän mit seinem Coach Streich. Dass man sich hinterher dann auch mal ein paar Tage lang angeschwiegen und das ausgehalten habe. Immer aber blieb das Verhältnis auf Sicht intakt. Ergo: Wer immer denkt, dass sie sich in Freiburg alle lieb hatten oder lieb haben werden, der irrt gewaltig. Oder anders: Auch der Trainer Schuster wird intern Widerspruch zulassen, eine Diskussionskultur in und mit der Mannschaft etablieren – und hier in Christian Streichs Fußstapfen treten.

Die sind nach dem Erfolgsweg des langjährigen Trainers und Menschenfängers riesig, klar – Schuster aber hat einen großen Vorteil: Er trifft auf gewachsene Strukturen. Weil er selbst seit 2008 ein nicht unerheblicher Teil dieser Struktur ist. Weil er die Mannschaft, die kaum Abgänge in diesem Sommer zu verkraften hat, aus dem Effeff kennt, ebenso wie die Gemengelage im Gesamtverein – der dank der Erfolge der vergangenen Jahre und des neuen Stadions finanziell kerngesund ist.

Die Ansprüche also sind gestiegen rund um den Sport-Club. Oder, wie es Schuster im noch immer typischen Freiburger Understatement sagt: „Wir sind der Lage, eine gute Rolle zu spielen.“

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Erstellt:
16. August 2024, 22:10 Uhr
Aktualisiert:
17. August 2024, 21:54 Uhr

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