Überteuerte Immobilien im Land
Hässlicher wohnen
Der Wohnungsmangel spielt gierigen Verkäufern von älteren Bestandsimmobilien in die Hände. Die Preise sind selbst in strukturschwachen Gegenden von der Alb bis zum Schwarzwald auch immer noch völlig überhöht, kommentiert unser Autor.

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Wer einen Altbau saniert, egal ob in einer Stadt wie Stuttgart oder in einem heruntergewohnten Haus auf dem Land kann sich auf etwas gefasst machen.
Von Tomo Pavlovic
Im Grunde sollte man an dieser Stelle mal ehrlich feststellen: je mehr man sich mit Architektur, zumal mit guter Architektur beschäftigt, desto mehr leidet man. Das klingt jetzt widersprüchlich, ist es aber nicht. Architektur ist einfach nichts für schwache Nerven.
Jeder und jede, der oder die sich mal spaßeshalber in der letzten Zeit mit dem Kauf einer Bestandsimmobilie und deren Sanierung beschäftigt hat, muss nach dem Studium der einschlägigen Portale mit Netzhautablösungen und depressiven Schüben rechnen. Was da im Netz angeboten und mit vielen Fotos angepriesen wird! Dazu noch die horrenden, in Süddeutschland beinahe flächendeckend oft völlig überzogenen Preise für nahezu alle Wohnimmobilientypen.
Deutsche Maklerpoesie
Die deutsche Maklerpoesie gehört in ihrer einzigartigen Realitätsverleugnung endlich als immaterielles Kulturerbe von der Unesco anerkannt – so wie indisches Yoga oder die Ötztaler Mundart. Wer die Begriffe „Omas schnuckeliges Häuschen mit Holzofen am Fuße der Schwäbischen Alb“, „Apartment inklusive zeitgemäßer Möblierung“, „authentischer Altbaucharme im Schwarzwalddorf“ oder „Objekt mit viel Potenzial“ liest, sollte schleunigst weiterscrollen, die Anzeige auf Reimstrukturen und ein lyrische Ich abklopfen oder gleich auswandern.
Der gigantische Sanierungsstau in diesem Land steht in keinem Verhältnis mehr zu den aufgerufenen Angebotspreisen. Und solange sich die privaten Verkäufer es leisten können, dass sie ihre meist hoffnungslos verbastelten und heruntergewohnten Häuser und Wohnungen aus den 60er, 70er und 80er Jahren wie Sauerbier jahrelang feilbieten können, ohne preislich deutlich nachzugeben, wird es auf dem Immobilienmarkt keine wirkliche Bewegung geben, zumindest nicht in den ländlichen Gegenden.
Das Kaufinteresse an Wohnimmobilien ist nach Jahren zwar wieder da, das ergeben neue Studien, die wir in unserer Zeitung regelmäßig auswerten und wiedergeben. Doch wer mit dem Erwerb einer älteren Bestandsimmobilie liebäugelt, muss nicht nur die Kosten für die energetische Sanierung einkalkulieren, sondern auch meist den kompletten Rückbau der Geschmacksverirrungen einer Generation finanzieren, die jahrzehntelang obsessiv den berüchtigten Gelsenkirchener Barock mit alpenländischem Kitsch und viel Billigschrott kombinierte.
Dabei ging es eben nicht nur um wuchtige Schrankzeilen, Baumarktleuchten, muffige Küchen, Fliesen mit psychedelischen Mustern und toxische Bodenbeläge, die man notfalls mit Hilfe eines Entrümplungsunternehmens auf den nächsten Wertstoffhof abladen kann.
Jede Menge Pfusch am Bau
Nein, oft wurde richtiggehend gepfuscht, ohne Baugenehmigung ein Wintergarten angebaut, Decken abgehängt, das Dachgeschoss eigenhändig ohne Dampfsperren gedämmt, falsche Kamine gemauert, Wände unsachgemäß versetzt und so vieles mehr. Die ursprüngliche Architektur gerade aus den heute wieder hochgeschätzten 60er und 70er Jahren ist nicht mehr vorhanden, wurde häufig mutwillig zerstört.
Anderes hat sich hingegen gehalten. So wurden die stromfressenden Nachtspeicheröfen nicht erneuert, auch die Fenster sind undicht. Aber das ist doch gerade „charmant“ und „authentisch“, nicht wahr? Nein, ist es nicht. Nun soll die ganze Pracht auch noch einen jüngeren, solventen, aber dämlichen Käufer finden, der die Bau- und Einrichtungssünden der Älteren belohnt. Glücklich, wer keine Ahnung hat, am besten farbenblind ist und das Dessauer Bauhaus für eine ostdeutsche Baumarktfiliale hält. Der zieht einfach ins Museum ein und macht: nichts.
Doch von solchen gibt es nur wenige. Selbst die wohlwollendsten Menschen, die sich ernsthaft mit Architektur, Baukultur und Design beschäftigen, können nach einer Wohnungs- oder Hausbesichtigung vor Ort nur mit den Augen rollen. Es hat schon seinen Grund, weshalb Deutschland immer noch ein Mieterland ist. Neubauten können sich nur noch die wenigsten leisten. Und das Alte? Ist seinen Preis auch nicht wert.