Höllenritt, Wasserspiele, Zwölftonreihen
Vielversprechender Auftakt: Zwei Pianistinnen und drei Pianisten servieren beim ersten Teilnehmerkonzert der Internationalen Klavierakademie in Murrhardt ein Programm mit kontrastreichen, ausgeklügelt dargestellten Kompositionen vom Barock bis zur Moderne.
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Einen vielversprechenden Auftakt zu einer Woche voller hochkarätiger Klaviermusik bot das erste Teilnehmerkonzert der Internationalen Klavierakademie (IKAM). Zwei Pianistinnen und drei Pianisten haben ein spannendes Programm mit Werken von sechs Komponisten aus drei Epochen gestaltet.
Laura Klüner aus Gelsenkirchen, die Physik und Medizin studiert hat, promoviert derzeit in Oxford und begann als Elfjährige Klavier zu spielen. Feinsinnig gestaltete sie aus Dmitri Schostakowitschs Vierundzwanzig Präludien und Fugen Opus 87 die Fuge No. 24 d-Moll. Darin setzt sich eine erst zaghafte, dann hoffnungsvolle, klangschöne Melodie gegen tiefe, bedrohlich wirkende Akkordfolgen durch. Zum Ende hin steigern sich Tempo, Aufgeregtheit und Dissonanzen. Ein graziöses Kleinod der Barockmusik ist Domenico Scarlattis Cembalosonate K 466 f-Moll, – melancholisch, klangschön und mit kunstreichen Figuren.
Der Neuseeländer Prescott-Mason nahm sich einen Klavierakademie-Klassiker vor
Einer der führenden jungen Pianisten Neuseelands ist Otis Prescott-Mason, der an der Victoria University of Wellington New Zealand School of Music bei Jian Liu studiert. Souverän und virtuos präsentierte er einen Klassiker der Teilnehmerkonzerte: Franz Liszts nach einer Lektüre von Dantes „Göttlicher Komödie“ komponierte Fantasia quasi Sonata. Effektvoll illustrierte er die Vision vom wilden Ritt der Seele zur Hölle: Deren Schrecknisse stellen der disharmonisch klingende Tritonus, auch Teufelsintervall genannt, und unheimlich grollende Akkordkaskaden dar. Grausig-schaurige Klanggebilde lassen das Heulen und Wehklagen der Verdammten erahnen. Stimmig brachte Prescott-Mason das furiose Tonkunstwerk zum Ausdruck, das mit Lichtblicken in hohen Tönen und versöhnlich wirkenden Akkorden in einer Art Verklärung endet.
In starkem Kontrast dazu stehen Maurice Ravels bezaubernd idyllische „Wasserspiele“ mit atmosphärischen Klangnuancen und Figuren, die Tropfen, Plätschern und Wellenrauschen imitieren und teils wie asiatische Musik anmuten. Vollendet gestaltete die Chinesin Yihe (Sunny) Cheng das impressionistische Meisterwerk. Sie lebt seit 15 Jahren in Neuseeland, hat dort ihr Musikstudium abgeschlossen und ist nun als Lehrerin, Solistin und Kammermusikerin tätig. Sie streichelte die Tasten geradezu, und ihre Finger schwebten über die Tastatur. Scheinbar spielerisch und mühelos beherrscht sie die kniffligen technischen Spezialeffekte wie zwei Tasten zugleich mit einem Daumen anzuschlagen, das Ineinandergreifen der Hände, Akkordtriller und schwungvolle Glissandi, bei denen eine Hand über einen großen Tastaturbereich streift.
Ein Ohrenschmaus ist auch Frédéric Chopins Ballade Nr. 4 Opus 52 f-Moll, dargeboten vom Japaner Leo Michibata, der zurzeit an der Musikhochschule Mannheim bei Moritz Winkelmann studiert. Die Ballade lebt vom Wechsel zwischen verzaubert wirkenden gesanglichen Melodien und Harmonien sowie einer rhythmisch vielfältigen, stürmischen Hetzjagd über Stock und Stein. Nuancenreich gestaltete Michibata diese starken Unterschiede mit seinem fein differenzierten Spiel.
Hok Chun Andy Chung aus Hongkong, der in Kürze mit dem Studiengang Konzertexamen bei Professor Éric Le Sage an der Musikhochschule Freiburg beginnt, präsentierte ebenfalls ein Werk von Chopin: Die Nocturne Nr. 8 Opus 27 Des-Dur. Mit viel Fingerspitzengefühl brachte er den träumerischen, dunklen Charakter und die vielschichtige Harmonik stilvoll zur Entfaltung, ebenso die weiten romantischen Melodiebögen über dem Klangteppich der Begleitfiguren der linken Hand und deren modulatorische Verflechtungen, die durch latente Mehrstimmigkeit bereichert werden.
Im Gegensatz dazu stand die letzte Komposition des Abends, die wie moderne abstrakte Kunst klang – der Schlusssatz IV. Fuga: Allegro con spirito aus Samuel Barbers Sonata for Piano Opus 26. Da flitzten Chungs Finger nur so über die Tasten, was zeigte, welch vielseitiger Virtuose er ist. In dieser mitreißenden, vor fantasievollen Ideen sprühenden Fuge scheinen viele unterschiedliche Elemente aus Tradition und Avantgarde spielerisch durcheinanderzuwirbeln. Unmelodische Motive wechseln mit ohrenentspannenden Harmonien ab. Die Fuge prägen verschiedene kontrapunktische Techniken, freitonale Tonsprache mit Tonarten und Zwölftonreihen. Hinzu kommt eine sehr komplexe Rhythmik mit vielen ungewöhnlichen Taktwechseln.
Begeistert dankten die vielen Zuhörerinnen und Zuhörer in der Murrhardter Festhalle den Mitwirkenden mit einem jubelnden Applaus für den großen Hörgenuss.