Ihr Werk passt in keine Schublade

Lotte Hofmann reüssierte im Nachkriegsdeutschland mit ihrer Textilkunst. Sie schuf einen Vorhang für den Beethoven-Saal der Stuttgarter Liederhalle, der ihr zum Durchbruch verhalf. An die ungewöhnliche Frau erinnert Nanna Aspholm-Flik nun auch in einem Vortrag in Murrhardt.

Lotte Hofmann. Fotos: Nanna Aspholm-Flik

Lotte Hofmann. Fotos: Nanna Aspholm-Flik

Von Christine Schick

Murrhardt/Oberrot. Das ehemalige Zentrum des Schaffens von Lotte Hofmann liegt ganz in der Nähe von Murrhardt, nur ein paar Kilometer entfernt. Nach der Flucht aus Königsberg gründete die Künstlerin und Kunsthandwerkerin 1946 eine Werkstätte in Oberrot-Hausen (Kreis Schwäbisch Hall), die bis zu ihrem Tod 1981 bestand. Insofern ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich noch eine ganze Reihe ihrer Stücke in Häusern bei Familien im näheren und weiteren Umkreis findet, die Lotte Hofmann und ihre Kunst kannten und schätzten. Darauf setzt auch Textildesignerin Nanna Aspholm-Flik, die gemeinsam mit anderen im Rahmen der Lotte-Hofmann-Gedächtnis-Stiftung an die außergewöhnliche Frau erinnert. Aber dazu später.

Nach der Flucht folgte ein mutiger Neuanfang in einer Zeit der Materialnot

Lotte Hofmann hat sich nicht nur in einem ungewöhnlichen Bereich – Textilkunst und Kunsthandwerk – etabliert und für ihre Arbeiten etliche, auch internationale Preise erhalten, sie hat dies auch in einer Zeit geschafft, in der das für Frauen alles andere als selbstverständlich war. Ende des Zweiten Weltkriegs floh sie – damals noch Gewerbeoberlehrerin für Kunsthandarbeit und Zeichnen an der Ostpreußischen Mädchengewerbeschule in Königsberg – zunächst in den Mönchhof nahe Kaisersbach, wo ein Teil der Familie väterlicherseits lebte. „Der Hof war ihre Rettung, Nährboden und Sprungbrett zugleich“, stellt Nanna Aspholm-Flik mit Blick auf ihr dortiges Ankommen 1945 fest. Wie sie es schaffte, nur ein Jahr später eine Werkstatt in einer Zeit absoluter Materialnot aufzubauen und ihren beruflichen Weg weiterzugehen, dazu sagt die Textildesignerin, die während ihres Studiums auf Lotte Hofmann und ihre Werke stieß: „Sie war sehr kommunikativ und hatte in Stuttgart Kontakt mit Amerikanern.“ Diese Verbindungen ermöglichten es ihr, an Material zu gelangen. „Das waren beispielsweise Uniformen oder Plastikstoffe“, erzählt die gebürtige Finnin, die sich intensiv mit der Biografie beschäftigt und auch Zeitzeugen befragt hat. „Das, was wir heute problematisch finden, mit PVC beschichtete Textilien wie Wachstücher, war damals ganz modern.“

So entstanden beispielsweise aus Resten und von Hand gefertigte farbenfrohe und charakterstarke Stofftiere. In diesen Spielzeugen spiegeln sich für Aspholm-Flik zwei Aspekte wider: die Leidenschaft Hofmanns für die Bauhaus-Tradition im Sinn eines auf das Wesentliche reduzierten Stils genauso wie ihr Einfallsreichtum, mit dem sie auch Textilkunst für den Hausgebrauch schuf.

Lotte Hofmann experimentierte
mit Material und Maschine

„Sie war absolut experimentierfreudig und innovativ“, sagt Nanna Aspholm-Flik. Dazu gehörte, dass sie die Nähmaschine viel und intensiv für ihre Stücke einsetzte und so die Handarbeit mit einer industriellen Herstellung kombinierte, beispielsweise auch für ihre Maschinenstickerei.

Thematisch beschäftigte sie sich vor allem mit floralen und figürlichen Motiven sowie Landschafts- und Städteansichten, die sie unterschiedlich stark abstrahierte. So schuf sie neben Wandbehängen in fast naturalistischer Darstellung auch abstrakte Reliefbilder.

„Ein aus heutiger Sicht für sie wichtiger Auftrag war der Bühnenvorhang im Beethoven-Saal der neu gebauten Liederhalle in Stuttgart 1956“, hält die Textildesignerin in ihren biografischen Skizzen über Lotte Hofmann fest. Es folgten weitere Bestellungen, unter anderem für Schmuckvorhänge in verschiedensten Theaterhäusern Deutschlands. Das blieb auch ihrer Umgebung nicht verborgen, wie ein Foto von 1959 zeigt. „Um die Wirkung des Vorhangs beurteilen zu können, wurde er im dritten Stock eines Hauses in Oberrot zur Probe aufgehängt“, erzählt Nanna Aspholm-Flik. Es handelte sich um den künftigen Bühnenvorhang für das Theater in Kassel und um das Oberroter Feuerwehrhaus, in dem sonst nur Löschschläuche aufgehängt wurden. Insofern dürfte ihr Eindruck nicht ganz aus der Luft gegriffen sein, dass „Lotte Hofmann sehr gut integriert war“.

Eine wichtige Rolle in ihrem Leben hat ihre Schwester Käte gespielt, die als Lehrerin arbeitete, ihr aber bei so gut wie allen ihrer Projekte zur Seite stand. „Heute würde man sagen, sie hat das Backoffice übernommen.“ Für den damals heranwachsenden Frank Soehnle, dessen Familie aus Murrhardt stammt, waren Lotte Hofmann, eine Cousine seiner Großmutter väterlicherseits, und ihre Werkstatt von großer Bedeutung. Dort hat sie ihn schon als Kind gefördert und war später Fürsprecherin, als es um seinen Wunsch ging, an der Staatlichen Akademie für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart zu studieren, berichtet Nanna Aspholm-Flik. Soehnle gründete das Figurentheater Tübingen und entwickelte sich zu einem international gefeierten Figurenspieler und Regisseur.

Bei Führungen in der Liederhalle


wird der Bühnenvorhang gezeigt

Besonders freut sich Nanna Aspholm-Flik, dass sie im Herbst dieses Jahres zum Tag des Denkmals am 8. September zwei Führungen zum Bühnenvorhang von Lotte Hofmann in der Liederhalle anbieten kann. Das Stück ist gut erhalten und wird an diesem Tag präsentiert – aufgrund von Brandschutzvorschriften musste es schon vor einiger Zeit abgenommen werden.

Auch sonst ist Aspholm-Flik im Sinn einer lebendigen Erinnerung an die Textilkünstlerin ehrenamtlich unterwegs. Diesen Donnerstag hält sie an der Volkshochschule Murrhardt einen Vortrag über Lotte Hofmann. Mit Blick auf die Dokumentation ihrer Arbeiten freut sie sich auch über Hinweise zu Werkstücken genauso wie zu biografischen Aspekten von Menschen, die sie als kreativen Geist noch erlebt haben – an die E-Mail info@nannatextiles.de.

Frühe Arbeiten: Kinderspielzeug aus Stoffresten.

Frühe Arbeiten: Kinderspielzeug aus Stoffresten.

Der grau-grüne Vorhang in der Stuttgarter Liederhalle war 1956 ein wichtiger Auftrag. Heute ist er aus Brandschutzgründen abgehängt, wird aber noch vor Ort aufbewahrt.

Der grau-grüne Vorhang in der Stuttgarter Liederhalle war 1956 ein wichtiger Auftrag. Heute ist er aus Brandschutzgründen abgehängt, wird aber noch vor Ort aufbewahrt.

In der Volkshochschule Murrhardt spricht Nanna Aspholm-Flik über Leben und Werk von Lotte Hofmann

Preise Lotte Hofmann wurden viele Preise zuerkannt. Unter anderem erhielt sie bei der Triennale in Mailand 1954 eine Goldmedaille und 1957 eine Auszeichnung, bei der Weltausstellung in Brüssel 1958 eine Ehrenurkunde und 1954, 1957 und 1959 den Staatspreis des Landes Baden-Württemberg. Bekannt ist, dass sie als kommunikativer und Familienmensch ihre Geburtstage in der Sonne-Post in Murrhardt gefeiert hat. Sie engagierte sich auch verbandspolitisch für das Kunsthandwerk. Auf internationaler Ebene hob sie in New York den World Crafts Council, den Weltverband des Kunsthandwerks, mit aus der Taufe. Weitere Infos auf der Website von Nanna Aspholm-Flik: https://nannatextiles.de/loho-friends.

Gedenken Die Lotte-Hofmann-Gedächtnis-Stiftung für Textilkunst wurde mit dem Ziel gegründet, die Textilkunst in Deutschland zu fördern und ihre Protagonisten auszuzeichnen. Die nächste Verleihung ist 2026 geplant. Zu Werk und Techniken heißt es auf der Homepage der Stiftung: „Die Arbeiten Lotte Hofmanns zeichnen sich durch einen vielseitigen, offenen Umgang mit den Materialien aus. Fundiert ausgebildet als Schneiderin und Stickmeisterin, experimentierte Lotte Hofmann mit den unterschiedlichsten Möglichkeiten der Applikation zur Umsetzung ihrer künstlerischen Ideen. Typisch für Lotte Hofmanns Werke ist die sogenannte ,Fleckle‘-Technik, bei der mehrere aus bis zu 20 Stofflagen bestehende kleine Quadrate, deren Rand ausgefranst ist, auf einen Grundstoff aufgenäht werden. Auch über die Stickerei fand Lotte Hofmann neue Ausdrucksmittel in der freien Gestaltung mit Farben, Materialien und Techniken. Bald nach der Eröffnung ihres Ateliers nahm sie die bereits in Berlin begonnenen Versuche, mit der Maschine zu sticken, wieder auf, weil sie auch hier nach neuen gestalterischen Wegen suchte.“

Vortrag Zum Vortrag von Nanna Aspholm-Flik am Donnerstag, 14. März, 18 Uhr im Grabenschulhaus kann man sich bei der VHS Murrhardt persönlich, unter www.vhs-murrhardt.de oder per E-Mail an info@vhs-murrhardt.de anmelden. Eintritt kostet acht Euro, ermäßigt 6,50 Euro; Infos: 07192/9358-0.

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Erstellt:
12. März 2024, 06:00 Uhr

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