Personalmangel bei der Polizei
In Baden-Württemberg fehlen mehr als 2700 Polizisten
Seit Jahren spricht Innenminister Thomas Strobl von der „größten Einstellungsoffensive in der Geschichte Baden-Württembergs“. Doch bei der Polizei ist jede zehnte Stelle nicht besetzt – und es droht eine Pensionierungswelle.
Von Franz Feyder
In Baden-Württemberg fehlten zum Stichtag 1. November mehr als 2700 Polizistinnen und Polizisten. Das ergibt sich aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage des SPD-Innenexperten Sascha Binder, die unserer Zeitung vorliegt. Demnach ist trotz der von Innenminister Thomas Strobl (CDU) seit Jahren zitierten „größten Einstellungsoffensive in der Geschichte des Landes“ jede zehnte der im Haushaltsplan vom Parlament genehmigten und finanzierten Stelle in der Landespolizei unbesetzt.
Der Christdemokrat verweist häufig auf den aktuellen historischen Höchststand der Polizeikräfte im Land. Auch nun in seiner Antwort an das Parlament stellt Strobl heraus, das Land verfüge „heute über 300 Polizistinnen und Polizisten mehr als im Jahr 2016“. Zudem verspricht er, dass sich der „personelle Zuwachs auf mehr als 1000 fertig ausgebildete“ Beamten bis 2026 belaufe. Strobl betont, dass Baden-Württemberg bei der Inneren Sicherheit bundesweit einen Spitzenplatz einnehme. Nichtsdestotrotz rangiert Baden-Württemberg bei der sogenannten Polizeidichte, also der Anzahl der Polizistinnen und Polizisten, die auf 100 000 Einwohner kommen, bundesweit seit Jahren auf dem letzten Platz. 2016 lag sie bei 1 zu 452, zuletzt bei 1 zu 459. Strobl führt dies auf das Bevölkerungswachstum und die anhaltende Pensionierungswelle zurück.
Pensionierungswelle bei Baden-Württembergs Polizei bis 2029
Auch wenn Strobl von einer „Trendumkehr“ spricht, bei der mehr Polizisten eingestellt als pensioniert würden – Sascha Binder zeigt sich skeptisch, dass dem Minister der Durchbruch in einer seit acht Jahren schleppend verlaufenden Personalentwicklung bei der Polizei gelingt: „Besonders negativ fällt auf, dass die mehr als 200 Kündigungen in den vergangenen Jahren zum größten Teil Personen betrafen, die noch in der Ausbildung waren, die noch in der Ausbildung waren und die wir trotz ihrer Entscheidung für eine Ausbildung in der Polizei nicht halten konnten.“
Etwa 100 Polizeianwärter brechen jährlich ihre Ausbildung vorzeitig ab. Zudem werden in den kommenden fünf Jahren bis 2029 weitere 3750 Polizisten pensioniert. In den von Strobl veröffentlichten Tabellen ist außerdem nicht erfasst, wie viele Polizisten im Landespolizeipräsidium, also in der Verwaltung und Führung der Polizei eingesetzt werden – und somit im Alltag auf der Straße fehlen. Zwar beteuerte Strobl im August 2023 bei einer Vereidigungsfeier, „jede neue Polizistin und jeder neue Polizist verstärkt die Polizei seither wieder dort, wo es am wichtigsten ist: an der Basis!“
Wertebeauftragter Jörg Krauss gab Empfehlungen
Erst Ende November räumte das Ministerium aber ein, dass 190 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte in der Verwaltung statt im Streifendienst oder für Ermittlungen eingesetzt werden. Hinter den Kulissen rumort es auch, weil aus den Polizeirevieren Beamte ins Landespolizeipräsidium abkommandiert werden, um in der Öffentlichkeitsarbeit zu arbeiten. Zudem sagen viele Polizisten, dass sie nicht erkennen, dass die in diesem Sommer vorgestellten, umfangreichen Empfehlungen des „Beauftragten für eine moderne Werte und Führungskultur“, dem früheren Ministerialdirektor Jörg Krauss, realisiert werden würden.
Thomas Strobl hatte den ehemaligen Amtschef des Finanzministeriums als Konsequenz der Affäre um den wegen sexueller Verfehlungen vom Dienst suspendierten Polizeiinspekteurs Andreas Renner beauftragt, ein Stimmungsbild an der Polizeibasis zu erheben und Veränderungen zu erarbeiten. Krauss hatte ein Jahr lang mit mehr als 2000 Polizistinnen und Polizisten gesprochen. Daraus hatte er 24 Empfehlungen für Veränderungen in der Polizei entwickelt. Strobl versprach im Juli: „Mit den Handlungsempfehlungen setzen wir jetzt aber genau dort an, wo es notwendig ist. Das ist der klare Auftrag unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, den wir sehr ernst nehmen“
Zu den von Krauss empfohlenen Veränderungen gehören auch die, die sich SPD-Mann Binder wiederholt zu eigen macht: „Nötig wäre eine gute und moderne Führungskultur, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie gute Aufstiegschancen in der Polizei.“