Jeder keilt gegen jeden

Die Ampel hat den Anspruch, bis zum bitteren Ende respektvoll miteinander umzugehen, aufgegeben.

Von Eidos Import

Kanzler Olaf Scholz hat baldige Gespräche mit der Union und Vertretern der Bundesländer über Änderungen in der Migrationspolitik angekündigt. Der Sozialdemokrat reagierte damit auf das Angebot von CDU-Chef Friedrich Merz zu einer Zusammenarbeit in der Migrationspolitik nach dem Messeranschlag von Solingen – vorbei an Grünen und Liberalen. Umgehend meldete sich FDP-Vize Wolfgang Kubicki zu Wort, der seine Partei in der Frage schärferer Asylregelungen nicht zwingend an die Koalitionsdisziplin gebunden sieht – und zur Begründung auf die bilateralen Gespräche zwischen Merz und Scholz verwies.

Irgendwie kommt einem das bekannt vor. Die Ampel hat die Sommerwochen weidlich dazu missbraucht, sich gegenseitig vors Schienbein zu treten. Das Wort von der „Übergangsregierung“, das der grüne Co-Vorsitzende Omid Nouripour mit sanftem Sound in die politische Debatte eingeführt hat, legt sich wie Mehltau auf das untaugliche Bündnis. Wobei man allen mehr oder weniger wichtigen Beteiligten zu Gute halten muss: Sie beweisen mit ihrer vorwurfsvollen Partnerschelte jenen bemerkenswerten (wenngleich zur nötigen Selbstkritik unfähigen) Sinn für die Realität, der ihnen in den letzten Monaten bei den meisten politischen Inhalten abhanden gekommen ist.

Wenn der liberale Bundesjustizminister feststellt, dass alle, die hohe Staatsämter tragen, auch die Pflicht haben, ihre Arbeit zu machen und folglich eine Bundesregierung keine Selbsthilfegruppe sei, will man Marco Buschmann nicht widersprechen. Wenn der Kanzler die Arbeit in der Koalition als „mühselig“ skizziert und seine magere Bilanz mit einem von Pulverdampf verdeckten Schlachtfeld vergleicht, kann man Scholz verstehen. Wenn der freidemokratische Bundesfinanzminister davon spricht, in der Ampel in jeder Hinsicht an Grenzen zu stoßen, verrät Christian Lindner nur das, was das ganze Land nicht erst seit gestern mit wachsendem Verdruss zu spüren bekommt. Und wenn der grüne Bundeswirtschaftsminister vorhersagt, Lindner werde unter ihm als Bundeskanzler nicht mehr oberster Kassenwart, sagt Robert Habeck damit nur Selbstverständliches, auch wenn seine Kanzlerschaft nicht ernsthaft zur Debatte steht.

Nein, nach diesem verbiesterten Sommer steht für die Ampel fest: Das war’s. Nicht nur inhaltlich. Auch menschlich. Von nun an beginnt ein Abschied auf Raten. Auf offener Bühne. Mit routinierten Nickligkeiten und egoistischen Blockaden. Mit dem Schlachtruf „Rette sich wer kann!“ Mit dem neidisch beäugten Liebäugeln neuer Perspektiven. Und mit verbitterten Schuldzuweisungen, die nur in den seltensten Fällen jeglicher Grundlage entbehren.

Im deutschen Scheidungsrecht dürfte man den Zeitraum bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 nüchtern als Trennungsjahr bezeichnen. Mit jenem Zerrüttungsprinzip, das nachweist, dass die Partner nicht mehr zueinanderfinden. Und so wird der Souverän 2025 ein Einsehen haben und das Bündnis scheiden. Schon im September nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg dürfte der Auszugsstreit um das beanspruchte politische Inventar losgehen. Es hat eben nicht gepasst.

Wie bei so vielen anderen. 2023 gab es in Deutschland rund 129 000 Scheidungen. Da kommt es im nächsten auf die unvermeidliche Ampel-Trennung auch nicht mehr an. Bis dahin wurstelt sich die Ampel durch. Mehr aus parteistrategischer Angst vor einem früheren Ende als aus politischem Verantwortungsgefühl. Doch der politische Beziehungsirrtum kommt das Land nicht nur wirtschaftlich teuer zu stehen. Auch wenn es seit 1976 das Schuldprinzip wenigstens im Scheidungsrecht nicht mehr gibt.

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Erstellt:
28. August 2024, 22:10 Uhr
Aktualisiert:
29. August 2024, 21:59 Uhr

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