Tanzstück über toxische Männlichkeit

Johannes Blattner öffnet in „bound“ den Notausgang

Halten Männer Nähe nur betrunken oder beim Sport aus? Der Choreograf Johannes Blattner sucht in seinem Duett „bound“ Auswege aus der Spirale von Gewalt und Aggression – und lässt dafür auch in der City tanzen.

Für die Recherchen zu seinem Duett „bound“ bespielen Choreograf Johannes Blattner und seine Tänzer Elias Bäckebjörk und Paco Ladrón de Guevara auch die Stuttgarter City.

© Marco Reilen

Für die Recherchen zu seinem Duett „bound“ bespielen Choreograf Johannes Blattner und seine Tänzer Elias Bäckebjörk und Paco Ladrón de Guevara auch die Stuttgarter City.

Von Andrea Kachelrieß

Der Choreograf Johannes Blattner interessiert sich in seinem neuen Stück „bound“ für Nähe und Auswege aus gewaltvollen Männlichkeitsbildern. Die Recherche für das Duett fand auch im öffentlichen Raum statt, auf dem Marienplatz und in der Königstraße zum Beispiel. Am 9. und 11. März begeben sich die Tänzer Elias Bäckebjörk und Paco Ladrón de Guevara nochmals mit dem Musiker Florian Vogel in die Stuttgarter City, um für die Premiere am 3. April im Fitz zu werben.

Herr Blattner, Sie beschäftigen sich derzeit sehr intensiv mit der Beziehung von Männern untereinander. Wie geht es Ihnen, wenn Sie etwas wie die jüngste Begegnung von Trump und Selenskyj sehen?

Furchtbar! Mir macht Sorge, dass da gerade so ein Tonus die großen politischen Bereiche durchzieht und Anklang findet. Ein Männlichkeitsbild, dass Männer vor allem kämpfen und finanziell versorgen, wird auch in sozialen Medien nach vorn gebracht – eine sehr eingeschränkte und ungesunde Perspektive, die viel kaputt macht. Ich finde mich da überhaupt nicht wieder. Ich bin jemand, der gern verhandelt und Lösungen findet nach der Devise: Weniger Ellbogen, mehr Gemeinschaft.

Ihr neues Tanzstück untersucht, wie zwei Männer um Nähe ringen. Worte wie Konkurrenz, Gewalt fallen in der Kurzbeschreibung. Als Frau möchte man fragen: Was ist eigentlich euer Problem, Männer?

Ich antworte mit einem Umweg: Wir haben zur Vorbereitung des Stücks Interventionen im öffentlichen Raum gemacht und Zettel ausgelegt, in denen das Publikum das Gesehene beschreiben konnte. Viele haben das Duett gar nicht auf das Geschlechtliche bezogen, sondern Unterstützung und Nähe gesehen. Es gab aber auch Jungs, die das sehr derb auf Sex reduziert haben. Sie sehen nur das oder Aggression, wenn sie mit der Nähe von zwei Männern konfrontiert sind.

Was läuft aus Ihrer Sicht da schief?

Es war für mich eindrücklich, dass für diese Jungs in der Beziehung untereinander nicht mehr Varianz da ist. Alles, was dazwischen ist, kann nur über Rauschzustände, ob es nun Sport oder Betrunkensein ist, gelebt werden. Viele Männer werden heute wieder so sozialisiert. Das ist genau das Problem: dass es wenig Bilder für das andere gibt. Nähe zwischen Männern wird nicht vorgelebt. Oder falls doch, dann wird sie bekämpft.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Männlichkeit, wie sie zum Beispiel Trumps Proud Boys inszenieren . . .

Ja, die stößt ab, weist aber vor allem auf eine große Unsicherheit hin. Das Bild vom starken Kerl ist eine Kompensation oder vielleicht auch einfach nur etwas, was Männern antrainiert und ihnen vorgelebt wurde. Sie erfahren, dass sie abgestraft werden, wenn sie sich nicht so verhalten. Das ist vielleicht gar kein authentisches Bild.

Jungs heulen nicht, hieß es früher. Wie könnte man heute für mehr Emotionalität werben?

Unsere Herangehensweise ist, dass wir in den öffentlichen Raum treten, und dann sind diese Bilder der Nähe eben da und gehören zur Normalität und stellen eine Sichtbarkeit her. Wenn man Sprache benutzt, hat man die Menschen schnell in Lagern, bei Begriffen wie „queer“, „toxische Männlichkeit“ oder „Patriarchat“ ist das zum Beispiel so.

Der Körper ist also klüger als der Verstand?

Ja, und ich bin froh, mit dem Tanz eine Form zu haben, die ohne Worte auskommt und die Menschen anders als über den Kopf erreicht. Das Stück ist keine Attacke, es will kein Vorwurf sein, dass alles falsch ist, sondern nur ein Beispiel dafür, wie Männer sich auch begegnen können. Die Diskurse in der letzten Zeit haben oft Menschen dafür angegriffen, wie sie leben. Dadurch ist eine große Abwehrhaltung entstanden.

„Bound“ heißt Ihr Duett. Warum?

Unsere Arbeitsweise bei den Proben war so definiert, dass die beiden Tänzer immer über einen Berührungspunkt verbunden sind. Kopf an Solarplexus zum Beispiel. Über diese gestellte Situation haben wir untersucht, wie wir das Beziehungsgeflecht, die Stimmung oder die Bewegungsqualität verändern können. Der Gedanke war, dass wir zwei Menschen über einen längeren Zeitraum Intimität aussetzen und beobachten, was mit den Körpern und auf emotionaler Ebene passiert. Im englischen Wort „bound“ steckt auch „bond“, welches das Verbundensein sehr positiv benennt.

Haben Sie Tipps, wie man diese Erfahrung aus einem Tanzduett ins reale Leben rettet?

Vielleicht muss man einfach auch mal eine Umarmung einfordern, wenn man sie braucht. Oder Floskeln hinterfragen und ehrlicher sein. Die politische Reibung, die wir gerade haben, hat viel damit zu tun, dass die Menschen in ihrer Blase leben. Die Verbindungen gehen nicht quer, weil Algorithmen uns auf sozialen Netzwerken eingrenzen. Mit anderen treten wir nicht in den Dialog, weil es konfliktbeladen und anstrengend ist. Es ist aber wichtig, unterschiedliche Menschen zu kennen und sich auszutauschen. In Disneyland gibt es einen Kodex, dass die Charaktere immer diejenigen sind, die sich als Letztes aus einer Umarmung lösen. Vielleicht kann das eine gute Inspiration für den Alltag sein. Man weiß nie, was die andere Person gerade braucht. Nähe bedeutet auch Verständnis.

Info

KünstlerJohannes Blattner, 1988 in Filderstadt geboren, schloss 2013 seine Ausbildung zum Tanzpädagogen und Bühnentänzer in Freiburg ab. In Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Zürich war er als freier Tänzer unterwegs, in New York zu einer Weiterbildung. Von 2015 bis 2019 war er am Theater Pforzheim engagiert. Seit September 2019 ist er als Tänzer und Choreograf in der freien Szene Stuttgart aktiv.

TerminDie Interventionen zu „bound“ im öffentlichen Raum finden am 9. März zwischen 15 und 17 Uhr und am 11. März zwischen 12 und 15 Uhr in der Stuttgarter City statt. Die Premiere von „bound“ ist am 3. April, 20 Uhr im Fitz, weitere Vorstellungen am 4. April (20 Uhr) und am 6. April (16 Uhr mit Kinderbetreuung). Einen Workshop für alle gibt es am 6. April 14.30 bis 15.30 Uhr im Jes (ebenfalls mit Kinderbetreuung).

Ticketsgibt es unter www.fitz-stuttgart.de

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Erstellt:
8. März 2025, 11:50 Uhr

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