Anglikanisches Kirchenoberhaupt tritt zurück
Justin Welby beugt sich öffentlichem Druck
Das Oberhaupt der anglikanischen Kirche tritt nach großem öffentlichen Druck wegen seiner Rolle in einem Missbrauchsskandal zurück. Justin Welby wird vorgeworfen, dass er den jahrzehntelangen Missbrauch von mehr als 100 Jungen und jungen Männern durch einen Anwalt der Kirche nicht öffentlich gemacht hat.
Von Markus Brauer/AFP/dpa
Nach Enthüllungen über einen Missbrauchsskandal tritt das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, Justin Welby, zurück. Dies kündigte Welby am Dienstag (12. November) in einer persönlichen Erklärung an. Zuvor waren gegen ihn massive Rücktrittsforderungen laut geworden, weil er einen Missbrauchsskandal in seiner Kirche Kritikern zufolge nicht richtig aufgearbeitet hatte.
„Ich hoffe, dass diese Entscheidung deutlich macht, wie ernst die Kirche von England die Notwendigkeit von Veränderungen und unser ernsthaftes Engagement für die Schaffung einer sichereren Kirche nimmt“, erklärte Welby, der Erzbischof von Canterbury und Oberhaupt der anglikanischen Kirche ist.
Statement from the Archbishop of Canterbury.https://t.co/aNnuLBMapopic.twitter.com/pIIR1911QU — Archbishop of Canterbury (@JustinWelby) November 12, 2024
„Abscheulicher“ Missbrauchsskandal
Drei Mitglieder der englischen Generalsynode hatten zuvor eine Petition gestartet, in welcher der Rücktritt Welbys gefordert wurde. Hintergrund ist ein Untersuchungsbericht zu einem „abscheulichen“ Missbrauchsskandal in den 1970er und 1980er Jahren.
Die Kirche habe wiederholt versäumt, gegen die Taten des Anwalts John Smyth vorzugehen, der Sommerlager der Kirche organisierte und bis zu 130 Jungen und junge Männer missbraucht haben soll, heißt es in dem Bericht.
Welby hatte in der vergangenen Woche gesagt, er bedauere die Missbrauchsfälle zutiefst. Zunächst hatte er einen Rücktritt aber zunächst abgelehnt. Nun wurde der Druck aber offenbar zu groß.
Tausende unterzeichnen Petition
Der 68-Jährige räumte Fehleinschätzungen ein. "Es ist völlig klar, dass ich die persönliche und institutionelle Verantwortung für die lange und erneut traumatisierende Zeit zwischen 2013 und 2024 übernehmen muss", schrieb Welby an König Charles.
Zuletzt hatten eine Bischöfin sowie ranghohe Kirchenvertreter und Missbrauchsopfer ihn aufgefordert, sein Amt niederzulegen. Tausende unterzeichneten eine entsprechende Petition. Ein vor ein paar Tagen veröffentlichter unabhängiger Untersuchungsbericht war zu dem Schluss gekommen, dass Welby den Missbrauchsfall hätte melden können und müssen, als er 2013 kurz nach seiner Amtsübernahme die Details erfuhr.
Demnach lud der Kirchenanwalt, der 2018 starb und nie vor Gericht stand, Jungen, die er in christlichen Sommerlagern kennengelernt hatte, in sein Haus ein und verabreichte ihnen Tausende Stockschläge.
Die Vorwürfe wurden erst 2013 der Polizei gemeldet, der Fall 2017 durch eine TV-Dokumentation bekannt. Dem Mann wurde laut Untersuchungsbericht nahegelegt, das Land zu verlassen, und er zog ins südafrikanische Simbabwe, ohne dass dies der Polizei mitgeteilt wurde.
Justin Welby und seine illustren Vorgänger: Anselm von Canterbury
Welby ist seit 2013 der höchste Geistliche Großbritanniens und das bischöfliche Oberhaupt der anglikanischen Weltkirche. Viele außergewöhnliche Männer saßen auf dem Erzbischofsitz von Canterbury. Da war Anselm von Canterbury, 1033 im italienischen Aosta geboren, den es ins raue England verschlug, wo er 1109 starb.
Als Erzbischof stand er im Zentrum kirchenpolitischer Macht. Doch noch berühmter ist Anselm für seine Verdienste um die Scholastik, dem mittelalterlichen Denkgebäude, das sich der Versöhnung von christlichen Glauben und antiker Philosophie verschrieben hatte.
Thomas Becket: In der Kathedrale erschlagen
Der nächste Prominente in der erzbischöflichen Liste war Thomas Becket (1118-1170), Lordkanzler Englands, Berater von König Heinrich II. und von 1162 bis 1170 Erzbischof von Canterbury. Über die Frage, welche Instanz über kriminelle Kleriker richten sollte – die weltliche oder die kirchliche Macht – kam es zum Streit zwischen König und kirchlichen Primas.
Nachdem Heinrich im Beisein seiner Ritter den Satz aussprach: „Wird mich niemand von diesem aufrührerischen Priester befreien?“, nahmen ihn einige der Recken beim Wort. Vier Ritter suchten Becket auf und töteten ihn am 29. Dezember 1170 in der Kathedrale von Canterbury, indem sie ihm die Schädeldecke abhackten.
Thomas Cramner: Auf dem Scheiterhaufen verbrannt
Auch Thomas Cranmer (1489-1556) Karriere nahm ein gewaltsames Ende. Nachdem er 1533 zum ersten nachreformatorischen Erzbischof von Canterbury geweiht worden war, machte er sich lieb Kind bei König Heinrich VIII., indem er dessen Ehe mit Anne Boleyn für gültig und die Scheidung von Katharina von Aragón für rechtens erklärte. Der Vorgang führte zur Loslösung der englischen Kirche von Rom.
Heinrich ernannte sich selbst zum Oberhaupt der Church of England. Nach dem Tode Heinrichs und seines Nachfolgers Eduard VI. kam Maria die Katholische (Bloody Mary) an die Macht, die das reformatorische England rekatholisieren wollte. Thomas Cranmer war eines der ersten prominenten Opfer der kirchlichen Wende. 1553 wurde er verhaftet, in den Tower von London geworfen und gefoltert. Im März 1556 wurde er seines Amtes enthoben und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
William Temple: Nach dem Ableben eingeäschert
Ein weiterer prominenter Vorgänger Welbys war William Temple (1881-1944), ein führender Vertreter der ökumenischen Bewegung. Sein Vater Frederick Temple hatte das erzbischöfliche Amt von 1895 bis 1902 inne. Sohnemann William war erster Präsident der Workers’ Educational Association und Mitglied der Labour Party.
1942 wurde er Erzbischof von Canterbury. Bekannt ist er vor allem dadurch geworden, dass er als erster Primas nach seinem Ableben verbrannt wurde. Seine Asche wurde im Garten des Kreuzganges der Kathedrale in der Nähe des Grabes seines Vaters beigesetzt.
Robert Runcie: Hochzeit von Charles und Diana
Schließlich noch der 1921 geborene Robert Runcie (1921-2000), 1980 bis 1991 Primas der Church of England. Im Zweiten Weltkrieg diente Runcie als Panzerkommandant bei den Scots Guards, 1945 wurde er mit dem Military Cross ausgezeichnet. Sein ganze Leidenschaft galt – neben der Theologie – der Schweinezucht.
Über die Grenzen der Anglikanischen Kirche bekannt wurde Runcie, als er am 29. Juli 1981 in der Londoner St. Paul’s Cathedral den Vermählungsgottesdienst von Prinz Charles und Lady Diana Spencer leitete.