Karrieregeschichten lang vergangener Tage
Im Carl-Schweizer-Museum Murrhardt sind die Stäbe der Äbte Kreiling, Rümmelin, Fronmüller und Scharffenstein zu sehen. Möglicherweise wurden sie auf die Särge der Toten gelegt. Voran ging ein Leben mit der Abtswürde als Krönung einer langen, oft beschwerlichen Laufbahn.

© Stefan Bossow
Die restaurierten Krummstäbe der vier in Murrhardt tätigen Äbte (von links) Peter Scharffenstein, Georg Rümmelin, Georg Reinhold Fronmüller und Johannes Kreiling sind im Carl-Schweizer-Museum in Murrhardt in einer Vitrine zu besichtigen. Foto: Stefan Bossow
Von Karin de la Roi-Frey
Murrhardt. Ein wenig rätselhaft sind die vier im Murrhardter Carl-Schweizer-Museum ausgestellten Krummstäbe der Klosteräbte Kreiling, Rümmelin, Fronmüller und Scharffenstein noch immer. In Nachschlagewerken werden diese auch als Krumm-, Bischofs- oder Hirtenstäbe bezeichneten Insignien der bischöflichen Gewalt wie folgt beschrieben: aus Metall oder Bein bestehend, reich verziert, bis zur Schulter reichend. Seit dem 10. Jahrhundert allgemein gebräuchlich, verfügen sie unten über eine Eisenspitze, oben über eine Krumme und einen Knauf. Zusammen mit Mitra, Ring und Brustkreuz gehört der Krummstab zu den katholischen Bischöfen und Prälaten vorbehaltenen Insignien.
Was aber soll ein Abtsstab bedeuten? Auch für das Kloster Maulbronn sind Abtsstäbe bekannt, ansonsten aber eher ungewöhnlich. Im Carl-Schweizer-Museum mutmaßt man, dass sie vielleicht nach dem Tod des Abts angefertigt und zur Ehrung des Toten auf den Sarg gelegt wurden. Gefunden wurden diese Abtsstäbe 1973 bei Ausgrabungen, zu denen auch die Öffnung der Gruft in der Stadtkirche gehörte. Die Stäbe sind aus Holz gedrechselt, der von Abt Peter Scharffenstein wurde mit Samt überzogen. Ob sie als Zierde, Huldigung dienten oder tatsächlich in Gebrauch waren, lässt sich nach dieser langen Zeit allerdings nicht mehr feststellen.
Stadtbrand und Entkräftung spielen beim Tod von Scharffenstein eine Rolle
Aber es gibt einiges zu erzählen über die Männer des Klosters Murrhardt, denen ein Abtsstab auf den Sarg gelegt wurde. Abt Peter Scharffenstein (1677 bis 1765) versah das Amt 13 Jahre lang, womit er sicher nicht gerechnet hatte. Heißt es im Württembergischen Pfarrerbuch von Christian Sigel doch über seinen Todestag: „An diesem Tag gelangte er zu der völligen Überzeugung, dass seine Besorgnis, von der Hälfte seiner Tage weggenommen zu werden, bei einem Greis von 88 Jahren und fünf Monaten gar merklich entkräftet wurde und deswegen hört er auch auf zu leben.“ Tatsächlich starb Scharffenstein wohl an Entkräftung und infolge des Murrhardter Stadtbrands von 1765.
Die Bedrohung des Klosters erforderte die Räumung der Prälatur (Haus des Abts), wobei hilfreiche Bauern für die Bergung des Hausrats sorgten, sich allerdings laut einer Ortschronik „am Bettzeug und Eigentum“ des Abts Scharffenstein bereicherten. Eine lange Liste gestohlenen Guts wie Möbel, Küchengerätschaften, Geschirr und anderem wurde später erstellt. Wie Scharffenstein übten auch seine vor ihm tätigen Murrhardter Amtskollegen Kreiling, Rümmelin, Fronmüller die Abtswürde am Ende ihres Lebens sozusagen als Krönung einer langen, oft beschwerlichen Laufbahn aus.
Konnte Georg Reinhold Fronmüller (1683 bis 1751) auf eine ganz „normale Laufbahn“ vom Studenten zum Diakon, Pfarrer, Dekan und Abt zurückblicken, sah es bei Georg Rümmelin (1684 bis 1738) ganz anders aus. Ihn ereilte zunächst die Abordnung für fünf Jahre als Feldprediger in kaiserlichen Diensten nach Flandern. Von dort bat er zusammen mit anderen Feldpredigern um Erhöhung der Bezüge, die kaum für das Nötigste reichten, wovon sie aber „in den teueren Niederlanden alles bestreiten mussten, Kost, Servis, auch die Pferde, die sehr teuer waren“, wie es in den Blättern für Württembergische Kirchengeschichte von 1905/1906 berichtet wird. Zwei Pferde gingen ihm verloren. Und „nicht einmal das geringste Feuerlein bekommen sie umsonst, können oft kaum einen Laib Brot kaufen“. Schließlich reiste Rümmelin auf eigene Kosten heim, „um den Herzog fußfällig um Hilfe anzuflehen“. Dann endlich bewilligte das Konsistorium eine Erhöhung des Gehalts, eine neue Ausrüstung, eine zusätzliche besoldete Stelle oder Heimberufung und Anstellung. Es gab noch andere Gründe zu klagen: Die Regimenter waren aus Sicht des Feldpredigers „in miserablem Zustand“. Man achtete keine göttlichen Gesetze oder vorgeschriebenen Kriegsrechte, „Fluchen, Schwören, Gotteslästerung, Sakramentsschändung hat sowohl bei gemeinen Soldaten als Offizieren überhand genommen“. Auf eine entsprechende Meldung nach Stuttgart geschah oft nichts, angeblich „sei das Paket verloren gegangen“. Nach vier Jahren als Murrhardter Abt starb Rümmelin in Winnenden während der Rückreise von einer Landesversammlung. Zu dieser Zeit lebte dort noch seine mit dem Stadtpfarrer verheirate Tochter Juliane Charlotte. Im Kirchenbuch von 1734 heißt es, sie habe „wiederum ihren jährlichen Tribut in den Himmel“ geliefert, nachdem sie einen Sohn geboren hatte, der kurz darauf verstarb.
Johannes Kreiling betreute Prinzen
als Reisebegleiter und Lehrer
Rümmelins Vorgänger Johannes Kreiling (gestorben 1694) stammte aus dem „Osnabrückischen“ und studierte in Rostock, Kopenhagen, Königsberg, Dorpat und Straßburg. Dann wurde er zum Reisebegleiter des württembergischen Prinzen Johann Friedrich (1637 bis 1659) und danach zum Informator (Lehrer) der Prinzen Wilhelm Ludwig (1647 bis 1677) und Friedrich Karl (1652 bis 1698) ernannt. Nach etwas über einem Jahr endete allerdings Kreilings Reisebegleitung, da der Prinz in London tödlich an den Blattern erkrankte. Seine einbalsamierte Leiche brachte man über Rotterdam und dann auf dem Rhein durch Hessen und die Kurpfalz zurück nach Stuttgart. Kreilings Schüler Prinz Wilhelm Ludwig wurde nun zum württembergischen Erbprinzen. Er vermählte sich mit Magdalena Sibylla (1652 bis 1712), auf deren Erfindungsreichtum und Freude am Rebensaft das „Stettener Brotwasser“ zurückgeht. Behauptete sie doch stets gut gelaunt, in ihrer Weinflasche befände sich lediglich Wasser zum Brot. Nach dem Tod ihres Mannes übernahm dessen Bruder Friedrich Karl zunächst die Regentschaft bis zur Volljährigkeit des rechtmäßigen Nachfolgers. Zu dieser Zeit, 1777, war dessen ehemaliger Informator Johannes Kreiling schon ein Jahr Pfarrer in Weilheim, danach für zehn Jahre Dekan in Leonberg und schließlich in den letzten sechs Jahren seines Lebens Abt in Murrhardt.