Judoka Anna-Maria Wagner bei Olympia

Keine Medaille, nur bittere Tränen

Anna-Maria Wagner, die Judo-Weltmeisterin und Fahnenträgerin des deutschen Teams bei der Eröffnungsfeier, geht im Einzel-Wettbewerb überraschend leer aus. Nun überlegt die Athletin aus Ravensburg, ob sie ihre Karriere fortsetzt.

Der Traum vom Gold ist geplatzt: Anna-Maria Wagner.

© dpa/Sina Schuldt

Der Traum vom Gold ist geplatzt: Anna-Maria Wagner.

Von Jochen Klingovsky

Erste Frage, keine Antwort. Stattdessen Schluchzen. Und Tränen. Anna-Maria Wagner brauchte ein bisschen Zeit, als ihr in der Mixed-Zone der Arena Champ-de-Mars plötzlich mehr als ein Dutzend Handys mit eingeschalteter Diktierfunktion entgegengestreckt wurden. Dann sagte die Judoka vier leise Worte, die all ihre Empfindungen ausdrückten: „Es ist total bitter.“

Anna-Maria Wagner (28) aus Ravensburg ist in der Klasse bis 78 Kilogramm eine der besten Kämpferinnen, die es gibt. Und selbstbewusst dazu. Nachdem sie 2021 in Tokio zweimal Bronze gewonnen hatte (Einzel, Mixed-Team) und auch zweimal Weltmeisterin geworden war, entschied sie sich, ihr Ziel für Paris klar zu formulieren: „Ich will Gold!“

Logisch, das haben viele Athletinnen und Athleten vor, die in der französischen Hauptstadt starten. Aber Anna-Maria Wagner hat ein ganz besonderes Verhältnis zu Olympischen Spielen. Als Ole Bischof 2008 in Peking Gold im Judo holte, entwickelte die damals Zwölfjährige ihre ganz persönliche Vision: „Dort möchte ich auch mal stehen.“ Vorbilder? Hat sie sich auf dem Weg zur Realisierung nicht gesucht, zumindest keine Einzelnen. „Für mich“, sagt Anna-Maria Wagner, „sind alle Olympiasieger Vorbilder.“

In Stuttgart Abitur gemacht

Sie selbst wäre auch gerne eines geworden, vielleicht ja für ein zwölfjähriges Mädchen, das am Donnerstag irgendwo vor dem Fernseher saß. Doch daraus wurde nichts.

Dabei war die Favoritin, die als Jugendliche vier Jahre in Stuttgart gelebt und am Wirtschaftsgymnasium ihr Abitur gemacht hat, sehr gut in den Wettkampf gestartet. Ihre Duelle mit der für Guinea startenden Leipzigerin Marie Branser und Asienmeisterin Rika Takayama (Japan) dominierte sie. Trotzdem war ihr die Anspannung vor dem Halbfinale anzusehen. Wagner pushte sich mit Worten, schlug sich mit der Hand ins Gesicht, schritt energisch auf die Matte. Dort hatte sie gegen die dynamische Weltranglistendritte und Ex-Weltmeisterin Inbar Lanir Mühe, handelte sich früh zwei Strafen ein und ließ dann eine Wertung (Ippon) der Judika aus Israel zu. „Das war unglücklich“, sagte Wagner, „meine Taktik war, sie machen zu lassen und hintenraus zu attackieren. Doch dazu ist es leider nicht mehr gekommen.“ Womit der Traum vom Gold geplatzt war.

Locker ließ Anna-Maria Wagner trotzdem nicht. Ganz im Gegenteil. „Ich war total abgeklärt, habe es geschafft, mich auf den Bronze-Kampf zu fokussieren“, sagte die Ravensburgerin, die mittlerweile in Köln lebt, „ich dachte: Das wird meine Medaille.“ Doch auch diese Rechnung ging nicht auf.

Eine Sekunde nicht aufgepasst

Gegen die Chinesin Ma Zhenzhao, WM-Zweite von 2022, unterlag Anna-Maria Wagner per Ippon im Golden Score. „Unsere Sportart ist wunderschön. Es kann eine Sekunde für dich sein, es kann eine Sekunde gegen dich sein. Ich habe eine Sekunde geschlafen, stand einen Moment lang auf der Stelle“, sagte sie hinterher zerknirscht, „die Chinesin hat mich überrascht und erwischt. Es war mein Fehler.“ Rang fünf sei „der beschissenste Platz“, den es im Judo gebe. Weshalb sich nun eine wichtige Frage stellt.

An diesem Samstag will Wagner mit dem Mixed-Team noch einmal angreifen („Wir haben eine starke Mannschaft – ich werde den Switch schon schaffen“), danach aber wird sie in diesem Jahr keinen Judo-Anzug mehr anziehen. Und ihre Karriere vielleicht sogar ganz beenden? Judo, das hat die deutsche Fahnenträgerin der Eröffnungsfeier in Paris immer betont, sei für sie eine faszinierende Sportart. „Es steckt sehr viel Herzblut drin“, sagte sie nun, „doch gerade sitzt der Schmerz sehr tief. Ich werde jetzt das Jahr zu Ende gehen lassen und dann weitersehen.“

Studium des Hotel- und Tourismusmanagements

Schon vor den Spielen hatte Anna-Maria Wagner angekündigt, im Herbst ihr Studium des Hotel- und Tourismusmanagements wieder aufzunehmen und beenden zu wollen, um sich eine Grundlage für die Zukunft zu schaffen. „Ich möchte gerne in der Hotellerie arbeiten und am liebsten wieder zurück in die Heimat und dort in unser Familienhotel einsteigen“, sagte Wagner, die auch eine Familie gründen und Kinder haben will. Ob da noch Zeit bleibt für eine Reise zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles?

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Erstellt:
1. August 2024, 20:30 Uhr

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