Aktueller Sammel-Trend
Kinder im Legami-Fieber
Radierbare Gelstifte in Tieroptik sind an Grundschulen gerade der Renner. Lehrer sind davon eher nicht begeistert. Egal, wie man dazu steht: Irgendetwas sammeln Kinder immer. Aber warum eigentlich?

© Legami
Einfach total süß: Für die Kinder gibt es jede Menge guter Gründe, diese sogenannten Legami-Stifte, die es aber auch von anderen Herstellern gibt, unbedingt haben zu müssen.
Von Sandra Markert
Lama, Hai, Giraffe, Panda, Elefant. Das klingt nach einem Zoobesuch. Die genannten Tierköpfe spicken derzeit aber auch aus vielen Mäppchen von Grundschulkindern. Sie lieben die bunten Plastikstifte mit Tiermotiven, die wie Füller schreiben, sich aber wegradieren lassen.
„Da kann man Fehler einfach wegmachen“, sagt ein Zweitklässler. „Ich hab schon ganz viele gesammelt“, sagt sein Freund. Ein Mädchen meint: „Die sind einfach total süß.“ Ein anderes „tauscht sie mit ihren Freundinnen“. Kurz: Für die Kinder gibt es jede Menge guter Gründe, diese sogenannten Legami-Stifte, die es aber auch von anderen Herstellern gibt, unbedingt haben zu müssen.
Sie heißen auch Schummel-Stifte – warum wohl?
Die Lehrer sind mit dem Trend dagegen weniger glücklich – und auch sie nennen gute Gründe dafür, dass die Stifte an manchen Schulen inzwischen sogar verboten sind. „Ich hatte schon Kinder, die ihre Fehler einfach wieder ausradiert haben, nachdem ich das Diktat korrigiert zurückgegeben hatte“, erzählt eine Lehrerin über ihre Erfahrungen in einer dritten Klasse. Für Klassenarbeiten seien die Stifte deshalb an ihrer Schule tabu. Schüler nennen sie offenbar nicht umsonst auch „Schummel-Stifte“.
Ihre Kollegin erlaubt sie auch im normalen Unterricht nicht zum Schreiben. Es sei ähnlich wie mit Tintenkillern: „Wenn man Fehler leicht wieder wegmachen kann, dann konzentriert man sich weniger auf sorgfältiges und fehlerfreies Arbeiten“, so ihre Erfahrung. Weshalb bei ihr ausschließlich mit Füller geschrieben und Fehler mit dem Lineal durchgestrichen und korrigiert werden müssen.
Hefte bloß nicht auf die Heizung legen oder in die Sonne!
Eine andere Grundschule verbietet sie grundsätzlich an der gesamten Schule – weil sich die Kinder untereinander die Stifte geklaut haben. Eine Gymnasiallehrerin erzählt, sie habe neulich einen Stapel Schülerhefte mit nach Hause genommen und auf die Fensterbank über der Heizung gelegt. „Danach konnte man in vielen Heften nichts mehr lesen.“ Denn: Die Farbe der Legami-Stifte verschwindet beim Radieren dadurch, dass dabei Hitze entsteht. Heizung und Sonnenlicht aber schaffen das eben auch. Der lapidare Rat der Stifte-Hersteller lautet übrigens: Die Hefte ins Gefrierfach legen, dann kommt die Schrift zurück.
Egal ob man die Tierkopfstifte gut findet oder nicht: Sie stehen für ein Phänomen, das insbesondere Grundschulen schon viele Jahrzehnte begleitet. Kinder in diesem Alter sammeln einfach gern Dinge – mal sind es Aufkleber, mal Pokémon-Karten, mal Briefmarken, mal Plastik-Schnullis, mal Fußball-Bildchen. Kaum ein Kind dieses Alters kann sich dem entziehen, was grade „alle“ haben. Aber warum ist das eigentlich so?
„Die Erklärung bleibt tatsächlich ein wenig rätselhaft“, sagt der Erziehungswissenschaftler Ludwig Duncker, der sich seit vielen Jahren auch mit dem kindlichen Sammeln beschäftigt. Möglich, dass es den Menschen irgendwie noch in den Genen steckt, denn Jagen und Sammeln waren früher nötig, um sich Vorräte anzulegen. Der Vorratshaltung wegen sammelt heute aber wohl kein Kind mehr, denn weder Steine noch Kronkorken noch Fußballkarten bringen einen schließlich über den Winter.
„Ich denke, da spielt einerseits das Bedürfnis nach der ästhetischen Erfahrung eine Rolle, andererseits sind Sammlungen ja auch immer der Spiegel der eigenen Identität“, sagt Ludwig Duncker. Zumindest kleine Kinder wählen das Motiv ihrer Sammlung ganz frei. Die einen sind fasziniert von allem, was golden glänzt, die nächsten kommen an keinem Tierknochen vorbei, andere horten möglichst große Stöcke oder streicheln gern glatte Steine.
Sammelleidenschaft wird mehr und mehr zum Kommerz
Spätestens ab dem Grundschulalter machen sich aber auch Firmen den Sammeltrieb von Kindern zunutze. Gezielt werden Dinge angeboten, deren Ziel es ist, Kinder zu einer möglichst großen Sammlung zu verführen. „Diese Kommerzialisierung ist heftig und hat auch stark zugenommen. Grundschüler sammeln inzwischen überwiegend Dinge, die man kaufen muss“, so Duncker. Er sieht das auch als Folge der Konsumgesellschaft, welche die Erwachsenen vorleben.
Nun stehen nicht mehr nur die eigenen Interessen beim Objekt der Sammlung im Vordergrund. Es geht auch darum, in einer Gemeinschaft dazuzugehören, wenn in den Pausen getauscht wird. Das kann auch zu sozialen Hierarchien führen, weil nicht allen Kindern gleich viel Geld oder elterlicher Unterstützungswillen zukommt, um sich die teils wirklich teuren Sammlungen aufzubauen. Manche Schulen reagieren dann auch mit Verboten, wenn die Lehrkräfte beobachten, dass Ausgrenzungen zunehmen oder die Kinder sich gegenseitig gar beklauen.
Ludwig Duncker fallen aber vor allem viele positiven Eigenschaften des Sammelns ein: „Eigentlich gleicht keine Sammlung der anderen. Kinder entwickeln ihre eigenen Systeme, nach denen sie ordnen und kategorisieren. Und sie werden zu richtigen Experten in ihrem Themengebiet.“ Wenn mit anderen Kindern getauscht wird, bilden sich eigene Wertvorstellungen und Strategien heraus, wie man mit anderen ins Geschäft kommen kann.
Wie Eltern die kleinen Sammler sanft bremsen können
Grenzenlos unterstützen brauchen Eltern einen Sammeltrieb trotzdem nicht. „Es ist eine wichtige Erziehungsarbeit den Kindern klar zu machen, wie viel Geld das kostet“, sagt Erziehungswissenschaftler Duncker. Dann kann man beispielsweise vereinbaren, dass eine Sammlung dann abgeschlossen wird, wenn keine Stifte mehr ins Mäppchen passen, ein Regalbrett vollsteht mit Plastikpferden oder keine Karte mehr ins Fußballalbum passt.
Eins aber hält Ludwig Duncker für Tabu: die Sammelleidenschaft eines Kindes als Quatsch abzutun oder eine Sammlung gar ungefragt einfach wegzuwerfen. „Jede Sammlung hat eine sehr individuelle Prägung und stellt für die Kinder einen großen Wert dar.“ Egal, ob es sich dabei um Tierkopfstifte oder um Tierknochen handelt.